Gewalt in Asylheimen

Homosexuelle Flüchtlinge: Hass aus eigenen Reihen

Ausland
18.10.2015 16:05
Da sich in deutschen Asylheimen Gewaltakte gegen homosexuelle Flüchtlinge häufen, hat der Dresdner Schwulenverein CSD ein bisher deutschlandweit einzigartiges Hilfsprojekt für schwule Flüchtlinge ins Leben gerufen: Der Verein sorgt für eine sichere Unterbringung betroffener Menschen, die vor den Kriegswirren bzw. aus Angst, wegen ihrer sexuellen Orientierung körperlicher Gewalt ausgesetzt zu sein, aus ihrer Heimat geflohen sind, und nun erneut mit Gewalterfahrungen konfrontiert werden - aus den eigenen Reihen.

Ahmad Suliman neigt seinen Kopf zur Seite, setzt seinen Finger auf die Halsschlagader unter der gespannten Haut. Hätte Suliman seine sexuelle Orientierung in Syrien offenbart - man hätte ihm hier seinen Kopf vom Körper abgetrennt. Denn die dschihadistische Terrormiliz Islamischer Staat richtet Schwule in Syrien und im Irak öffentlich hin. Sie köpft sie, steinigt sie. Vor dieser Verfolgung ist der 20-jährige Muslim geflohen, bis nach Dresden. Wo die Pegida marschiert. Und wo wieder Steine gegen ihn flogen.

Steine gegen homosexuelle Flüchtlinge
Suliman sitzt unter Holzbalken im Dachgeschoß des Dresdner Ausländerrats. In Prohlis, einem Stadtteil, in dem erst einige Tage zuvor Menschen Molotowcocktails auf eine geplante Unterkunft für Flüchtlinge geworfen hatten. Der junge Syrer weiß von den Fremdenfeinden der Pegida, die hier montags durch die Stadt ziehen. Aber er fühlt sich jetzt sicher. Denn die Steine, die sich gegen ihn richteten, kamen nicht aus Händen der Demonstranten, sondern aus den Händen anderer Flüchtlinge.

"Wir mussten wie Frauen tanzen"
Die anderen Männer schickten Suliman und seine Freunde Rami Ktifan und Yousif al-Doori aus der Toilettenschlange weg, zu den Frauen. Sie seien ja keine Männer. Sie wurden beschimpft, wach gehalten und gepeinigt. Weil sie schwul sind. "Wir sollten für die anderen Männer tanzen, wie Frauen. Wir durften nicht schlafen, manchmal bis 5 Uhr früh", erzählt der Syrer Ktifan. Manchmal flogen Steine.

Schon in ihrer ersten Unterkunft in Deutschland, in Augsburg, waren Suliman, Ktifan und Doori von anderen Geflüchteten drangsaliert worden - jeden Tag. "Wir haben versucht, es zu verbergen. Aber irgendwann wollten wir auch nicht mehr. Wir wollten frei leben, in Europa", sagt der Iraker Doori. Der 25-Jährige spricht leise, sitzt mit überschlagenen Beinen neben Suliman. Als die drei Asylwerber in die Dresdner Zeltstadt verlegt wurden, waren ihre Peiniger auch mit dabei.

Innerhalb eines Tages neue Unterkunft gefunden
Deshalb hat der Dresdner CSD eingegriffen, der Verein hinter dem Christopher Street Day, dem Demonstrationstag der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender. CSD-Chef Ronald Zenker holte die schwulen Asylbewerber mit Helfern aus der Dresdner Zeltstadt. "Das Bündnis 'Dresden für alle' hat uns in einer Augustnacht angerufen", sagt Zenker. Die Flüchtlinge hatten sich ihrer Dolmetscherin anvertraut. Behörden und Verein zogen an einem Strang. Innerhalb von einem Tag brachte der CSD Suliman, Ktifan und Doori und einen weiteren schwulen Flüchtling privat unter - die ersten vier von vielen, sagt Zenker.

Wenn Homosexuelle in ihrer Heimat wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, ist das in der Europäischen Union seit 2013 ein Asylgrund. Das Bundesverwaltungsgericht in Deutschland hatte 1988 ähnlich geurteilt, damals ging es um den Iran. Mindestens 75 Staaten kriminalisieren laut dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSDV) gleichgeschlechtliche Sexualität. Die Todesstrafe droht Homosexuellen im Iran wie auch im Sudan, in Jemen und in Saudi-Arabien.

Wo gleichgeschlechtlicher Sex illegal ist
In Tunesien steht auf gleichgeschlechtlichen Sex Haft von bis zu drei Jahren. Auch in Marokko sind homosexuelle Handlungen strafbar. In Syrien ist gleichgeschlechtlicher Sex illegal. Im Libanon gibt es zwar eine halbwegs sichtbare Schwulen- und Lesbenszene, dennoch kam es schon wegen des "Verdachts homosexueller Handlungen" zu Verhaftungen.

In Ägypten ist Homosexualität juristisch nicht verboten, Verhaftungen und Medienkampagnen gibt es dennoch. Auch im Irak steht Homosexualität nicht offiziell unter Strafe, allerdings gibt es immer wieder tödliche Übergriffe auf Schwule. Das gilt im Übrigen für die ganze Region. Die Terrormiliz IS richtet Schwule in Syrien und im Irak öffentlich hin. Auch im Jemen droht ihnen die Todesstrafe.

Westbalkan-Staaten: Roma und Homosexuelle im Visier
In den Westbalkan-Staaten sind dem LSVD zufolge Roma, aber auch Lesben, Schwule oder Transgender Diskriminierung, Hass und Gewalt ausgesetzt. Der LSVD kritisiert zudem, dass Ghana und Senegal weiter als sichere Herkunftsstaaten gelten, obwohl dort laut dem Verband einvernehmliche homosexuelle Beziehungen unter Erwachsenen unter Strafe stehen.

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