Teuer erkauftes "Ja"

Parteien empört über EU-Extrawurst für Vaclav Klaus

Ausland
30.10.2009 21:56
Der EU-Reformvertrag von Lissabon kann kommen, doch die Zustimmung Tschechiens wurde teuer erkauft. In einer Fußnote stellen die Staats- und Regierungschefs klar, dass die im Lissabonvertrag enthaltene Grundrechtecharta keine Rechtsgrundlage für Klagen gegen die Benes-Dekrete von 1945 sind. Politiker fast aller Nationalrats-Parteien reagierten auf die Extrawurst in Sachen Menschenrechte empört.

ÖVP-Vertriebenen- und Wehrsprecher Norbert Kapeller erklärte: "Das ist ein wahrhaftiger Schlag ins Gesicht für hunderttausende Vertriebene. Es ist ein Tag der Schande für ein vereintes Europa, das der Fortschreibung von Unrecht nicht Einhalt gebietet." Wenn Grundrecht bedeute, "dass im Endeffekt alle Menschen Rechte haben, außer Vergewaltigte, Ermordete, Misshandelte, Enteignete und Beraubte, muss man den Inhalt und die Bedeutung einer EU-Grundrechtecharta wohl massiv hinterfragen", kommentierte Kapeller die aktuelle Entwicklung am Brüsseler EU-Gipfel und mahnte: "Will das Europa der Regionen auch in den Herzen der Menschen zusammenwachsen, ist das gemeinsame Europa der 27 gefordert, bestehendes Unrecht im Verfassungsrang weder zu tolerieren noch abzusegnen."

Mölzer: "Skandal ersten Ranges"
Als "Skandal ersten Ranges" bezeichnete der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Andreas Mölzer, die Ausnahmeregelung für Tschechien. "Das EU-Hoch-Establishment hat mit dieser Entscheidung unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass der Vertrag von Lissabon um jeden Preis durchgepeitscht werden soll, und zwar auch um den Preis, dass die sogenannte EU-Werte-Gemeinschaft die menschen- und völkerrechtswidrigen Benes-Dekrete zumindest indirekt anerkennt. Offenbar gelten in der Europäischen Union bezüglich der Menschenrechte zweierlei Maßstäbe", betonte Mölzer. Bundeskanzler Werner Faymann sei beim Gipfel "umgefallen".

BZÖ: "Kniefall der EU"
Das BZÖ bezeichnete die Ausnahme für Tschechien von der EU-Grundrechtscharta als "Kniefall der EU vor Menschenrechtsverbrechen" und als "Schlag ins Gesicht der Vertriebenen und ihrer Nachkommen". "Wer so die EU der Zukunft bauen will, baut sie auf tönernen Füßen", wurde BZÖ-Vertriebenensprecher Rainer Widmann in einer Aussendung zitiert. Nur wer mit der Geschichte sauber umgehe, habe auch einen klaren Blick für die Zukunft, so Widmann. Es sei vom EuGH zu prüfen, ob die Änderung im Widerspruch zu den Menschenrechten stehe, verlangte Widmann.

Grüne: "EU-Grundrechtecharta offenbar nichts wert"
Auch von den Grünen kam deutliche Kritik: "Wenn nach Großbritannien und Polen nun auch Tschechien ein 'Opting-Out' aus der Grundrechtecharta gewährt wird, so zeigt das, wie wenig den Staats- und Regierungschefs diese wert sind. Die Grundrechte, also die einklagbaren Rechte der Bürgerinnen und Bürger, werden bei Bedarf gegen billige nationale Interessen verkauft", kritisierte Ulrike Lunacek, Europasprecherin der Grünen, die vereinbarte Ausnahmeregelung. "Kommt als nächstes der slowakische Premier Robert Fico, der schon anklingen hat lassen, dass er wegen der Benes-Dekrete Ähnliches will? So sehr ich das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages befürworte: Dieses Nachgeben gegenüber einem deklarierten Anti-Europäer ist falsch und schmerzt."

Vaclav Klaus hochzufrieden
Der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus ist mit dem gefunden Beschluss freilich hochzufrieden. "Das erzielte Ergebnis betrachte ich als das Maximum des Möglichen, und ich werde keine weitere Bedingungen zur Ratifizierung des Lissabon-Vertrages stellen", so der Staatschef. Die Tschechische Republik habe eine "bedeutende Ausnahme vom Lissabon-Vertrag" erzielt, fügte er hinzu.

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