Interview & Neue EP

Lila Sovia: Künstlerischer Kampf für Verständnis

Wien
17.05.2023 09:00

23 Jahre jung, aber schon ein Drittel des Lebens auf den Bühnen dieser Welt - Lila Sovia setzt sich via Musik, Spoken-Word-Performances und Workshops für Toleranz, Akzeptanz und Queerfeminismus ein. Auf der zweiten EP „No Need For Speed“ wabern auch Kapitalismuskritik und Durchhalteparolen mit. Ein Gespräch über Kultur, Verständnis und die Wut aufs System.

Autorenschaft, Spoken-Word-Performances, queerfeministischer Rap, Lehramtsstudium, Schauspielkurse oder Workshops - das Leben von Lila Sovia ist nicht nur aufgrund des markanten lila Vokuhilas bunt. Mit gerade einmal 23 Jahren ist Sovia aus der queeren Kunstszene nicht mehr wegzudenken. In Wien befindet sich Sovia gerade auf Erasmus, doch kulturell prägend waren die Geburtsstadt Leipzig und dann vor allem Hamburg. „Städte wie Hamburg und Wien sind natürlich deutlich revolutionärer und auch politisch kontroverser“, so Sovia im „Krone“-Interview, „ich bin mit 18 von Leipzig nach Hamburg gegangen und dort war der Zugang zur Kunst natürlich viel leichter. Vor Wien wurde ich in Deutschland immer gewarnt, dass es so superrechts und rassistisch sei, dafür habe ich die Kulturszene mit Schwesta Ebra, Gazal oder Kerosin95 hier so stark wie kaum wo sonst erlebt.“

Das Wort gegen den Klang
Sovia begann mit dem Schreiben und entschied sich schon mit 17 dazu, das Geld hauptsächlich auf der Bühne zu verdienen. Mittlerweile gibt Sovia auf Unis Workshops, ist Stammgast auf Buchmessen und hat im Schreiben die eigene Identität gefunden. In der Musik ist die Findungsphase noch lange nicht abgeschlossen. „Das Wort war für mich schon immer existent, deshalb muss sich der Sound den Weg der Wichtigkeit erst noch erkämpfen. Rap heißt ja nichts anderes als ,Rhythm And Poetry‘, wobei Musik und Text nah beieinanderstehen. Mein Umgang mit dem Text an sich hilft mir jedenfalls, Rap und Musik im Generellen besser zu verstehen.“ Die Musik gibt es in Sovias Leben erst seit Herbst 2021, wo ein folgenschweres Treffen mit dem Produzenten Dior neue Karrieretüren öffnete.

Im Jänner 2022 erschien die erste gemeinsame Single „You Know The Dill“, drei Monate später sorgt das Duo mit der Debüt-EP „FLINTA“ für Aufsehen. Queerfeministische Rapper*innen wie Saskia Lavaux oder Schwesta Ebra sind Teil des Produkts, bei der dazugehörigen Release-Show sind u.a. auch Alice Dee, NASHI44 oder Queenwho mit an Bord. Von dort weg folgen Auftritte auf renommierten Festivals wie dem Dockville, dem Lunatic oder dem Vogelball. Doch gerade in diesem Segment sieht Sovia gewaltigen Aufholbedarf. „In der Musikbranche sind nicht alle Mainstreambühnen für alle sicher. Es ist immer noch für viele sicherer, queere Menschen, die queere Musik machen auf queer-gelabelte Veranstaltungen zu buchen. Viele Künstler*innen in meinem Umkreis möchten für die Musik gebucht werden und nicht wegen ihrer Person.“

Auf der Suche nach Heilung
Gut ein Jahr nach „FLINTA“ erscheint nun mit „No Need For Speed“ eine weitere EP, die sich inhaltlich aber mit anderen Themen befasst und im Vergleich etwas handzahmer rüberkommt. „Die neue EP ist nicht mehr so wütend, weil ich nicht mehr so wütend bin“, erklärt Lila Sovia, „es geht mehr darum, wie ich mit der Arbeitswelt umgehe und versuche, mich künstlerisch nicht ausbeuten zu lassen. Ich möchte nicht mein ganzes Leben lang wütend sein, sondern auch mal Heilung finden.“ Selbst wandelt Sovia derzeit in drei Jobs, dazu gibt es die Uni, Workshops und die Musik. Ein Hustle, der aktuell leider notwendig ist. „Was ich mit der Musik verdiene, stecke ich eins zu eins ins Merchandise, das fair produziert wird. Von einem verkauften Pulli bleiben mir fünf Euro. Meine Miete zahle ich mit Gastdozierendenschaften und meinen Workshops. Alles ist in dieser Gesellschaft an Wirtschaftlichkeit und Kapitalismus gebunden, das ist nicht immer leicht.“

Die Grenzen zwischen passionierter Leidenschaft und drohendem Burn-Out verschwimmen oft, davon kann auch Sovia ein Lied singen. „Es ist für mich unheimlich schwierig den Punkt zu finden, wo ich merke, jetzt ist mal genug. Ich bin oft überreizt, schlafe schlecht oder muss Schmerztabletten nehmen, um zu funktionieren. Die EP ,No Need For Speed‘ erinnert mich daran, was ich eigentlich weiß, aber viel zu selten ernst nehme. Es hat einen Grund, warum selbst große Popstars wie Shawn Mendes oder Arlo Parks Konzerte oder ganze Tourneen absagen. Wir müssen uns füreinander und umeinander kümmern, denn das System wird es nicht tun.“ Die Sorgen, Unsicherheiten und Belastungen von Gegenwart und Zukunft treiben Sovia künstlerisch an. „Wir leben in einem System, das uns und die Umwelt zerstört und ich habe versucht, diesen Frust zu verbalisieren und einzugrenzen, weil mir diese Krisen oft Sprachlosigkeit und den Wunsch zu Verdrängung bescheren.“

Geteiltes Leid ist halbes Leid
Der Kampf gegen Windmühlen und die fehlenden Zukunftsperspektiven ermatten Lila Sovia genauso wie viele andere. „Man verschiebt permanent Dinge auf später, die eigentlich sehr konkret sind.“ Die Musik sieht Sovia auch als Gemeinschaftsprojekt. Quasi eine kulturelle Schulter, an die man sich lehnen kann. „Es tut gut zu sehen und zu wissen, dass man nicht alleine ist. Wenn man Leid teilen kann, dann lässt sich daraus Stärke ziehen.“ Von „No Need For Speed“ wird es planmäßig im November auch einen Nachfolger geben „Der wird sicher wieder angriffiger, weil es mein Plan war, dass auf den beiden EPs verschiedene Stimmungen herrschen. Ich habe keine Lösungen für die Probleme dieser Welt und ich will auch nicht den Kapitalismus stürzen, aber Teil zwei dieses Kapitels wird gleichermaßen trittfester wie zärtlicher.“ Zuerst erscheint im Juli noch ein Song namens „Süßmaus“ - Sommerhit nicht ausgeschlossen.

Live in Wien
Mit der neuen EP „No Need For Speed“ und ein paar älteren Songs kann man Lila Sovia diesen Sommer live in Wien sehen. Am 24. Juni werden die Lieder im Venster99 vorgestellt - Karten an der Abendkasse werden verfügbar sein.

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