Filzmaier analysiert

Die Fürsten der Länder – die wahren Entscheider?

Politik
01.05.2022 12:56

Nach dem grünen Bundeskongress ist vor dem Parteitag der ÖVP. In knapp zwei Wochen wird dort Karl Nehammer zum Bundesvorsitzenden gewählt. Ist er dann der mächtigste Mann bei den Türkis-Schwarzen? Sicher nicht. Sowohl formal als auch realpolitisch sind seine Möglichkeiten beschränkt. Als wahre Entscheider gelten die Landeshauptleute. Doch stimmt das?

1. An sich ist es logisch, dass in der ÖVP die Bundespartei wenig zu sagen hat. Denn diese hat weder zahlreiche Mitglieder noch viele Euros zur Verfügung. Die Bünde - Arbeiter- und Angestelltenbund, Bauernbund, Wirtschaftsbund und so weiter - nehmen Mitgliedsbeiträge und andere Gelder ein, um sie an die Parteizentrale weiterzugeben. Genauso sind die Länderorganisationen eigenständig und nicht etwa Filialen, wo Bundeskanzler Nehammer anzuschaffen hätte.

2. Zwar steht im dritten Paragrafen des Parteistatuts, dass „die Beschlüsse der Bundesorgane für alle Teile der Partei bindend sind“, nur wie kommt ein solcher Beschluss zustande? Entweder auf dem Bundesparteitag oder im Bundesparteivorstand. Dort dominieren Delegierte der Länder- und Teilorganisationen, bzw. sind die Landesparteichefs und Bündeobleute automatisch Vorstandsmitglieder. Ohne deren Willen geht also gar nichts.

3. Wer Nationalratsabgeordneter der ÖVP ist, kam mehrheitlich über eine Bezirks- und Landesliste ins Amt. Im Umkehrschluss brauchen diese Abgeordneten bei der nächsten Wahl wiederum einen solchen Listenplatz, um ihr Mandat nicht zu verlieren. Daher verstehen sie sich oft als Delegierte ihrer Landesspitze und nicht Nehammer verbunden. Nicht zufällig sprach der Journalist Andreas Koller einmal von Entscheidungsprozessen in der ÖVP als komplizierte Quadratwurzel von Länder-Forderungen, dividiert durch Bünde-Interessen.

4. Lange Zeit war es sogar so, dass der Bundesparteivorsitzende bloß ein besserer Frühstücksdirektor war. Erst Sebastian Kurz hat mehr Durchgriffsrechte für sich erzwungen. Natürlich waren seine Vorgänger keine Weicheier. Doch seit 50 Jahren konnten nur er und davor kurzzeitig Wolfgang Schüssel Wahlerfolge anbieten. Also haben sich mächtige Landeshauptleute mit ihm arrangiert.

5. Die Kurz zugestandenen Kompetenzen - etwa das Nominierungsrecht für Kandidaten auf der Bundesliste und ein Vetorecht bei Länderlisten, sodass bis zu einem Drittel der Nationalräte in der ÖVP den Parlamentssitz dem Ex-Kanzler zu verdanken hat - kann man angesichts der oben beschriebenen Gremienstruktur ja jederzeit wieder zurücknehmen. Wäre nicht sein Rücktritt gewesen, hätten die Länderorganisationen Kurz bei dramatisch sinkenden Umfragewerten fallen gelassen.

6. Die Stärke der ÖVP-Länderchefs rührte nämlich immer auch aus der Schwäche der Bundespartei. Seit 1970 war die SPÖ in knapp 41 von 52 Jahren Kanzlerpartei, doch stellt die ÖVP sechs von neun Landeshauptleuten. Die Wahlergebnisse auf Landesebene waren teilweise mehr als doppelt so gut wie im Bund. Der Haken daran: So ganz stimmt das mit den erfolgreichen Fürstentümern der ÖVP in den Bundesländern nicht mehr.

7. Die Zeiten einer regionalen Alleinherrschaft der Partei sind Zeitgeschichte. In Vorarlberg gab es bei den Landtagswahlen letztmals 2009 eine absolute Mehrheit, in Tirol 2003, in der Steiermark 1986, in Oberösterreich 1985 und in Salzburg 1984. Insbesondere die Tiroler ÖVP schwächelt gewaltig; mit ihrem Aberglauben, dass man in der Corona-Pandemie alles richtig gemacht hätte.

8. Im „heiligen Land“ Tirol könnte ab 2023 statt Günther Platter rechnerisch locker ein nicht schwarzer Landeshauptmann als Gottseibeiuns regieren. Nach Platters erwartbaren Verlusten im zweistelligen Prozentpunktebereich rettet ihn lediglich die Unverträglichkeit der FPÖ mit Grünen und NEOS, was fast alle Mehrheiten ohne ÖVP unrealisierbar macht.

9. In Vorarlberg ist der bisher unantastbare Markus Wallner tief in eine Inseratenaffäre verstrickt, in der sich seine Partei sehr fragwürdig querfinanziert hat. Wenn Platter oder Wallner momentan gegenüber Bundeskanzler Karl Nehammer den starken Mann spielen, ist das frivol. In Wien und dem Burgenland gewinnt die ÖVP sowieso keinen Blumentopf. In Kärnten ist sie ein Minderheitenprogramm.

10. Was bleibt, das sind 50 Prozent der Stimmen und 29 von 56 Mandaten für die Niederösterreichische Volkspartei. Diese gilt selbst unter politischen Gegnern als am besten organisiert. Doch mit dem allfälligen Einzug der MFG in den Landtag wird auch Johanna Mikl-Leitner Federn lassen müssen, obwohl durch das Proporzsystem die Dominanz ihrer Landespartei nicht gefährdet ist.

Anderswo gilt vielerorts: Nehammer zu bevormunden, weil man selbst fest im Sattel sitzt, das ist ein schwächelndes Argument. Vielmehr wird ein Absturz der ÖVP in vielen Bundesländern allein durch die dortige Schwäche der SPÖ und FPÖ verhindert. Das hilft Länderparteichefs dabei, sich weiterhin als Möchtegernfürsten zu gebärden.

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