"Gab eine Kollision"

Flüchtlinge schildern, wie Schiffsdrama geschah

Ausland
21.04.2015 12:05
Nicht nur dass sich die Flüchtlinge in der Hoffnung auf Rettung alle auf eine Seite des Schiffes gedrängt haben, sondern zudem eine Kollision des heillos überladenen Bootes mit dem zu Hilfe gekommenen Handelsschiff dürfte die bisher schlimmste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer verursacht haben. 800 Menschen starben, als in der Nacht auf Sonntag ein Migrantenboot vor der libyschen Küste kenterte und sank. Nur 28 Menschen konnten gerettet werden. Sie erreichten in der Nacht auf Dienstag die sizilianische Hafenstadt Catania. Zwei von ihnen wurden festgenommen.

Wie die Überlebenden Vertretern des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR schilderten, war einer der Schlepper, der das Flüchtlingsboot gesteuert hatte, versehentlich gegen die "King Jacob" geprallt. Das löste Panik an Bord des nur 20 Meter langen und mit rund 850 Menschen schwer überfüllten Bootes aus, es geriet ins Schwanken und kippte schließlich um.

Der Kapitän des portugiesischen Schiffes hatte eine Kollision mit dem Flüchtlingsboot allerdings dementiert. Die Aussagen werden jetzt von der Staatsanwaltschaft von Palermo überprüft, die die Ursachen der jüngsten Flüchtlingstragödie ermittelt. Ersten Aussagen der geretteten Flüchtlingen zufolge hatten sich, als sich das von der italienischen Küstenwache zur Rettung geschickte Handelsschiff näherte, alle Flüchtlinge auf nur eine Seite des Bootes gedrängt.

Kapitän des Flüchtlingsbootes festgenommen
27 der 28 Überlebenden des Flüchtlingsdramas im Mittelmeer kamen in der Nacht auf Dienstag im Hafen von Catania an. Zwei von ihnen wurden umgehend festgenommen, weil sie zur Besatzung des Flüchtlingsschiffs gehört haben sollen. Es handelt sich um den mutmaßlichen tunesischen Kapitän und einen Syrer. Die anderen Überlebenden wurden in ein Auffanglager nahe Catania gebracht, berichteten italienische Medien. Vier Minderjährige wurden in eine Einrichtung für junge Flüchtlinge eingeliefert. Der 28. Überlebende des Unglücks vom Wochenende war wegen seines schlechten Gesundheitszustands schon früher nach Catania gebracht und dort ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Italiens Marine im Dauereinsatz: "Sind erschöpft"
Die italienische Marine und die Küstenwache sind wegen der massiven Flüchtlingswelle und der jüngsten Tragödien im Mittelmeer unter Druck. "Wir sind erschöpft, wir sind mit einem wahren Ansturm konfrontiert und am Ende unserer Kräfte", klagte der Kommandant der italienischen Hafenbehörden, Admiral Felicio Angrisano, am Dienstag.

Täglich seien 2.000 Personen auf See und am Festland im Einsatz, um die Flüchtlinge zu versorgen. Marine, Küstenwache und Hafenbehörden seien seit Wochen arg unter Druck. "Wir sind mit einem biblischen Exodus konfrontiert. Wir leisten im Rahmen des EU-Einsatzes 'Triton', was möglich ist, doch jetzt ist die Zeit für eine Mobilisierung der EU gekommen", meinte Angrisano im Gespräch mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica".

Die Todesopfer der neuen Flüchtlingskatastrophe bezeichnete der Admiral als "Mordopfer". Wichtig sei es, entschlossen gegen die Schlepperbanden vorzugehen. "Bei den Ermittlungen gegen die Schlepperbanden sind große Fortschritte gemacht worden. Immer mehr Flüchtlinge sind zur Zusammenarbeit mit den Justizbehörden bereit", sagte Angrisano.

"Reichere" Flüchtlinge kommen auf bessere Schiffe
Der Admiral berichtete, dass syrische Flüchtlinge für die Reise nach Europa mehr zahlen können. "Für sie werden daher sicherere Reisen organisiert. Eingesetzt werden oft 80 Meter lange Tanker, die stabiler sind. Für die ärmeren Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea sind die Reisen risikoreicher", so der Admiral.

Das italienische Rettungsprogramm für Flüchtlinge, "Mare Nostrum", war vergangenes Jahr ausgelaufen und wurde durch die EU-Grenzschutzmission "Triton" abgelöst. Menschenrechtler und Hilfsorganisationen sehen darin aber mehr eine Abschreckungsmaßnahme als ein Rettungsprogramm für Menschen in Not. Rom pocht auf mehr Hilfe aus Europa, um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen.

Zehn-Punkte-Plan im Kampf gegen die Schlepper
Die EU-Außen- und Innenminister einigten sich als Konsequenz am Montag auf einen Zehn-Punkte-Plan, der unter anderem eine "Stärkung" der Seenotrettung im Mittelmeer vorsieht. Bei einem Krisentreffen in Luxemburg wurden Pläne für die Verdoppelung der Mittel für die EU-Programme "Triton" und "Poseidon" auf den Weg gebracht. Sie sollen den Einsatz von deutlich mehr Schiffen ermöglichen und noch am Donnerstag auf einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vorgelegt werden.

Neben der Ausweitung der Seenotrettung könnten künftig gezielt von Schleppern genutzte Schiffe beschlagnahmt und zerstört werden. Vorbild sei die militärische Anti-Piraterie-Mission "Atalanta" am Horn von Afrika, sagte der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos bei der Vorstellung des Zehn-Punkte-Plans. "Atalanta" begleitet nicht nur zivile Schiffe, sondern zerstörte mehrfach auch Piratenlager.

Bis zu eine Million Flüchtlinge warten auf Überfahrt
Das Bürgerkriegsland Libyen ist derzeit ein Haupttransitland. Seit Langzeitmachthaber Muammar al-Gadafi 2011 mit Unterstützung des Westens gestürzt wurde, rivalisieren in Libyen islamistische Milizen und nationalistische Kräfte gewaltsam um Macht und Einfluss. Es gibt keine funktionierenden Grenzkontrollen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Palermo warten in Libyen bis zu eine Million Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa, laut dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR sind es immerhin eine halbe Million.

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