Eva Hammerer:

„Vorarlberg nicht den Brandstiftern überlassen“

Vorarlberg
05.05.2024 08:15

Schriftsteller Robert Schneider hat mit Vorarlbergs Grünen-Frontfrau Eva Hammerer über ihren Werdegang, grüne Werte und das rauer werdende politische Klima gesprochen - der Auftakt zu einer neuen Reihe von Politiker-Gesprächen. 

Robert Schneider: Eva Hammerer, ich frage Sie wie ein Kind: Erklären Sie mir „Grün“.
Eva Hammerer: Grün ist für mich: verlässlich, sauber und stabil ...

Redet jetzt die Politikerin oder noch die Mama?
Je mehr ich mich mit Politik beschäftigt habe, umso mehr ist mir klar geworden, dass fast alles scheinbar Alltägliche politisch ist. Was ich esse, wie ich mich fortbewege, was ich kaufe, wie unser Familienleben ausgestaltet und aufgeteilt ist. Helfen die Buben gleich viel im Haushalt mit wie die Mädels? Wer kümmert sich um die Oma, um Haus und Garten? Wer hat nach der Arbeit frei? Das sind im Grunde hochpolitische Fragen.

Von Haus aus sind Sie Juristin und Mutter von vier Kindern. Bei den Gemeindevertretungs- und Bürgermeisterwahlen im Jahr 2015 kandidierten Sie zum ersten Mal als Spitzenkandidatin für die Harder Grünen und konnten auf Anhieb fast neun Prozentpunkte dazugewinnen. Wie hat sich die Farbe „Grün“ seitdem verändert? Ist nicht alles ein wenig verwaschen, ausgebleicht?
Sehe ich nicht so. Als ich angetreten bin, stand das Wort „Klimaschutz“ noch überhaupt nicht im Parteiprogramm. Daniel Zadra und ich haben gerade einen langen Arbeitsprozess hinter uns, bei dem wir gemeinsam mit der grünen Basis ein völlig neues Programm erarbeitet haben. Dass Großeltern vor dem Landestheater für die Zukunft ihrer Enkel oder der Kinder, die noch nicht geboren sind, demonstrieren, ist eine riesengroße Veränderung, die 2015 noch nicht denkbar gewesen wäre.

Eva Hammerer und Robert Schneider beim Gespräch am Höchster Bodenseeufer. (Bild: Mathis Fotografie)
Eva Hammerer und Robert Schneider beim Gespräch am Höchster Bodenseeufer.

Den Klimaschutz heftet sich aber doch inzwischen jede Partei ans Revers.
Mit dem kleinen Unterschied, dass es die Grünen waren, die diese Diskussion maßgeblich angestoßen haben und ehrlichen Klimaschutz konsequent umsetzen. Wesentlicher Unterschied ist, dass die Grünen den Klimaschutz in allen Bereichen mitdenken und ihn nicht als Klotz am Bein, sondern als Chance für eine gute Zukunft sehen.

Gibt es so etwas wie ein politisches Erweckungserlebnis in Ihrem Leben?
Das war auf dem Gymnasium, Unterstufe. Wir hatten gute Lehrer, die damals die Umweltverschmutzung thematisierten. Bei mir zuhause war das ja überhaupt noch kein Thema. Ich dachte mir noch ganz naiv: Warum unternimmt man nichts dagegen? Also gründete ich in meiner Freizeit einen Umweltclub. Wir hatten sogar ein Clublokal im Keller einer meiner Freundinnen. Aber dann wurde es bald allen zu blöd. Ich war tief enttäuscht. Das war meine eigene kleine, grüne Bewegung. Heute denke ich gerne daran zurück.

Sie waren also die Bandenchefin?
Irgendwie war es immer meine Rolle, vorne hinzustehen und zu schauen, dass alles funktioniert. Hängt wohl damit zusammen, dass ich die älteste Tochter bin und noch zwei jüngere Brüder habe. Ich musste Verantwortung übernehmen.

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Wesentlicher Unterschied ist, dass die Grünen den Klimaschutz in allen Bereichen mitdenken und ihn nicht als Klotz am Bein, sondern als Chance für eine gute Zukunft sehen.

Eva Hammerer

Keine Scheu vor Menschen?
Schüchtern bin ich nicht. Ich mag Menschen und rede auch wahnsinnig gerne mit ihnen. Ich sage meine Meinung, stelle mich auch vorne hin, wenn es die Situation verlangt. Aber Vordrängen um jeden Preis, nur damit ich gesehen werde, das wäre mir peinlich.

Im Frühjahr mussten die Grünen Deutschlands wegen heftiger Übergriffe ihren politischen Aschermittwoch in Biberach absagen. Haben Sie eine Erklärung dafür? Warum brandet Politikern und Politikerinnen so viel Wut entgegen?
Das betrifft sicherlich nicht nur die Grünen, aber es stimmt: Der Umgang miteinander ist rauer geworden. Ich sehe drei Phänomene, die ineinandergreifen. Zum einen funktioniert der Begriff der Autoritätshörigkeit nicht mehr, was ich an sich begrüße. Nur darf das nicht mit Respektlosigkeit verwechselt werden. Zum andern spielt Social Media und die damit verbundene Anonymität eine sehr große Rolle und zum dritten ist einfach so viel Ungerechtigkeit vorhanden, die die Menschen zurecht wütend und traurig macht.

