Mit neuem Werk in Wien

Amon Amarth: „Das Album entstand aus Frustration“

Musik
05.08.2022 09:05

Während Corona hat Amon-Amarth-Frontmann Johan Hegg mit Ehefrau Maria eine ukrainische Flüchtlingsfamilie aufgenommen, seinen Draht zu Yoga und Natur gefunden und das brandneue Album „The Great Heathen Army“ getextet, mit dem man bald live in Wien auf der Bühne steht. Im Interview erzählt uns der sympathische Hüne gutgelaunt von den Tücken der Pandemie, wie ihm seine Frau beim Album half und warum die Band nach mehr als einem Vierteljahrhundert noch immer viel zu erzählen hat.

(Bild: kmm)

„Krone“: Johan, das neue Album von Amon Amarth trägt den Namen „The Great Heathen Army“. Ist das in erster Linie eine Selbstbeschreibung für euch als Band?
Johan Hegg:
Ja, in der Tat. (lacht) Natürlich spielt der Titel auf historische Ereignisse an, aber ich hatte da auch etwas anderes im Kopf. Wir waren alle zwei Jahre lang weggesperrt. Keine Shows, keine Festivals, keine Livemusik. Alle Metalfans rund um die Welt, die „Great Heathen Army“, können nach all den Restriktionen jetzt wieder gemeinsam mit uns Bands durchstarten. Wir alle können derzeit wieder eine gute Zeit haben. Es ist eine Mischung aus Historischem und der Gegenwart.

2019 habt ihr das bislang letzte Album „Berserker“ veröffentlicht, mit dem ihr wegen der Pandemie gar nicht viel auf Tour gehen konntet. Ist das Album im Rückblick ein bisschen verloren gegangen?
Das würde ich so nicht sagen. Jeder hatte Pech mit Covid und ich kenne keinen Menschen, der Positives aus der Situation ziehen konnte. Das einzig Gute daran war, dass ich eine größere Pause hatte und lange nichts tun musste, was mit Musik zusammenhing. Das hatte ich seit der Bandgründung noch nie und tat mir wirklich gut. Ich wünschte, wir hätten diese Pause selbst bestimmt, aber man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen. Wir haben die Situation akzeptiert und sind den nächsten Schritt gegangen. Jetzt können wir die Reaktionen der Fans kaum erwarten und freuen uns noch mehr, endlich wieder auf Tour zu gehen.

Hattest du während der Pandemie Moment der Selbstreflektion und des Gewahrwerdens? Viele Menschen haben sich in dieser Zeit verändert oder viel nachgedacht.
Natürlich habe ich auch über viele Dinge nachgedacht, das ging wohl jedem so. Ich war extrem viel in der Natur und habe diese Zeit genossen. Dort kann man wirklich gut runterkommen und sieht die Welt ein paar Stunden lang in einem anderen Licht. Man wandert ein paar Stunden herum, setzt sich hin, lässt alles auf sich einwirken und geht weiter. Das ist der pure Frieden. Ich würde nicht sagen, dass mir Freunde und Familie jetzt wichtiger sind als vorher, aber ich habe sicher eine andere Art von Beziehung zu den Menschen aufgebaut, die mir sehr nahestehen.

Es gibt auch nicht viele Bands, die so permanent auf Tour sind wie ihr. Die Füße mehr als zwei Jahre lang so gut wie möglich stillzuhalten fiel euch sicher nicht leicht…
Da war die Situation mit uns erbarmungslos. Normalerweise sind wir immer im selben Zirkel aus Album schreiben, Album aufnehmen, Album rausbringen, auf Tour gehen und wieder an den Start zurück. Für eine Pause waren die zwei Jahre ganz gut, aber die Umstände dafür waren natürlich furchtbar.

Kommen wir zurück zu „The Great Heathen Army“. Das Album ist überraschend dunkel ausgefallen und viel härter als eure letzten Werke. Der Death-Metal-Anteil wurde wieder deutlich hochgeschraubt. Ist „Berserker“ im Rückblick zu locker und leichtfüßig ausgefallen?
Wir haben das nicht geplant, auch wenn die Härte einmal kurz diskutiert wurde. Amon Amarth war immer eine Band, die ihren Inspirationen folgt, ohne sie zu forcieren. Bei „Berserker“ wollten wir definitiv mehr in die Heavy-Metal-Richtung gehen, hier war es dann so, dass das Material schon von vornherein in die brutalere, dunklere Seite tendierte. Die Inspiration für „The Great Heathen Army“ kam stark aus der allgemeinen Frustration, Shows absagen zu müssen, nicht reisen zu können und im Lockdown zu sitzen. Wir in Schweden hatten es zwar viel besser, aber trotzdem Restriktionen, die uns genervt haben. Die Frustration kommt nun durch die Musik aus uns heraus. Aber es gibt nicht nur Aggression, sondern auch viel Melancholie, ein wichtiger Teil der Band.

