Interview & Wien-Show

Elektro Guzzi: „Clubkultur ist etwas Essenzielles“

Wien
01.04.2022 09:40

Neben Dorian Concept, Electric Indigo oder Cid Rim gehören Elektro Guzzi seit Jahren zu den wichtigsten internationalen Aushängeschildern der Elektronik. Auf ihrem neuen Album „Triangle“ besinnt man sich wieder auf Techno mit Detroit-Touch und beruft sich auf die eigenen Wurzeln. Für Experimente mit Streicher und Posaunen war und ist trotzdem immer wieder mal Platz, wie Bernhard Hammer und Bernhard Breuer im „Krone“-Talk verlautbaren. Der dritte im Bunde, Jakob Schneidewind, viel kurzfristig krankheitsbedingt aus. Heute Abend, am 2. April, gibt es die Release-Show im Das Werk in Wien - weitere Österreich-Termine folgen.

„Krone“: Von Elektro Guzzi erscheinen die Alben momentan im Stakkato-Takt. „Trip“ kam im Juni 2021 raus, dem folgte nun unlängst „Triangle“.
Bernhard Hammer:
Die Pandemie hat uns die Zeit gegeben, mehr Studioarbeit zu machen. Wenn man nicht spielen kann, muss man sich kreativ anders ausleben. Wir sind prinzipiell recht fleißig. Während wir an einem Album arbeiten, proben wir schon an neuen Sachen. Wir sind geistig meist schon beim nächsten Projekt.

Es war wohl schwieriger, während der Pandemie an den Songs zu arbeiten. Oder zumindest anders als gewohnt.
Hammer:
Wir machten anfangs für FM4 eine „Home-Session“, wo jeder in seinem eigenen Kämmerchen arbeitete. Bernhard hat bei sich in Oberösterreich die Schlagzeugspuren aufgenommen und uns zugeschickt. Es war lustig, das kurz auszuprobieren, aber auf Dauer auch witzlos.
Bernhard Breuer: Es ist essenziell für uns, zusammen zu spielen. Wir hatten das letzte Album jeder für sich eingespielt, aber dann, als wir uns wieder treffen durften, komplett verworfen. Es war ein cooles Album, hatte aber nichts mit Elektro Guzzi zu tun.
Hammer: Wir schreiben keine Songs, wo jeder seinen Part hat. Bei uns lebt alles von der Interaktion und vom Agieren und Reagieren aufeinander. Das macht uns als Band aus. Bei „Trip“ haben wir getrennt angefangen, aber durch die paar Sommershows schnell gemerkt, dass wir es müssen doch gemeinsam machen müssen. Das Album war fertig und wir haben es noch einmal aufgenommen. „Trip“ war ursprünglich ja schon im Herbst 2020 fertig. Also die Erstversion.

Sind auf „Triangle“, dem ganz neuen Album, noch Songs von den Sessions zu „Trip“ zu hören?
Breuer:
„Triangle“ haben wir in zwei Sessions eingespielt. Je drei Tage in Oberösterreich und drei in Wien. Wir hatten kein Konzept und keinen Plan, haben aber das Beste daraus genommen, gemischt und fertig. Es passierte alles sehr unaufgeregt. Wir hatten früher so intensive Alben, dass wir uns dann eine Zeit lang nicht sehen konnten. (lacht) Wir spielen seit ca. 15 Jahren zusammen und es ist noch immer so, dass wir coole Momente nicht bewusst erzeugen können. Wenn man sich was vornimmt, funktioniert es meistens nicht.

Je weniger Plan und Vorsatz, umso besser das Endergebnis?
Hammer:
Wenn wir beim Livespielen oder bei den Proben auf etwas Neues kommen, entsteht auch die Lust, ein Album zu machen. Die Studioarbeit und die Touren haben eine Wechselwirkung für uns.

Beim Techno von Elektro Guzzi war der humane Aspekt immer ein zentraler. Habt ihr das sofort gespürt, als er in der Pandemie nicht mehr so vorhanden war? Hat das was mit der Band gemacht?
Breuer:
Wir waren extrem froh, als wir uns wieder treffen und gemeinsam spielen konnten. Diese Selbstverständlichkeit hatte uns die Pandemie genommen und wir erkannten, das Teamgefüge ist etwas Besonders. Ohne Konzerte ist es schon sehr traurig. Wir drei leben davon und es war heftig, als das wegbrach.

Habt ihr die Pandemie auch zur Reflektion genutzt? Vielleicht überlegt, was Elektro Guzzi heute im Kontext zu früher bedeutet und wie man dieses Schiff künftig weitersteuern möchte?
Breuer:
Nicht wirklich. Solange wir alle drei extreme Lust darauf haben, geht es auch weiter. Denn dann sind wir noch nicht am Ziel angekommen. Wir allen wollen die Band weiterentwickeln. Wenn wir anfangen uns zu wiederholen, dann müssen wir aufhören, aber derzeit haben wir eher Tausende Ideen, die auf Umsetzung warten.
Hammer: Wir stacheln uns immer gegenseitig an. Einer ist immer ein bisschen unzufrieden mit dem, was wir machen. (lacht) Die Momente des kollektiven Glücks sind sehr kurz, aber das hält uns hungrig. Mit der Dynamik wird uns nie fad.

