Schöffe schrieb Brief

Chorherr-Prozess: Zweifel an voller Unabhängigkeit

Wien
18.11.2022 09:54

Aufregung am Wiener Landesgericht: Ein Ersatzschöffe wollte im Chorherr-Prozess wegen einer Aussage im Schöffenzimmer zurücktreten. Verteidiger Michael Rami stellte den Antrag, dass der beisitzende Richter abgezogen wird: „Die volle Unabhängigkeit ist nicht mehr gegeben.“ Die weiteren Anwälte schlossen sich dem Antrag an. Der Senat wies diesen jedoch ab.

Tag drei im Verhandlungsmarathon um den Ex-Grünen Christoph Chorherr startete mit einer Besonderheit: Richter Michael Tolstiuk legte den Brief eines Schöffen vor. Darin meinte dieser, sich als Schöffe zurückziehen zu wollen. Grund dafür sei ein Vorfall im Schöffenzimmer am 8. November. Dort fragte ein Anwesender, wie lange die Verhandlung dauern werde. Der beisitzende Richter soll darauf geantwortet haben: „So lange, bis alle verurteilt sind!“ Zudem hätten nicht alle Schöffen die Anklage samt Gegenausführungen zum gleichen Zeitpunkt erhalten.

„Habe es anders empfunden“
Richter Tolstiuk projizierte den Brief an die Wand des großen Schwurgerichtssaals: „Es geht mir um volle Transparenz“, sagte er. In einem Gespräch mit dem Schöffen habe er das Missverständnis geklärt, was dieser bestätigte. Auf Wunsch von Michael Rami, Verteidiger von Wilhelm Hemetsberger, wurde die Verhandlung daraufhin unterbrochen, anschließend die Schöffen und die Ersatzschöffen einzeln befragt: „Ich hörte zwar die Aussage, habe sie aber anders empfunden. So, dass es positiv oder negativ ausgehen kann“, meinte eine. Drei weitere bestätigten ebenfalls den Wortlaut der Aussage, andere wiederum können sich nicht mehr daran erinnern. Umfangreiche Unterstützung gab es für den Kollegen aber nicht.

Erneut kam es zu einer Unterbrechung. Der Antrag, den beisitzenden Richter wegen des „Anscheins der Befangenheit“ abzuziehen, wurde im Senat abgelehnt. „Befangenheit im Sinne des gestellten Antrags liegt nicht vor“, so der Richter. Er räumte aber ein, dass Worte „missinterpretiert“ werden können. Die Befragung von Christoph Chorherr wird mit eineinhalb Stunden Verzögerung fortgesetzt.

Es geht um Spenden an Chorherr-Verein 
Dem Ex-Grünen wird in dem Prozess „Bestechlichkeit“ und „Missbrauch der Amtsgewalt“ vorgeworfen. Laut Staatsanwaltschaft soll der 61-Jährige in der Zeit von Rot-Grün in Wien für das Herbeiführen von Gemeinderatsbeschlüssen zu Flächenwidmungen Spenden an seinen Verein „S2Arch“, der Schulprojekte in Südafrika vorantreibt, angenommen bzw. gefordert haben. Mitangeklagt sind neun Wirtschaftstreibende aus der Immobilien- und Investmentbranche.

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