Melancholie und Melodien - zwei wichtige Markenzeichen von Amon Amarth. Ihr gehört zu den erfolgreichsten Bands in der extremeren Metalszene und das seit fast 20 Jahren. Denkt man da bei neuen Songs nicht automatisch an die Fans, die einen so großgemacht haben?
So geht es doch allen Bands. Es ist das größte Klischee der Musikwelt, dass man als Sell-Out-Band beschimpft wird und manche nur die ersten zwei, drei Alben mögen. Musiker entwickeln sich weiter und für uns war das immer das Allerwichtigste. Wir wollen neue Elemente einfließen lassen und nicht stehenbleiben. Eigentlich gibt es nichts Wichtigeres. Wir denken nicht sehr viel darüber nach, was die Fans mögen oder ob sie uns cool finden. In erster Linie müssen wir mit unserer Musik im Reinen sein und erst dann können wir uns überlegen, ob das auch andere gut finden. Ich glaube nicht, dass die Fans es gutheißen würden, wenn wir nicht völlig auf uns selbst fokussiert wären. Die Songs müssen ehrlich sein und aus dem Herzen kommen. Und dafür muss man erst einmal egoistisch sein.

Andererseits habt ihr verschiedene Fanschichten. Nachdem ihr knapp 25 Jahre Alben veröffentlicht, sind unterschiedliche Generationen an Fans mit euch gewachsen und jede kann sich so seine Favoriten aus eurer Diskografie raussuchen.
Das ist großartig und ein Privileg. Es ist ein schönes Problem, wenn man sich so viele Gedanken über eine Live-Setlist machen muss. (lacht) Für uns als Band ist es aber unmöglich, 20-25 Jahre zurückzugehen und wieder so zu komponieren wie früher. Was war, das war und was ist, das ist. Wir sind andere Menschen, teilweise andere Mitglieder und ganz andere Musiker. Es gibt immer noch Elemente von ganz früher, die man in der Gegenwart heraushört, aber der Fokus ist eben ein anderer und das ist gut so.

Ist es manchmal auch schwierig, diese alten Songs live zu spielen, wenn ihr schon gar nicht mehr genau wisst, welche jungen Menschen damals dahintersteckten und was ihre Motive dafür waren?
Das ist überhaupt kein Problem. Wir müssen nur ausreichend proben, dann passt das schon. (lacht)

Kommen wir zur Gegenwart. Einer der stärksten Songs auf dem neuen Album ist „Saxons & Vikings“, in dem ihr Saxon-Sänger Biff Byford als Gast integriert habt. Abseits von seiner Heavy-Metal-Stimme ist das einer der härtesten Tracks, den man von euch seit vielen Jahren zu hören bekommt. Habt ihr damit eure alten Geister erweckt?
Möglicherweise hast du recht und der Track geht ein bisschen zurück zu den „Avenger“- und „Crusher“-Zeiten. Wir hatten die Musik dafür schon seit Jahren in der Schublade, aber sie hat nie so ganz dazugepasst. Den Text dazu hatten wir erst später, also haben wir dann Biff gefragt, ob er mitmachen möchte. Ich habe nur nie daran gedacht, dass der Track nach unserer Vergangenheit klingt. Die Prämisse war, dass meine und Biffs Stimme sich in einer coolen Art und Weise vermengen und für ein besonderes Feeling sorgen. Zuerst singt jeder für sich und dann gibt es ein „Voice-Battle“, das sehr viel Spaß gemacht hat. Deine Analyse trifft aber auch sehr gut zu.

