Gewissenlose Rowdys

Kann ein Autoraser zum Mörder werden?

Österreich
02.03.2018 16:14

Gewissenlose Rowdys bekommen in Deutschland lebenslang für Verkehrsunfälle mit Todesfolge. Das Bundesgericht kippt das Urteil. Die Diskussion bleibt. Auch in Österreich. Lesen Sie hier neben den aktuellen Fällen in unserem Nachbarland auch über eine ähnliche Causa in Österreich sowie ein Interview zur Rechtslage mit Justizminister Josef Moser.

Der deutsche Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte am Donnerstag zu entscheiden: Können Raser auch Mörder sein? Drei aktuelle Fälle ließen die Bleifüße stillhalten. 2016 veranstalten zwei Mittzwanziger spätnachts am Berliner Kurfürstendamm ein Rennen, sie schießen einen Jeep ab. Der Insasse, ein 69-jähriger Pensionist, stirbt. Im Mai 2017 stiehlt ein Betrunkener in Hamburg ein Taxi, kracht mit 160 Stundenkilometern in ein zweites. Ein Toter, zwei Schwerverletzte.

Die Urteile der Richter waren in Deutschland bislang einzigartig: Lebenslang wegen Mord! Die Richter nahmen beim Urteil „bedingten Vorsatz“ an, was bedeutet: Mögliche Folgen ihrer Raserei waren den Tätern völlig egal, sie nahmen diese „billigend in Kauf“. Nun hat der deutsche Bundesgerichtshof das Urteil gekippt. Der „Vorsatz“ sei nicht ausreichend gegeben gewesen. Die Raser werden nun mildere Strafen erwarten. Ein Freibrief ist es dennoch nicht. Deutschland hat das Strafgesetz für Raser ordentlich verschärft.

In Österreich? Hier ist die Rechtslage ähnlich wie in Deutschland. Es gibt auch einen Fall, bei dem die Behörden nach einem Unfall wegen Mordverdachts ermitteln (siehe weiter unten: Mordverdacht nach Unfall).

Zahl der Verkehrstoten in Österreich rückläufig
Auch wenn sich in Wien im Zeitraum Jänner bis Februar aktuell die Zahl der Verkehrstoten im Vergleich zum Jahr 2016 verdoppelt hat, ist sie österreichweit in der Gesamtwertung seit Jahren rückläufig. Ein Grund könnte eine Strafverschärfung von 2012 sein. „Längerer Führerscheinentzug, Abnahme des Nummerntaferls und dass es teurer geworden ist, hat viele abgeschreckt“, sagt Manfred Reinthaler von der Wiener Landespolizeidirektion.

Auch die illegalen Straßenrennen der berüchtigten „Roadrunner“ auf der Triester Straße, Heiligenstädter Straße und dem Gürtel sind „deutlich zurückgegangen“, wie Reinthaler bestätigt. Diese behaupteten ja, sie würden nachts fahren, um keine Unschuldigen zu gefährden. Dass auch das schiefgehen kann, hat man gerade in Berlin gesehen.

Mordverdacht nach Unfall
Seit dem 3. Jänner spätabends sitzt ein 34-jähriger Mann in Wien in U-Haft, gegen den die Behörden nach einem Unfall wegen Mordverdachts ermitteln. Der Autolenker war mit fast zwei Promille stark alkoholisiert in seinen Wagen gestiegen. Er raste los und wollte seinem Leben ein Ende setzen. In seiner Wohnung wurde ein Abschiedsbrief gefunden.

In der Cumberlandstraße in Wien-Penzing wollte der lebensmüde Autolenker mit hoher Geschwindigkeit ein Moped überholen, auf dem zwei Männer saßen. Gerade in diesem Moment bog der Mopedlenker nach links ab. Der Aufprall war unvermeidlich. Sowohl der Mopedlenker als auch sein Beifahrer wurden so schwer verletzt, dass sie kurz nach dem Unfall starben.

Sehr ungewöhnlich gestalteten sich die weiteren Entwicklungen in diesem Fall. Üblicherweise wird nach Verkehrsunfällen von einem Fahrlässigkeitsdelikt ausgegangen. Doch in diesem Fall entschied der zuständige Richter nach der Einlieferung des Todeslenkers ins Wiener Landesgericht: U-Haft, denn es besteht Mordverdacht. Und zwar deshalb, weil es dem Todeslenker möglicherweise völlig egal gewesen ist, ob andere Menschen zu Schaden kommen, und er ihren Tod, wie es im Gesetz heißt, „billigend in Kauf genommen“ hat. Nach welchem Paragrafen die Anklage tatsächlich ausfallen wird, ist noch unklar.

Justizminister Josef Moser im „Krone“-Interview
„Krone“: Der deutsche Bundesgerichtshof hat am Donnerstag das lebenslängliche Urteil für die Raser aufgehoben. Wie sehen Sie das?
Josef Moser: Höchstgerichtliche Entscheidungen sind stets zu akzeptieren.

Deutschland hat aber das Strafmaß für Verkehrssünder grundsätzlich erhöht. Besteht auch in Österreich diese Notwendigkeit?
Je nach Schwere des Delikts kann eine Strafe von einem bis zu zehn Jahren drohen. Insofern besteht in Österreich derzeit keine Notwendigkeit, das Strafausmaß für Verkehrssünder zu erhöhen.

Unfallblockierer und Gaffer sollen dafür - zu Recht - härter bestraft werden. Steht das in Relation zu den Unfallverursachern?
Einerseits brauchen wir wirksame Sanktionen für Unfallverursacher, andererseits müssen wir auch dem ganz bewussten, also vorsätzlichen Unterlassen oder Behindern der Hilfeleistung deutlich entgegenwirken. Es ist eine Tatsache, dass Rettungs- und Einsatzkräfte immer öfter durch Schaulustige an ihrer Hilfeleistung gehindert werden. Bei Verkehrsunfällen ist oft jede Minute entscheidend für die Verletzten.

Betrunken Auto fahren gilt vor allem im ländlichen Bereich noch immer als Kavaliersdelikt. Wie kann man dem entgegenwirken?
Man muss den Menschen bewusst machen, dass betrunken Auto fahren Konsequenzen haben kann, die unter Umständen nicht wiedergutgemacht werden können.

Daten und Fakten

  • Nach Unfällen mit Todesopfern wird üblicherweise Anklage wegen fahrlässiger Tötung (bis zu ein Jahr Haft) erhoben. Weil man davon ausgeht, dass der Unfall nicht absichtlich, sondern durch Versagen geschehen ist. Größer ist die Schuld, wenn man alkoholisiert oder mit weit überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall verursacht (bis zu drei Jahre Haft).
  • Bis fünf Jahre Haft drohen bei fahrlässiger Gemeingefährdung, etwa bei Geisterfahrern: Hier reicht es, wenn mehr als zehn Menschen gefährdet werden.
  • Vorsätzliche Gemeingefährdung (bis zu zehn Jahre) könnte zur Anwendung kommen, wenn jemand absichtlich als Geisterfahrer unterwegs ist. Ein Schuldspruch wegen Mordes mit dem Auto als Waffe wäre auch bei uns möglich: Wenn ein Unfall durch einen Raser oder Selbstmörder ausgelöst wird, dem alles egal ist – auch das Leben der anderen.

Peter Grotter und Clemens Zavarsky, Kronen Zeitung

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