Kostenexplosion bei Lebensmitteln, Wohnungen und Energie, gleichzeitig Sparprogramme und Subventionskürzungen – wo führt das alles hin? Caritas und Rotes Kreuz merken in ihren Einrichtungen: Da braut sich was zusammen. Eine Spurensuche in Tirol.
Sparen trotz Teuerung, den Staatshaushalt sanieren trotz notwendiger sozialer Aufgaben. Viele Menschen haben aktuell die berechtigte Sorge, dass sich das alles nicht ausgehen kann und letztlich die auf der Strecke bleiben, die bisher schon wenig hatten. An den Außengrenzen des Wohlstands häufen sich die Alarmsignale.
Viele Hilfesuchende und keine Verschnaufpausen
Das kann Tirols Caritas-Präsidentin Elisabeth Rathgeb nur bestätigen. Bei den Einrichtungen der Caritas sei die Nachfrage nach Unterstützungsangeboten hoch. Allein die Sozialberatung habe heuer bis Ende September knapp 4000 Anfragen bearbeitet. Die zentralen Themen sind die hohen Miet- und Energiekosten. Doch das allein ist es mittlerweile nicht mehr. Anders als in anderen Jahren blieb in diesem Jahr die Nachfrage nach Unterstützung auch in den Sommermonaten ungebrochen. Was Rathgeb daraus schließt: „Armut verfestigt sich zunehmend.“
336.000 Arme in Österreich
Das lässt sich auch aus einer Erhebung der Caritas ablesen. Demnach leben österreichweit 336.000 Menschen in Armut, davon 79.000 Kinder und Jugendliche. In Tirol gelten laut Armutsbericht des Landes 18.000 Personen als arm und rund 110.000 als armutsgefährdet. Wenig überraschend sind es vor allem Frauen mit Betreuungspflichten, die – versteckte – Armut trifft. „Die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ist ein wesentlicher Grund dafür. Dieses Risiko wird stark unterschätzt“, sagt die Caritas-Präsidentin. Familiengründung als Risikofaktor für Frauen – das sei immer noch bittere Realität.
„Abwärtsspirale, die schwer zu stoppen ist“
In der Folge sind auch Kinder und Jugendliche von Armut bedroht. „Diese verlieren nicht nur einen sicheren Ort zum Aufwachsen, sondern auch Perspektiven für die Zukunft“, macht Rathgeb auf langfristige Auswirkungen aufmerksam. Die Caritas-Präsidentin warnt davor, gerade jetzt Sozialleistungen auf mehreren Ebenen zu kürzen. „Das trifft vor allem jene, die am dringendsten Unterstützung brauchen. Es droht eine Abwärtsspirale, die schwer zu stoppen ist.“
Die Caritas sieht diese Dynamik bereits anlaufen. Somi Jochum, Leiterin der Caritas Sozialberatung in Tirol: „Viele unserer Klientinnen und Klienten kaufen in Sozialmärkten mit besonders günstigen Preisen ein – aber gegen Monatsende reicht selbst dafür das Geld oft nicht mehr.“ In der Caritas-Zentrale in Innsbruck wurden deshalb Regale mit Grundnahrungsmitteln zur freien Entnahme aufgestellt. „Sie sind regelmäßig leer“, berichtet Jochum abschließend.
„Die Teuerung geht nicht spurlos an der Gesellschaft vorüber“, sagt Stefan Biebel, Leiter der Abteilung Gesundheit und soziale Dienste beim Roten Kreuz Innsbruck. Aktuelle Zahlen belegen das. Die „Team Österreich Tafel“ ist ein Hilfsprojekt, das Bedürftige mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs versorgt. In Innsbruck und Axams wird diese Einrichtung vom Roten Kreuz Innsbruck (RKI) betrieben.
Auf Anfrage der „Krone“ hat das Team die aktuellen Zahlen erhoben. Die zentrale Erkenntnis: Der Bedarf ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. „Die Zahl der versorgten Menschen ist bei der Tafel in Innsbruck zwischen Jänner und September um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, im Axams um 36 Prozent“, heißt es beim Roten Kreuz. Mehr als 12.100 Personen wurden heuer über die Tafel in Innsbruck versorgt, in Axams waren es bisher knapp 1800. Die Kleiderausgabe des RKI nahmen heuer bisher an die 1200 Personen in Anspruch (+37 Prozent).
Das Rote Kreuz ortet eine Zunahme von Familien, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind. Stefan Biebel nennt weitere Gruppen, die häufig bei der Tafel vorbeischauen: „Mindestpensionistinnen und Mindestpensionisten, Alleinerzieherinnen, Langzeitarbeitslose und Menschen mit einer chronischen Erkrankung.“
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