„The Great Heathen Army“ klingt stellenweise wie die Brücke zwischen euren alten und neueren Alben.
Das stimmt wohl, ja. Wir haben einen Pfad zu Ende beschritten und starten mit diesem Album einen neuen - so würde ich das am ehesten sehen. Wir wollen nie zurückschauen, erlauben uns aber, manchmal ein Stück zur Seite zu schreiten. (lacht)

Ihr habt hier Biff als Gastsänger, zuletzt war es die deutsche Metal-Queen Doro und Judas-Priest-Gitarrist Andy Sneap ist jetzt für die Produktion verantwortlich. Ihr mögt es offenbar, euch mit euren eigenen Helden zu umgeben.
Wer würde das nicht tun, wenn sich die Möglichkeit dafür ergibt? Es gibt kaum etwas Besseres, als großartige Musikerinnen und Musiker einzuladen, die man selbst über alles schätzt. Das ist absolut fantastisch. Jeder macht einen tollen Job und fügt sich perfekt in unsere Band ein.

Sneap hat dem neuen Album als Produzent auch einen Punch gegeben, den ich auf „Berserker“ vermisst habe…
Die Geschichte, wie Andy überhaupt zu uns kam, ist verrückt. Er war gerade mit Judas Priest auf Tour, als deren Gitarrist Richie Faulkner im September 2021 seine Aortendissektion erlitt und fast auf der Bühne gestorben wäre. Priest mussten die Tour natürlich sofort absagen und erst dadurch ergab sich die Möglichkeit, mit Sneap am neuen Album zu arbeiten. Für uns war dieses tragische Ereignis also ein Glücksfall, aber natürlich waren wir nicht froh darüber, unter welchen Umständen alles geschah. Eine sehr bittersüße Angelegenheit. Wegen Covid konnte er aber nicht wirklich wohin und vice versa. Wir haben sechs Tage die Woche von 9 Uhr morgens bis 23 Uhr abends wie die Tiere am Album gearbeitet und Andy hat das aus der Ferne auch gemacht. Für all diese Vorkomnisse hat er wirklich eine Top-Leistung aufs Parkett gelegt.

Stimmt es, dass deine Ehefrau Maria textlich einen wichtigen Einfluss auf das neue Album hatte?
(lacht) Sie hat mir beim Texten auf jeden Fall geholfen, auch wenn sie nicht den großen Einfluss auf das Album an sich hatte. Sie hat immer gute Ideen, aber dieses Mal hat sie mir oft den nötigen Anstoß gegeben, wenn ich gerade wieder in den Seilen hing und nicht weiterwusste. Wir haben an einigen Dingen zusammengearbeitet und daraus entstand dann etwas.

Hast du dafür auch ein konkretes Beispiel?
Eine lustige Geschichte ist etwa, wie der Text zur Single „Get In The Ring“ entstand, für den wir im Video den Wrestler Erick Redbeard engagierten. Die Idee war, dass es im Song einen Trash-Talk zwischen den zwei Protagonisten geben würde und als ich mit Maria lange im Auto saß, um im Norden Schwedens zu wandern, habe ich ihr den Grundgedanken erklärt und gemeint, ich käme da nicht so ganz weiter. Sie hat dann aber angefangen, diesen Trash Talk in die Hand zu nehmen und wir haben uns im Auto wild beschimpft und hatten dabei den allergrößten Spaß. Es ging hin und her und so ergab sich dann auch der entscheidende Funke für den Song. Das war für mich der Türöffner, um die Texte fertigzustellen.

„Find A Way Or Make One“ hängt mit einem Podcast zusammen, den Maria hörte und der sie und mich besonders inspirierte. Es geht darum, dass wenn du ein Hindernis vor dir hast, es nur eine Möglichkeit gibt: es zu überwinden. Du kannst nicht zurückgehen oder in Schockstarre verfallen, du musst dich ihm stellen und Wege finden, es zu überwinden. Und wenn es keinen Weg gibt, dann musst du einen erschaffen. „The Serpent’s Trail“ ist ein direktes Ergebnis aus dem Workshop der Helvegen-Übung von Andres Kuhn, wo man sich mit der Natur verbindet und aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen kann. Das hängt zusammen mit Yoga, Kraftübungen und Meditationen und hat uns vor einiger Zeit ganz in den Bann gezogen.

