Nach dem Bekanntwerden von Hunderten vertuschten Missbrauchsfällen in staatlichen Kinder- und Jugendeinrichtungen haben in Ungarns Hauptstadt Budapest am Samstag mehr als 50.000 Menschen den Rücktritt von Ministerpräsident Viktor Orbán gefordert. Sie waren einem Aufruf von Oppositionsführer Péter Magyar gefolgt, der die rechtsnationale Regierung Orbáns nun als „definitiv gescheitert“ sieht.
Magyars Tisza-Partei führte den Protestzug an und trug ein Banner mit den Worten „Lasst uns Kinder schützen“. „Normalerweise würde eine Regierung in so einem Fall gestürzt“, sagte der 16-jährige Demonstrant David Kozak der Nachrichtenagentur AFP. „Für sie sind nicht die Missbrauchsfälle das Problem, sondern dass sie aufgedeckt worden sind“, sagte er mit Blick auf die Regierung.
Mehr als ein Fünftel der Minderjährigen in Heimen betroffen?
Hintergrund der Proteste ist ein von Tisza am Freitag veröffentlichter Regierungsbericht aus dem Jahr 2021, in welchem von rund 3000 mutmaßlichen Missbrauchsfällen in ungarischen Kinderheimen die Rede ist. Dies entspricht mehr als einem Fünftel aller Minderjährigen in staatlicher Obhut. Er wurde 2022 an die zuständigen Behörden weitergeleitet, „um deren Arbeit zu unterstützen“, wie das Innenministerium in einer Stellungnahme erklärte.
Ermittlungen wegen „Mangel an Beweisen“ eingestellt
Dem Bericht zufolge wurden damals mehr als 320 Kinder in staatlicher Obhut Opfer sexueller Gewalt, 77 von ihnen wurden demnach missbraucht. Das Betreuungspersonal kritisierte laut dem Bericht zudem, dass Polizei oder Staatsanwaltschaft Ermittlungen ohne Anklage einstellten. Als Grund dafür sei meist ein Mangel an Beweisen genannt worden, hieß es.
Ebenfalls ins Kreuzfeuer der Kritik ist eine Jugendstrafanstalt in Budapest geraten. Auf Bildern einer Überwachungskamera war zu sehen, wie der Direktor der Einrichtung einen Jungen gegen den Kopf tritt. Vier Mitarbeiter waren Anfang der Woche in Gewahrsam genommen worden, die Regierung stellte alle Einrichtungen dieser Art unter polizeiliche Aufsicht. Schon zuvor waren drei weitere Mitarbeiter festgenommen worden, darunter ein ehemaliger Direktor, dem die Leitung eines Prostitutionsrings vorgeworfen wird.
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