Ihr seid drei unterschiedliche Individuen mit ähnlichem Geschmack und ähnlichen Ansichten, aber gibt es einen bei euch, der am Ende auf den Tisch haut und alles entscheidet?
Hammer:
Wir waren früher basisdemokratisch aufgestellt, weil das zu dritt ganz gut geht. Oft wurde das dann aber mühsam und heute vertrauen wir uns so sehr, dass wenn sich einer sicher ist, dass es gut läuft, wir es auch so belassen. Wenn man selbst noch etwas unsicher ist, vertraut man den anderen.
Breuer: Es ist ein großes Glück, dass wir nicht über Geschmack streiten müssen. Wir wissen, wann etwas cool klingt und brauchen es nicht zerreden. Darum funktionieren wir wohl auch schon so lange gemeinsam.
Hammer: Wir sind mit der Entscheidungsfindung schneller geworden. Wir doktern nicht mehr ewig daran herum und die Dinge gehen sich schneller aus. Auch ein Vorteil des Vertrauens.

Stichwort Kooperationen und Posaunen - das Experimentelle war bei Elektro Guzzi früher schon mal viel stärker ausgeprägt. „Triangle“ klingt sehr danach, als wärt ihr wieder zur Basis zurückgekehrt.
Breuer:
Das war ein bewusster Plan. Wir hatten eine große Kooperation mit Orchester in Stuttgart, ein Riesenprojekt. Es hat super funktioniert, aber gleichzeitig sind wir draufgekommen, dass wir wieder gerne zu dritt Techno spielen und in Clubs auftreten wollen. Es gab viele Kooperationen, aber reicht jetzt fürs Erste. „Trip“ und „Triangle“ klingen bewusst nach unserer Basis.

Die Menschen sehnen sich auch wieder nach Clubnächten und Ungezwungenheit. Geht es euch auch so?
Breuer:
Definitiv. Das physische Erleben des Sounds kann man mit nichts vergleichen.
Hammer: Ein Club ist ja kein normales Konzert. Es beinhaltet mehr Aspekte als nur die Musik. Es geht ums Tanzen und das komplette Abendprogramm. Da ist nicht nach einem Gig Schluss, es herrscht eine ganz andere Dynamik. Das ist ein kulturelles Happening, das wir schätzen und das eine große Bedeutung hat. Seit gut 40 Jahren entwickelt sich das immer weiter. Es wird oft unterschätzt, was die Clubkultur für eine Bedeutung hat. Wenn ein Abend gut programmiert ist und das DJ-Line-Up den richtigen Aufbau hat, kriegt es etwas Ekstatisches. Das fehlte total und dort fühlen wir uns zuhause.

Für die Festivalslots, die ihr im Laufe eurer Karriere schon gespielt habt, würden sich viele Künstler alle Finger abhacken. Sind euch kleine und intime Club-Gigs am Ende aber doch lieber?
Hammer:
Das sind zwei verschiedene paar Schuhe. Im Club dient man dem Ganzen. Man hat keinen großen Auftritt, wo es nur um die Band geht. Es ist beides sehr cool. Die Festivalstimmung geht oft über mehrere Tage, da gibt es einen anderen Flow. Im Club kann man dann von einem anderen DJ übernehmen. Die Leute sind schon in Stimmung und man schleicht sich dazu. Vielleicht merken die Menschen gar nicht, dass jetzt jemand anderes spielt. Uns taugt es mehr, wenn wir nicht den großen und prominenten Auftritt haben. Wir dienen lieber der Sache.
Breuer: Es ist großartig auf Festivals zu spielen, aber ein richtig guter Clubabend hat für uns selbst oft einen größeren Mehrwert. Festivals haben eine Riesenbühne und viel Publikum. Wir sind mal mit unserem VW Polo zum „Sziget“ nach Budapest gefahren und haben uns zu den dicken Nightlinern von Bilderbuch geparkt. (lacht) Dann fragen die dort, wo unser Manager wäre und das sind wir halt auch selbst.
Hammer: Die Pandemie hat uns wieder zurück ins DIY-Gehabe gebracht. Die zwei neuesten Alben kamen bei unserem eigenen Label raus. Wir haben es vor drei Jahren als Nebenprojekt gestartet, uns aber in den letzten zwei Jahren voll darauf fokussiert. Langsam kriegen wir eine Routine rein und wir machen alles selbst. Wir entscheiden über alles, was ein sehr guter Schritt für uns war. Es macht Riesenspaß, sich mit niemanden streiten zu müssen, wie das Artwork ausschaut, wie die Tracklist ist und wann welcher Song rauskommt. Es ist unglaublich bereichernd.

