Live in der Stadthalle

Top-Star James Blunt: Bieder ist das neue Cool

Wien
12.04.2022 00:26

Für viele Fans war es der erste große Konzertbesuch in der Wiener Stadthalle seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Rund 6500 fanden sich Montagabend ein, um dem britischen Schmusebarden James Blunt zu lauschen. Wie gewohnt hatte der nicht nur Balladen, sondern auch Witze und Selbstironie im Gepäck. Davon konnten wir uns schon nachmittags im Interview überzeugen. Auch wenn nicht alle Nuancen perfekt saßen, war der Auftritt ein Triumphzug auf und vor der Bühne.

Die Geschichte ist altbekannt. Bevor James Blunt 2004 zum globalen Herzensbrecher voller Balladen mutierte, war er sechs Jahre lang Captain in der britischen Armee und Ende der 90er während des Balkan-Kriegs im Kosovo stationiert. Er sieht die Gräuel des Krieges in der Ukraine aus anderen Augen, lässt in seiner 100-minütigen Show aber kein Sterbenswort darüber fallen. In seinen inklusiven, oft sehr nahe am Klischeeschmalz gebauten Songs geht es um die Tücken der Liebe und Zweisamkeit, um wacklige Beziehungen und geliebte Menschen, um Abschied, Trennung und das Wiederfinden zueinander. Blunt, der auf dem Cover seiner letzten November erschienenen Best-Of „The Stars Beneath My Feet“ im Soldatenoutfit posierte, will nicht noch mehr Leid in den ohnehin schon so schwierigen und ungewissen Alltag der Menschen bringen.

Rückkehr des Großen
„Ein Krieg ist das schlimmste und traurigste Ereignis, das überhaupt passieren kann“, nimmt er vor seinem Auftritt im „Krone“-Interview dazu Stellung, „Politiker, in diesem Fall ein bestimmter, nützen ihr Ego und ihre Machtposition, um unschuldige Menschen zu quälen. Am Ende trifft es immer die Zivilisten, die nichts dafürkönnen. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen einem Russen, einem Ukrainer, einem Österreicher oder einem Briten. Tief in uns drinnen sind wir doch alle dieselbe Person.“ Diese Botschaft vermittelt er seinen 6.500 begeisterten Fans mit großer Spielfreude und einem für die Wiener Stadthalle überraschend glasklaren Sound. Drei üppige und verstellbare LED-Videowände und ein ausgeklügeltes Lichtsystem evozieren diesen pompösen Pop-Geschmack, von dem Musikfans seit mehr als zwei Jahren nicht mehr kosten durften. Blunt ist bereits in den letzten Zügen seiner knapp einmonatigen Europatour, aber einer der allerersten internationalen Top-Stars, der derart große Hallen bespielt.

„Wir sind mit dieser Tour ein gewisses Risiko eingegangen, aber wir waren ungeduldig, weil wir sie schon so oft verschieben mussten. Die Menschen bei den Konzerten sind respektvoll und haben einen Riesenspaß. Alle unsere Hoffnungen wurden übertroffen.“ Das „uns“ ist ein wichtiger Baustein im Blunt’schen Musikkosmos. Seine variable, dieses Mal vierköpfige Band, gibt den Songs nämlich den Drive, der dem sanften Frontmann bei früheren Konzerten oft schmerzlich gefehlt hat. So steigert sich das mit der bekannten Ukulele beginnende „Postcards“ in ein furioses Hallen-Crescendo oder wird das flotte „So Long, Jimmy“, mit einem 70er-Jahre-Hammond-Orgel-Sound zu einer nostalgischen Zeitreise in partiell psychedelische Sphären. „Die Band hat meinen Ruf da draußen ordentlich aufpoliert“, erzählt er in seinem typischen Humor, „es gibt eben nicht mehr nur den einen Typen, der auf der Bühne traurige Songs spielt.“