Wie gehen Sie mit Kränkungen um?
Ich versuche, sie einzuordnen. Wenn ich nicht aushalte, dass mich nicht jeder toll findet, kann ich diesen Job keine Sekunde lang machen. Was an mir nagt, sind Kränkungen in meinem eigenen Umfeld, innerparteilich, wenn ich etwas nicht gut genug gemacht habe. Mein politischer Tiefpunkt war, als ein fixfertiges Untersuchungsrechte-Paket gekippt wurde, das dem Land Vorarlberg ein Instrumentarium für einen Untersuchungsausschuss in die Hand gegeben hätte. Das wäre für die Demokratie in diesem Land ein Meilenstein gewesen. Meilenstein ist gar kein Ausdruck.

Ich frage den Menschen Eva Hammerer: Wie gehen Sie mit persönlichen Anfeindungen um?
Einmal erzählte mir ein sehr gescheiter Mann ein schönes Gleichnis: Du schleppst dich mit vollen Einkaufstaschen die Treppe hoch. Plötzlich kommt dir jemand entgegen und rempelt dich an. Die Taschen reißen. Alles kullert die Treppe hinunter. Die Milch ist verschüttet, die Eier zerdeppert. Du wirst wütend: „Du Depp, kannst du nicht aufpassen?“ Er antwortet: „Entschuldigung. Ich bin blind.“ In diesem Moment fällt jeder Vorwurf von dir ab, weil das Gegenüber einfach nicht gesehen hat, was es da tut. An dieses Gleichnis muss ich oft denken. Außerdem definiere ich mich als Mensch nicht nur ausschließlich über die Politik. Das hilft mir ebenfalls.

Die „Doppelspitze“ wird die Grünen auch in die kommende Landtagswahl führen. (Bild: Mathis Fotografie)
Die „Doppelspitze“ wird die Grünen auch in die kommende Landtagswahl führen.

Haben Sie eine Lösung, wie wir wieder zu einem behutsameren Diskurs gelangen könnten? Die Nachwehen der Pandemie haben da schon einen gewaltigen Scherbenhaufen hinterlassen.
Lösung ist vielleicht ein anmaßendes Wort, aber eine Idee habe ich. Natürlich nehme ich die aufgereizte Stimmung wahr. Entweder hasst oder liebt man die Grünen. Die Mitteltöne verschwinden zusehends. Ich bin jedoch überzeugt, dass ein persönliches Gespräch noch immer das beste Instrument ist, miteinander in Austausch zu kommen. Man sieht sich direkt, nimmt einander ungebrochen wahr. Wenn man etwas besser machen will, muss man es vormachen. Sonst funktioniert es nicht. Deshalb arbeiten wir gerade an neuen Formaten, um der respektvollen, positiven Streitkultur neuen Aufwind zu geben.

Der bekannte deutsche Soziologe Hartmut Rosa schrieb kürzlich, dass sich unsere Gesellschaft in einem „rasenden Stillstand“ befinde, dass die meisten Menschen nur noch damit beschäftigt seien, den Status Quo irgendwie zu erhalten, aber nichts mehr auf die Seite legen können. Wissen Sie einen Ausweg?
Gerade bei jungen Menschen beobachte ich, wie sie ganz bewusst herunter bremsen, ein anderes Konsumverhalten zeigen, nicht mehr Vollzeit arbeiten. Das haben sie nämlich bei ihren Eltern und Großeltern gesehen, wie die sich in die Depression gestrampelt haben. Vintage ist ein großer Trend geworden. Gleichzeitig sehe ich auch vehemente Zukunftsängste bei jungen Menschen.

Können wir überhaupt einen Gang herunterschalten? Gibt es ein Zurück?
Es gibt Alternativen. Nicht bloß eine halbherzige Investition in die Energiewende, sondern ein wirkliches Investment in erneuerbare Energien, die zudem noch sehr lukrativ sind.

Also Windräder auf der Alpe Rauz oder am Pfänderrücken?
Es gibt so viel unausgeschöpftes Potenzial. Allein mit dem Bodensee könnte man halb Hard heizen. Dann die Nutzung der Erdwärme durch die Tiefengeothermie, die das Beheizen ganzer Stadtteile ermöglicht. Und natürlich auch Windenergie.

Seit einigen Jahren ist eine regelrechte Schlacht um Informationsnarrative entbrannt. Auch ein Nachbeben der Pandemie, wie ich finde. Wie wissen Sie als Politikerin, welcher Information Sie vertrauen können?
Das ist wirklich keine einfache Frage. Ich konsultiere natürlich verschiedenste Quellen, vergleiche sie und achte darauf, wer dahinter steckt. Gerade bei der Klimadebatte berufe ich mich auf die Studien von Prof. Reinhard Steurer von der BOKU Wien.

Die großen Öl- und Gaskonzerne betreiben aber auch Klimaforschung und kommen zu ganz anderen Ergebnissen.
Wenn wir unserer Wissenschaft, unseren Universitäten nicht mehr vertrauen, können wir als Politiker allesamt einpacken.

Die Landtagswahlen stehen an. Vorfreude oder doch eher Angst?
So zeitintensiv ein Wahlkampf ist, so schön ist er auch. Weil ich da einfach wieder unter die Leute gehen kann, mit ihnen ins Gespräch komme. Natürlich kriegt man als Politikerin auch einiges zu hören. Aber ich halte es da mit dem Sprichwort: Wer die Hitze nicht erträgt, hat in der Küche nichts verloren.

Fürchten Sie einen Rechtsruck?
Dass sich die Fronten verhärtet haben, steht außer Zweifel. 2024 ist ein Superwahljahr, ein Jahr der Richtungsentscheidungen. Ich möchte Vorarlberg nicht den Brandstiftern überlassen, sondern werde dafür kämpfen, dass Vorarlberg Zusammenhalt lebt und Mensch und Natur schützt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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