Missbrauch im Krieg

„Wenn Russen mich nicht töten, dann vielleicht er“

Ausland
28.05.2022 12:26

Zitternd und bitterlich verängstigt vor dem täglichen Bombenhagel und dem Heulen der Sirenen verstecken sich viele Frauen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine in ihren Häusern oder in den Luftschutzkellern. Aber was, wenn die eigentliche Gefahr sich in denselben vier Wänden aufhält? Viele Opfer häuslicher Gewalt suchen inmitten des Krieges nach Hilfe, doch so schnell erhält im Moment niemand Beistand.

Lange hatte sie gebraucht, ihre Kraft zu sammeln, um ihren Mann zu verlassen, erzählt Kristina (Name geändert) „The Kyiv Independent“. Wenige Tage vor der russischen Invasion am 24. Februar war sie endlich entschlossen, den Schritt zu wagen und mit ihrer Mutter in ein Dorf in der Nähe von Mykolajiw zu ziehen.

Doch ihre Mutter erkrankte an Corona und sie beschlossen zu warten, bis sie sich erholt hatte. Jetzt ist sie mit ihrem Mann in ihrer Wohnung in Mykolajiw gefangen und verlässt diese nur, um Lebensmittel einzukaufen oder in den Luftschutzkeller zu gehen.

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Ich habe das Gefühl, dass, wenn die Russen mich nicht töten, er es tun könnte.

Kristina

„Manchmal will ich den Luftschutzkeller nicht verlassen, auch wenn kein Luftangriffsalarm herrscht. Wenigstens schlägt er mich nicht, wenn wir von anderen Menschen umgeben sind. Ich habe das Gefühl, dass, wenn die Russen mich nicht töten, er es tun könnte“, sagt Kristina. Seit Beginn des Krieges sei ihr Mann noch gewalttätiger geworden als sonst. Einmal schlug er ihr in den Magen, weil er dachte, sie flirte mit einem Nachbarn, während sie sich im Luftschutzkeller versteckte.

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Manchmal will ich den Luftschutzkeller nicht verlassen, auch wenn kein Luftangriffsalarm herrscht. Wenigstens schlägt er mich nicht, wenn wir von anderen Menschen umgeben sind.

Kristina

„Er sagte, ich hätte zu freundlich gelächelt, und fing dann an, mich zu schlagen“, erinnert sie sich.

Zählung der Opfer seit Kriegsbeginn schwierig
Kristinas Geschichte ist kein Einzelfall. Die stellvertretende Innenministerin Kateryna Pawlitschenko berichtete, dass in der Ukraine im vergangenen Jahr etwa 326.000 Fälle von häuslicher Gewalt registriert wurden. Eine genaue Zählung der Fälle ist derzeit jedoch schwierig, da sich viele Opfer nicht an die Polizei wenden oder aufgrund aktiver Feindseligkeiten einfach nicht die Möglichkeit dazu haben.

Die Strafverfolgungsbehörden, vor allem an Orten, an denen aktive Feindseligkeiten im Gange sind, können oft nicht auf Anrufe reagieren, was das Problem weiter verschärft, erklärt Aljona Kriwuljak, eine der Leiterinnen von La Strada Ukraine. Auch in Städten, in denen keine aktiven Kämpfe stattfinden, sei der Zugang zu Hilfe schwer, erklärt Marta Chumalo, Mitbegründerin der gemeinnützigen Organisation Women‘s Perspectives in Lemberg.

Einstweilige Verfügung nicht möglich
Vor dem Krieg konnte die Polizei eine einstweilige Verfügung erlassen, die den Täter aufforderte, das Grundstück innerhalb von zehn Tagen zu verlassen. Dies ist jetzt nur noch in Regionen möglich, wo die Sicherheitslage dies zulässt. Aufgrund der Kämpfe kann die Polizei den Täter nicht zwingen, sein Zuhause zu verlassen, so Krivulyak.

Hilfe in medizinischen Einrichtungen suchen
Falls es nicht möglich ist, die Polizei zu kontaktieren, können Frauen in medizinischen Einrichtungen Hilfe bekommen, empfiehlt Krivulyak. Zudem erklärt sie: „Die Opfer können sich auch an die Territorialen Verteidigungskräfte wenden. Sie haben zwar nicht die Befugnis zur Strafverfolgung, aber sie können die Anordnung durchsetzen.“ Die Psychotherapeutin Maria Fabrycheva rät, Familie und enge Freunde um Hilfe zu bitten.

Aber die Opfer sehen oft nicht den Nutzen des Verlassens, weil sie hoffen, dass „morgen alles gut wird und er sich ändert“, so Fabrycheva. 

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