Der Wille zählt
Trauer und Melancholie sind essenzielle Bestandteile seines musikalischen Treibens. Schon beim dritten Song „Carry You Home“ schalten die Fans erstmals ihre Smartphone-Lichter ein, etwas später bei „Same Mistake“ verwandelt sich die Stadthalle in ein einziges Lichtermeer. Dazwischen ist viel Raum für unterschiedliche Botschaften. Das flotte „Adrenaline“ wird von einem markant roten Bühnenlicht begleitet, das zartfühlende „Goodbye My Lover“ intoniert Blunt am Piano und vor „High“ zeigt sich der König der Selbstironie wieder von seiner witzigen Seite. „Den nächsten Song können wegen der hohen Tonlage nur Frauen und Hunde hören. Männer haben dreieinhalb Minuten Stille und können die Fußballergebnisse checken.“ Der Kenner weiß: an einem Montag geht die Hälfte des Witzes aufgrund mangelnder Spiele in die Binsen. Das macht natürlich nichts, denn auf und vor der Bühne herrscht kollektive Hochstimmung.

Der ursprünglich seinen beiden Söhnen gewidmete Track „The Greatest“ bekommt in diesen Tagen eine ganz andere Bedeutung, wie er uns im Gespräch erklärt. „Während der Pandemie galt er den Ärzten, Krankenschwestern, Pflegern, Lehrern und Bauern, die das ganze System am Leben erhielten. Heute steht er für jene, die ihr Land verteidigen und sich nicht unterkriegen lassen.“ Durch den breiten Interpretationsbereich berührt Blunt alle. Dass er bei „Wiseman“ anfangs den Einsatz verpasst und sich im Mittelteil rund um „Smoke Signals“, „I Really Want You“ und „Love Under Pressure“ dann ein bisschen Langatmigkeit einstellt, verschmerzt man angesichts der schieren Freude über ein solch großes Event. Die Maskenpflicht und Corona-Lage nimmt der Sänger während des etwas sonderbaren Slade-Covers „Coz I Luv You“ eigenwillig aufs Korn - er läuft eine Runde mit Gasmaske durchs Publikum und stoppt kurz für Selfies. Aufgrund der aktuellen Weltlage ein eher bemühter Schmäh mit herbem Abgang.

Party mit Hilfe
Den Höhepunkt des Abends liefert freilich der stillste Moment. Als er am Klavier sitzend „Monsters“ intoniert und dabei seinem geliebten Vater einen sanften Abgang wünscht, werden Kindheitserinnerungen über die Videowände projiziert und im Publikum fließt die eine oder andere Träne. So sehr sich Blunt auch bemüht mit flotteren Songs wie dem Klassiker „Bonfire Heart“ zu reüssieren, auf seine näselnde Stimme und sanfte Ausstrahlung passen die trüberen Faserschmeichler wesentlich besser. Am Siedepunkt ist die Stimmung dann ausgerechnet bei einem fremden Song. Robin Schulz‘ elektronischen Chartbreaker „OK“ mengen Blunt und Band E-Gitarren und Rock-Gestus bei, was die Halle zum Kochen bringt. Für die richtige Party braucht es dann doch die Hilfe von außen.

Und auch wenn sein großer Durchbruch „You’re Beautiful“ mittlerweile schwer Patina angelegt hat und längst dem gemütlichen Ohrwurmstatus entwachsen ist - gerade ein offensichtlich uncooler, familienliebender und in sich ruhender Typ wie Blunt ist das, was die Welt gerade braucht. Sein fast schon biederes Charisma strahlt eine Form von Sicherheit aus, der wir uns in Zeiten ständiger Umbrüche nur allzu gerne hingeben. Er weiß sein Publikum zu unterhalten und das wiederum weiß genau, was es von ihm kriegt. Nur wenig Superstars spielen die größten Venues mit so wenig Stargehabe. Oder um es in Blunts eigenen Worten vom Nachmittag zu sagen: „Für uns Popstars, Schauspieler und Prominente war die Zeit während der Pandemie gesund, um einmal nicht als essenziell angesehen zu werden. So wichtig sind wir nicht.“ Würden Sie diesem Mann nicht alles abkaufen, das er Ihnen anbietet?

Von Wien nach Innsbruck
Heute Abend spielt Blunt sein letztes Österreich-Konzert in der Innsbrucker Olympiahalle. Restkarten sind noch an der Abendkassa erhältlich.

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