„Find A Way Or Make One“ und „The Serpent’s Trail“ sind perfekte Beispiele für Songs von Amon Amarth, die weit über Wikingergeschichten hinausgehen und metaphorisch in die Gegenwart verleiten. Etwas, das du als Texter mit jedem Album immer stärker praktizierst.
Diese Doppeldeutigkeit war schon immer da. Oder zumindest stärker ausgeprägt, als es die meisten Menschen gehört oder verstanden haben. (lacht) Für mich ist diese Vorgangsweise nichts Neues, auch wenn es nach außen oft so wirkt. Die letzten zwei Jahre waren zumindest großartig dafür, das Leben und die Ansichten neu auszurichten. Ich habe versucht simpler und nachhaltiger zu leben und das hat mir viel Kreativität für die Texte beschert. Die Wikinger-Historie fasziniert mich genauso wie die Gegenwart, in der wir uns befinden. Wir sind heute nicht so viel anders als die Menschen vor 1000 Jahren. Der größte Unterschied ist unser Bildungsniveau, aber ansonsten gibt es extrem viele Parallelen, die sich einem sofort erschließen, wenn man genauer drüber nachdenkt.

Ihr konntet mit dieser Art von Musik niemals damit rechnen, einmal so groß und erfolgreich zu werden. Doch wie schwierig ist es eigentlich, diesen Erfolg aufrechtzuerhalten?
Natürlich hatten wir bislang große Erfolge, aber das liegt daran, dass wir uns darüber keine Sorgen machen. Wir machen uns Gedanken über Musik. Dass wir jedes Mal das beste Album unseres Lebens schreiben wollen. Wir wollen großartige Konzerte abliefern und selbst Spaß haben, wenn wir die Bühne betreten. Darum geht es - alles andere hat in unseren Gedanken keinen Platz. Wir wollten natürlich immer den Erfolg, aber hätten wir die ganze Zeit darüber nachgedacht und uns von jedem kleinen Rückschlag verunsichern lassen, hätten wir das nicht lange durchgehalten. Man muss immer ehrlich zu sich selbst sein, sonst kann man Erfolg nicht halten.

Ihr habt in den größten Arenen gespielt, alle großen Festivals besucht, wart auf Metalkreuzfahrt und habt als Bühnengimmick sogar euer eigenes Schiff draufgestellt. Was kommt denn da noch? Wie motiviert man sich, wenn man sich all diese Bubenträume erfüllt hat?
Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Wir haben schon so einige abgedrehte Dinge gemacht, die wir uns vor 15 Jahren noch nicht einmal hätten erträumen lassen. Wir spielen mittlerweile in Europa oft vor 10.000 Fans pro Abend und können ein Wikingerschiff, Drachen und einen exorbitanten Drum-Riser auf die Bühne karren. Ich habe keine bestimmten Träume, wie die Band auf der Bühne aussehen soll. Ich will die Shows einfach kontinuierlich weiterentwickeln und Schritt für Schritt dafür sorgen, dass wir und die Fans bei unseren Konzerten die beste Zeit haben.

Im September seid ihr mit Machine Head auf Tour und kreuzt dabei auch die Wiener Stadthalle. Ein interessantes Package, denn viele würden euch eher mit einer Power-Metal-Band wie Sabaton auf Tour sehen als mit einer Thrash-Metal-Institution wie Machine Head…
Ich finde, die beiden Bands passen sogar sehr gut zusammen. Ich liebe es, wenn es divers wird und außerdem haben wir auch noch The Halo Effect im Line-Up, die sich perfekt einfügen. Machine Head ist ein grandioser Co-Headliner für uns und ich glaube, dieses Package gehört zu den stärksten im ganzen Herbst. Ich kann es nicht erwarten, endlich wieder auf Tour zu sein und die Fans zu treffen. Es wird für jeden auf und abseits der Bühne sicher ein spezielles Event. Nächstes Jahr im Sommer werden wir auch wieder einige Festivals spielen.

Das Cover-Artwork von „The Great Heathen Army“ erinnert mich übrigens ein bisschen an Manowar. Zumindest von der Positionierung von euch. Kann man irgendwann mit einem Bild von euch in Lendenschürzen rechnen?
(lacht) Ich würde nicht mein letztes Hemd dafür geben. Wir wollen überall viel Spaß haben und ich finde es lustig, dass du da Manowar erkennst. Wir wollten uns überhaupt nicht auf das Cover stellen, aber jemand aus unserem Team hielt das für eine gute Idee. So wie es früher KISS oder auch Manowar gemacht haben, dazu noch unsere Army. Wir fanden das so witzig, dass wir es schlussendlich auch so umsetzten.

Live in der Stadthalle
Amon Amarth kommen mit Machine Head und The Halo Effect am 17. September in die Wiener Stadthalle und sorgen garantiert für eines der feurigsten und härtesten Packages des kommenden Herbstes. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und alle weiteren Infos zur spannenden Co-Headliner-Tour.

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