Kritik am Exportmodell

Mehr Regionalität, mehr Lebensqualität?

Vorarlberg
22.10.2022 17:25

Vorarlberg rühmt sich gerne als Exportland - doch ist dieser Eifer gut für die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt? „Nein“, sagt zumindest der Schweizer Ökonom Werner Vontobel, der jüngst in Bregenz zu Gast war.

Diese Woche wurde im Bregenzer Kosmos Theater im Zuge eines Diskussionsabends über ein neues Verständnis von Marktwirtschaft debattiert. Zu Gast war unter unter anderem der Wirtschaftsjournalist und Ökonom Werner Vontobel. Und was der zu sagen, ließ so einige im Publikum mit den Ohren wackeln: Es brauche einen Systemwandel - weg vom Wetteifern um die billigsten Arbeitskräfte und Produktionsstandorte, hin zu guten regionalen Jobs und dem, was die Gesellschaft wirklich benötige. Es brauche weiters eine Arbeitszeitreduktion, damit sich die Menschen mehr dem widmen können, was für sie wichtig ist - der Familie, der Gemeinschaft, der Gesellschaft.

„Aktuell wird viel Potential einfach vergeudet“, ist Vontobel überzeugt. Am meisten stört ihn das „verbohrte Festhalten am sogenannten Standortwettbewerb“, also das Rittern um Exportbetriebe. „Das macht so vieles kaputt!“ Durch Steuervergünstigungen - in Österreich zuletzt die Senkung der Körperschaftssteuer - würden Köder für Investoren ausgeworfen. „So zieht man Jobs von anderen Standorten ab und nimmt sie weg.“ Die Millionenbeträge, die den Unternehmen zufließen, fehlten dann für weit nachhaltigere Investitionen - etwa in die Bildung, die Kinderbetreuung oder die Pflege. Weit intelligenter wäre es, so Vontobel, vorwiegend das zu produzieren, was die Menschen vor Ort brauchen. Das würde auch den Arbeitsmarkt stärken. Die Mär von der Exportindustrie als Jobmotor tauge hingegen „höchstens noch für Lagerfeuerunterhaltung“. Denn durch den Produktivitätsfortschritt werde Arbeit stetig wegrationalisiert. Und andererseits steige aufgrund hoher Immobilienpreise und Mieten der Bedarf an Erwerbseinkommen. Bezahlte Arbeit wird knapp. Es braucht deshalb mehr Jobs. Doch woher nehmen?

Vontobels Lösungsvorschlag: „Durch Regionalisierung, Dienstleistungen und Versorgung vor Ort ließen sich viele neue Arbeitsplätze schaffen.“ Michael Diettrich, Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz und ebenfalls Diskussionsgast, verweist auf die Faktenlage: „Während in der Industrie in Vorarlberg in den letzten zehn Jahren nur elf Prozent mehr Jobs entstanden sind, waren es im öffentlichen Bereich, etwa in der Bildung oder der Gesundheit, 40 Prozent.“

Setzen wir die falschen Prioritäten im Leben?
Vontobel beklagt, dass die Erwerbsarbeit viel zu sehr zum alleinigen Mittelpunkt unseres Lebens geworden sei. „Wie wichtig Arbeit vor allem für Männer ist, zeigen Forschungsergebnisse. Demnach beeinträchtigt Arbeitslosigkeit das Glück genauso wie eine mittelschwere Erkrankung. Soziale Integration findet zudem zu einem großen Teil nur noch über Arbeit statt.“

Das Rad scheint festzustecken. Das System der Marktwirtschaft ist darauf ausgelegt, bezahlte Arbeit immer billiger zu machen - durch Flexibilisierung, Leiharbeit, Senkung der Lohnnebenkosten oder durch Personenfreizügigkeit. „Es gewinnt nicht der, der am effizientesten produziert und wirtschaftet, sondern der beste Ausbeuter“, findet Vontobel klare Worte. Die Folge: „Unternehmer werden immer mächtiger, die Ungleichheit nimmt zu. Grundlegende Bedürfnisse rücken immer mehr in den Hintergrund. Der Frust wächst folglich, die Solidarität in der Gesellschaft nimmt hingegen ab.“

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Es gewinnt nicht der, der am effizientesten produziert und wirtschaftet, sondern der beste Ausbeuter

Werner Vontobel

Exportfixierung schadet der Binnennachfrage
Wir seien zu sehr auf den Export fixiert - gerade auch in Vorarlberg. „Alles, was den Export fördert, schwächt die Binnennachfrage“, sagt Vontobel und legt mit einer durchaus provokanten Gleichung nach: „Ein Exportjob mehr sind zwei einheimische Arbeitsplätze weniger.“

Der Ökonom plädiert zudem dafür, die Arbeitszeit auf 30 Stunden in der Woche zu reduzieren. Die Vorteile: „Erwerbsarbeit könnte besser auf alle - Frauen und Männer - aufgeteilt und die zusätzliche Freizeit für soziale Bedürfnisse aufgewendet werden, wobei eine Gesellschaft viel zu gewinnen hätte.“ Vieles, wofür wir Geld ausgeben, könne von der Gemeinschaft in einer Art Selbstversorgerverbund geregelt werden. Arbeit muss dahin, wo die Menschen sind, ist Vontobel weiters überzeugt und nennt das Beispiel der „15-Minuten-Stadt“. Die Vision dahinter: Alle Alltagswege sollten ohne Auto in maximal 15 Minuten zu bewältigen sein. „Mehr Wohlstand mit weniger Stress, kürzeren Wegen und weniger Umweltschäden - das alles ist möglich!“

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