Jahrestag in Ägypten
Der “Pharao” ist weg – die Probleme sind geblieben
Geschürt werden diese Zweifel von aktuellen Angriffen auf die Meinungsfreiheit, einem Verfahren gegen ausländische Stiftungen und der Misshandlung von Demonstranten durch die Polizei. Mehr als 30 Oppositionsgruppen hatten aus Protest dagegen für den Jahrestag am Samstag zu einem unbefristeten Generalstreik aufgerufen. Kaum einer folgte ihm allerdings. Dafür demonstrierten zahlreiche Menschen für den sofortigen Rückzug des Militärs von der Macht.
Islamisten geben nun den Ton an
Im neuen Parlament, das in einem komplizierten Verfahren zwischen Ende November und Mitte Jänner gewählt wurde, geben jetzt die Islamisten den Ton an. Und die streiten sich lieber darüber, wie laut der Gebetsruf sein soll, statt Streiks oder Proteste zu organisieren.
"Der 11. Februar ist ein Tag des Aufbaus und nicht der Zerstörung", zitierte die ägyptische Presse kürzlich Mohsen Radi von der Partei der Muslimbrüder. "Die Legitimität ist nicht mehr bei den Demonstranten auf dem Platz, sondern im Parlament", lautet die neue Lösung der radikal-islamischen Partei des Lichts. Die radikalen Islamisten stellen mit 24 Prozent der Sitze die zweitgrößte Gruppe im Parlament, nach der Fraktion der Muslimbrüder mit 47 Prozent.
Wirtschaft im Abwärtssog
Für die ägyptische Wirtschaft sind sowohl die Proteste als auch die islamistischen Slogans der neuen Parlamentarier Gift. Die Touristenzahlen schrumpfen. Ausländische Investoren machen seit Jänner 2011 einen Bogen um Ägypten. Der Staat muss für neue Kredite wegen der politischen Unsicherheit derzeit hohe Zinsen akzeptieren. Die Übergangsregierung kommt nicht umhin, die Gehälter der Staatsbeamten zu erhöhen. Denn das Volk verlangt nach einer "Revolutionsdividende". Hinzu kommt die wachsende Kriminalität. In Kairo wurden in den vergangenen Wochen mehrere Kinder wohlhabender Familien von Lösegelderpressern entführt.
Auch Karim Sadek, Geschäftsführer von Citadel Capital, einer der größten privaten Beteiligungsgesellschaften der Region mit Sitz in Kairo, hätte allen Grund, alarmiert zu sein. Der Wert der Citadel-Aktien hat sich seit dem Abgang von Mubarak halbiert. Der Transfer von Geldern ins Ausland ist momentan erschwert. Dennoch hofft Sadek, dass seinem Heimatland Ägypten am Ende der Übergangszeit doch noch eine rosige Zukunft bevorsteht - ohne Vetternwirtschaft, Analphabetismus und Polizeigewalt.
Der Manager war bei den Protesten gegen Mubarak vor einem Jahr von der Polizei grün und blau geschlagen worden, als er medizinische Hilfsgüter für die Demonstranten zum Tahrir-Platz bringen wollte. Er sagt heute: "Ich wollte damals helfen, weil ich mich in den letzten Jahren immer für die Politik in meinem Land geschämt hatte. Denn Mubarak hat Ägypten regiert wie ein Pharao. Und wenn der Umsturz vor einem Jahr eine positive Sache bewirkt hat, dann ist es, dass in Ägypten nie wieder ein Pharao herrschen wird."
Blick in eine ungewisse Zukunft
Wann die Ägypter einen neuen Präsidenten wählen werden - im Juni oder vielleicht doch schon im Mai - wissen derzeit nur die Generäle, die sich ungern in die Karten schauen lassen. Und welche Befugnisse das neue Staatsoberhaupt haben wird, kann vor Abschluss der geplanten Verfassungsreform auch niemand sagen. Mubarak, dem wegen der tödlichen Schüsse auf Demonstranten auf dem Tahrir-Platz der Galgen droht, wird den ersten Jahrestag seines Rücktritts wohl als Untersuchungshäftling im Krankenbett verbringen.
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