Neuer „Gamechanger“?

Still und heimlich: Gleitbomben segeln an Front

Ausland
24.01.2023 16:30

Überschattet von der zermürbenden „Leopard-2-Panzer oder doch nicht“-Debatte arbeitet die US-Regierung im Hintergrund eifrig daran, den nächsten „Gamechanger“ an die Ukraine zu liefern: sogenannte „GLSDBs“. Hinter der unaussprechlichen Buchstabenfolge verbirgt sich ein Waffensystem, das den Russen noch mehr Kopfweh als die HIMARS-Raketenwerfer bescheren könnte.

Was sind GLSDBs?
Die Abkürzung „SDB“ bedeutet „small diameter bomb“, sie bezeichnet kleinere Bomben mit niedrigem Querschnitt und Gefechtsköpfen unter 100 Kilogramm, die aber aufgrund ihres geringen Gewichts kilometerweit „segeln“ können. Dazu klappen sie im Flug zwei Tragflächen aus, per GPS oder Laser finden sie ihr Ziel. Ursprünglich wurden sie für Flugzeuge entwickelt, die die Bombe aus großer Höhe und Entfernung vom Feind entfernt abwerfen und sofort umdrehen können, während die Waffe selbstständig über Dutzende Kilometer zum Ziel gleitet. Mittlerweile gibt es aber auch eine Variante, die vom Boden aus abgefeuert werden kann, auf Englisch „ground-launched“ - das „GL“ am Beginn der Abkürzung. Diese Variante soll nun - mangels Flugzeugen - in der Ukraine zum Einsatz kommen.

Warum werden diese Waffen plötzlich relevant?
Weil sie bislang noch nicht in der Ukraine eingesetzt wurden, aber in den nächsten Hilfspaketen des Pentagon auftauchen könnten: Neben „Stryker“-Radpanzern (ähnlich dem österreichischen „Pandur“) sollen laut „Politico“ eben auch erstmals GLSDBs im Wert von mehreren Millionen Dollar geliefert werden. In der offiziellen Auflistung des US-Verteidigungsministeriums fehlen sie allerdings derzeit noch, auch das Weiße Haus müsste bei einer Lieferung zustimmen.

Wie funktioniert die Artillerie-Variante der Waffe?
Relativ simpel: Anstelle eines Flugzeugs bringt ein Raketenmotor die Gleitbombe auf ihre Starthöhe von mehreren Tausend Metern über dem Grund. Dort angekommen, trennt sich der ausgebrannte Motor von dem Gefechtskopf, die danach selbstständig in Richtung Gegner gleitet. Und dabei kaum Geräusche macht: „Durch die geringe Gleitgeschwindigkeit hört man kaum ein Pfeifen wie bei normalen Artilleriegeschossen. Es gibt keine Vorwarnung, plötzlich explodiert etwas neben einem“, erklärt der ehemalige Oberst der US Air Force, Jeff Fischer, im „Krone“-Gespräch. „Es ist eine furchteinflößende Waffe“ - auch wegen der Genauigkeit von rund einem bis fünf Metern.

Wieso könnte sie ein nächster „Gamechanger“ im Ukraine-Krieg sein?
Aufgrund der immensen Reichweite: Öffentlich wird sie mit 150 Kilometern angegeben, bei günstigen Windverhältnissen dürfte sie darüber liegen. Das ist rund das Doppelte der gefürchteten HIMARS-Raketen, die aktuell in der Ukraine höchst erfolgreich im Einsatz sind. Von Cherson aus könnte mit GLSDBs damit rund ein Drittel der Krim beschossen werden, im Osten wäre der gesamte russisch besetzte Donbass in Reichweite. Jedes Waffen- oder Treibstofflager, jede Truppenunterkunft und jeder Kommandostand in diesem Gebiet wären bei entsprechender Aufklärung gefährdet.

Stichwort „Aufklärung“: Gibt es genügend Ziele für die Waffe?
Das ist tatsächlich ein Kuriosum an Präzisionsmunition: Sie trifft so schnell, dass die eigene Aufklärung nicht nachkommt, neue Ziele zu ermitteln. „Man könnte an den Punkt geraten, an dem der limitierende Faktor der GLSDBs die Anzahl bekannter Ziele ist“, erklärt Fischer.

Was sind die Nachteile der Waffe?
Der Gefechtskopf ist mitunter kleiner als bei HIMARS-Raketen, auch wird durch die langsamere Geschwindigkeit weniger kinetische Energie „mitgegeben“. Dies wird kompensiert durch neueres, potenteres Bombendesign, mit dem eine ähnliche Leistung bei geringerem Gewicht erzielt werden soll. Außerdem lassen sich mit der rein GPS-gesteuerten Variante keine beweglichen Ziele bekämpfen. Die Laser-Variante kann dies schon, erfordert aber eine Person, Drohne oder Flugzeug, die das Ziel bis zum Einschlag markiert.

Wer stellt sie her?
Die vom Boden aus gestartete GL-Variante ist zum Teil eine europäische Erfindung, es handelt sich um eine Zusammenarbeit zwischen der US-Firma Boeing und dem schwedischen Waffenproduzenten SAAB.

Mit welchem Effekt rechnen Experten auf dem Schlachtfeld?
„Das Leben wird für die russischen Streitkräfte sehr ungemütlich werden, dank GLSDBs wird es weniger Rückzugsorte geben“, meint der ehemalige General der US-Landstreitkräfte, Ben Hodges. Vor allem logistische Unterstützung der russischen Truppen an der Front, darunter der Munitionsnachschub, aber auch Reparaturmannschaft, sei gefährdet. Oberst Markus Reisner vom Bundesheer ergänzt: „Der Effekt dieser Waffe könnte jenen möglicher Leopard-2-Panzer übersteigen.“

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