Schädigte Embryos

Wirkung des Medikaments Contergan entschlüsselt

Wissenschaft
17.07.2014 13:43
Unter dem Markennamen Contergan wurde das Schlaf- und Beruhigungsmittel Thalidomid berüchtigt: Tausende Kinder kamen in den 1960er-Jahren wegen des Medikaments mit Fehlbildungen zur Welt. Jahrzehnte später erfuhr der Wirkstoff eine Renaissance im Kampf gegen Krebs. Nun konnten Schweizer und US-Forscher seine Wirkungsweise aufklären.

Ab 1957 wurde das Contergan gegen Schwangerschaftsübelkeit eingesetzt. Anfang der 1960er-Jahre stellte sich heraus, dass es bei Neugeborenen zu Schädigungen geführt hatte und wurde vom Markt genommen. In Österreich gab es wegen restriktiver Rezeptpflichtregeln nur relativ wenige Fälle. Ähnlich war das in der Schweiz.

Thalidomid führt, innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft eingenommen, zu schweren Fehlbildungen der Gliedmaßen oder sogar zum totalen Fehlen von Gliedmaßen und Organen der Kinder. Die Substanz blockiert einen Wachstumsfaktor namens VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), wodurch es zu einer fehlenden Blutgefäßbildung in den Extremitäten des Embryos kommt. Das führt zu einer verkürzten oder fehlenden Anlage von Armen und Beinen - meist beidseitig.

Heute gegen Blutkrebs und Lepra im Einsatz
Ende der 1990er-Jahre zeigte sich dann, dass Thalidomid und abgewandelte Formen davon gegen einige Blutkrebsarten und Hautentzündungen bei Lepra wirken. Unter strengen Sicherheitsauflagen sind solche Wirkstoffe jetzt vor allem in der Hämatologie gegen Blutkrebs wieder im Einsatz.

Ein Team um Nicolas Thomä vom Friedrich Miescher Institut (FMI) in Basel hat nun mit aufwendigen Kristall-Strukturanalysen sowohl die positiven wie auch die negativen Wirkungen von Thalidomid aufgeklärt. Es zeigte sich, dass es mit einem Eiweißkomplex interagiert, der zur Abbaumaschinerie der Zelle für Proteine gehört, wie die Forscher im Fachjournal "Nature" berichten.

Je nach Konfiguration aktiviert oder hemmt Thalidomid diesen Eiweißkomplex. Für die Behandlung von Blutkrebs ist ausschlaggebend, dass durch Thalidomid zwei Proteine namens Ikaros und Aiolos verstärkt für den Abbau markiert werden.

Hemmt Vorgänge in Embryonalentwicklung
In einer anderen Konfiguration verhindert Thalidomid jedoch, dass ein bestimmtes Molekül an den Eiweißkomplex binden kann. Dieses bisher unbekannte Protein namens MEIS2 spielt eine wichtige Rolle bei Vorgängen der Embryonalentwicklung. Darin liegt vermutlich die Ursache der Fehlbildungen.

Negativ wirkte sich in den 1950er-Jahren bei der Entwicklung des Wirkstoffes aber auch aus, dass es damals noch nicht so umfassende präklinische Studien mit Substanzen (geeignete Tiermodelle) gab bzw. verwendet wurden. Dadurch hätte eventuell die keimschädigende Wirkung von "Contergan" noch vor Zulassung des Medikamentes entdeckt werden können.

Die Forscher hoffen nun, "in der Zukunft in der Lage zu sein, gezielt Verbindungen herzustellen, welche die positiven Effekte von Thalidomid verstärken und die negativen zu minimieren", erklärte Thomä in einer Mitteilung des FMI.

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