Wiener Festwochen

Wenn sich Theater beunruhigend echt anfühlt

Kultur
18.05.2025 13:10

In der Performance-Installation „Das letzte Jahr“ bietet das Theaterkollektiv Signa Besuchern eine eindringliche Idee vom Altern. Im Funkhaus wird eine intensive Mitmach- und Mitfühlreise ans Ende des eigenen Lebens simuliert. Die 25 Vorstellungen bis Ende Juni sind ausverkauft.

„Das Leben zieht sich langsam zurück. Dein Körper ist kein Haus mehr. Nur ein dünnes Zelt im Wind.“ Wie wird es sich anfühlen, einmal selbst pflegebedürftig zu sein? Oder langsam dement zu werden? In der Performance-Installation „Das letzte Jahr“ bei den Wiener Festwochen lässt sich eine Idee davon erleben – am eigenen Leib.

Die Theatermacher von Signa haben im leerstehenden Funkhaus eine bedrückend realistische Demenz-Station nachgebaut. Sechzig Theaterbesucher werden hier selbst zu Patienten. Ganze sechs Stunden lang. Vierzig Darsteller geben die Ärzte und Pflegerinnen, Sterbende und Angehörigen. Die Grenzen zwischen Publikum und Bühne lösen sich auf. Es ist wie ein Computer-Rollenspiel. Nur eben analog.

Zum Beginn gibt es einheitlich graues Pflegeheim-Outfit und fremde Namen für die Zuseher, das gewohnte Ich wird in Säcke gepackt. Dann tauchen die Besucher in immer neuen kleinen Gruppen am „Veilchenhang“ ein in die Biografie ihres Theatercharakters – bei der Gymnastik oder der Biografiearbeit, beim Bingo oder auch beim Gang auf die Toilette. Die anderen spielen den König – nach diesem Spruch funktioniert auch diese Theaterinstallation. Wer sechs Stunden lang als dement und pflegebedürftig behandelt wird, wird sich schon sehr bald so fühlen. Und genau um dieses Erlebnis geht es in „Das letzte Jahr“. Sofern man sich darauf einlassen kann – und Berührungsängste überwinden kann.

Wie es sich anfühlt, zu vergessen

„Nicht spielen, sondern spüren“ wird den Teilnehmern der Simulation immer wieder nahegelegt. Spüren, wie es sich anfühlt, sich an den Skandal des Vortages nicht mehr erinnern zu können, von dem alle anderen reden; den Liedtext des Gruppenliedes (schon wieder) vergessen zu haben. Zu spüren, den Kontakt zu einer fremd gewordenen Außenwelt zu verlieren, weil alle anderen von Dingen sprechen, die nicht ins eigene Weltbild passen – von Wasserknappheit, Bürgerkrieg oder der jüngsten Cholera-Pandemie.

Das Funkhaus haben die Theatermacher mit wenigen Eingriffen und authentischen Bewohnerinnen (im Bild: Sonja Salkowitsch) vom Bürogebäude zur Heilanstalt umfunktioniert.
Das Funkhaus haben die Theatermacher mit wenigen Eingriffen und authentischen Bewohnerinnen (im Bild: Sonja Salkowitsch) vom Bürogebäude zur Heilanstalt umfunktioniert.(Bild: Erich Goldmann)
Das Pflegepersonal verpasst Fußbäder, füttert und stützt beim Stiegensteigen. Im Bild: Annabel Grosse und Marcel Jacqueline Gisdol
Das Pflegepersonal verpasst Fußbäder, füttert und stützt beim Stiegensteigen. Im Bild: Annabel Grosse und Marcel Jacqueline Gisdol(Bild: Erich Goldmann)
Beim Tanz-Tee auf der Demez-Station wird der Schaukelschritt geübt, man kommt sich näher. Für manchen Bewohner wird das auch der Sterbeort.
Beim Tanz-Tee auf der Demez-Station wird der Schaukelschritt geübt, man kommt sich näher. Für manchen Bewohner wird das auch der Sterbeort.(Bild: Erich Goldmann)
Auch beim gemeinsamen Singen verschwimmen die Grenzen zwischen Besuchern und Darstellern. Im BIld: Katharina Mairinger, Evi Meinardus und Anina Doinet
Auch beim gemeinsamen Singen verschwimmen die Grenzen zwischen Besuchern und Darstellern. Im BIld: Katharina Mairinger, Evi Meinardus und Anina Doinet(Bild: Erich Goldmann)

Aber auch spüren, wie es sich anfühlen könnte, die eigenen Tochter nicht zu erkennen und den zärtlichen Schmerz in ihren Augen zu sehen, wenn sie vom gewaltvollen Tod des Vaters erzählt. Verstärkt wird dieses beunruhigend verwirrende Sich-unwohl-Fühlen durch einen steten Klangteppich aus Wummern, Kampfgeräuschen und fernem Hundegebell. Die Welt jenseits der Station wird zunehmend fremd und bedrohlich. Die Charaktere spielen auch ihren eigenen Tod durch – schrecklich banal bei nachmittäglichen Tanz-Tee oder beim Arztgespräch.

Echtheit in der Künstlichkeit
Geht es im Theater sonst um die Emotionen der Darsteller, so steht bei „Das letzte Jahr“ das Erlebnis der Besucher im Zentrum. Auch wenn die Produktion gegen Ende Längen hat und das Finale nicht schlüssig ist, so definiert es den emotionalen Wert von Theater neu. Besucher betrachten hier nicht einfach eine künstliche Welt, sie werden Teil davon – und der fühlt sich verdammt echt an. Was es über eine Gesellschaft sagt, dass Menschen in der Künstlichkeit des Theaters echte Emotion suchen und finden, beschreibt eine ganz andere Beunruhigung.

Wer sich darauf einlassen kann, bekommt in Reinform alles, was Theater auszeichnet: Menschen ihren Alltag vergessen zu machen, sie geschützt aus der eigenen Komfortzone zu holen, heikle gesellschaftliche Themen anzusprechen, zum Nachdenken anzuregen, zu beunruhigend und zu berühren.

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