Diese Freiheit bedingt natürlich auch wesentlich mehr Arbeit.
Hammer:
Aber im Endeffekt ist das gar nicht viel mehr Arbeit als vorher. Davor haben wir mit externen Partnern mehr gestritten und diskutiert. Jetzt ist dafür mehr Freiheit da. Die Arbeit ist einfach schöner geworden.
Breuer: Es besteht heute nicht mehr die Notwendigkeit, auf einem großen Label zu sein. Wir machen spezielle Musik für einen Pool von Leuten. Wir verkaufen viel auf Konzerten und wenn wir alles selbst im Griff haben, rennt es besser. Wir haben nicht den Anspruch, mit unseren Alben in die Charts zu kommen.

Wie strahlt ihr denn eigentlich international aus und wie wird Techno und elektronische Musik aus Österreich im internationalen Kontext wahrgenommen?
Hammer:
Die Leute kriegen schon mit, was so alles passiert. Cid Rim war mit dem letzten Album sehr aktiv und ist extrem international. Die Generation vor uns wie Patrick Pulsinger oder Electro Indigo war enorm erfolgreich. Von unserer Sparte sind das Dorian Concept oder eben Cid Rim.
Breuer: Mit dem Label Makro hatten wir großes Glück und die daran angehängte Booking-Agentur hat uns international einen Riesenschub gegeben. Das ist uns alles passiert und wir haben am Anfang nicht gecheckt, was alles los ist. Plötzlich stehst du im Berghain und spielst dort. Wir merken nach der Pandemie schon, dass es schwierig ist, dort anzuschließen. Es gab am Anfang einen großen Hype, jetzt hat sich das eingependelt.

Ist ein Auftritt im Berliner Technotempel Berghain heute noch immer so cool wie beim ersten Mal, oder stumpft man da auch als Musiker einmal ab?
Breuer:
Beim ersten Mal war es sogar oasch. (lacht) Da hatten wir keinen Tontechniker mit und der dortige hatte uns das Setting gelöscht. Wir waren aber öfters dort und es war dann immer toll. Wir spielen im Herbst dort in der Kantine, es ist wirklich ein spezieller Ort.

Cid Rim lebt die halbe Zeit in London und ist allgemein viel im Ausland unterwegs. War es für euch mal ein Thema, die Band von Wien und Oberösterreich weg in die weite Welt zu verlegen?
Hammer:
Als wir mit Elektro Guzzi angefangen haben, waren wir oft in Berlin zum Partymachen. Freitagmittag los, dann durchmachen und Sonntagabend wieder zurückdüsen. Es hätte mich schon gereizt, Berlin für eine Zeit voll aufzusagen, aber andererseits hat Wien kulturell viel zu bieten und ist auch etwas gemütlicher. England ist noch einmal was anderes. Das ist ein ganz eigener Markt und wenn man dort Fuß fassen will, dann sollte man dort leben und die Kontakte direkt pflegen. Es herrscht dort eine sehr abgeschlossene Szene, in der aber viel passiert, von dem wir hier wenig mitkriegen. Sie sind der Zeit voraus. Was dort jetzt cool ist, schwappt in drei Jahren zu uns rüber.

Wie entstehen bei einer Instrumentalband wie euch eigentlich Songtitel? Visualisiert ihr euch die Musik oder gibt’s wirklich tiefere Bedeutungen, die man hinterfragen muss?
Hammer:
In letzter Zeit sind wir ein bisschen besser darin geworden, den Stücken sofort einen Arbeitstitel zu geben. Früher hießen sie anfangs „Track 34, Album 5“. Wir schaffen es aber nicht, dem Ganzen eine Bedeutung zu geben. „Triangle“ ist offensichtlicher, weil wir uns als Trio wieder in den Fokus richten. Warum dann ein Track „Manfrotto“ heißt, das wissen wir selbst nicht. (lacht)

Man könnte einen Track auch „Kartoffelpüree“ nennen…
Breuer:
Wir hatten mal einen Song, der hieß „Saftgulasch“. (lacht)
Hammer: Es zieht sich schon unser Humor durch. Es gibt so Inside-Jokes und wir wissen natürlich, warum ein Song wie heißt. Viel mehr steckt aber nicht dahinter.

Wie sehr haben euch eigentlich alte Elektronik-Pioniere wie Neu!, Can, Hans-Joachim Roedelius oder Kraftwerk beeinflusst?
Hammer:
Ich habe sie alle gehört. Vor der ersten Platte hatten wir noch einen anderen Schlagzeuger und wir machten bei einer Sound-Kompilation für Kärntner Slowenen mit. Da hat auch Roedelius einen Song beigesteuert. Dadurch rutschte ich ein bisschen in sein Werk rein und es floss sicher in unsere Musik rein.
Breuer: Die Gegend rund um Moritz von Oswald war auch ein wichtiger gemeinsamer Nenner von uns dreien.

Was ist nach gut 15 Jahren und vielen wahrgenommenen Abzweigungen die Grundidentität der Band?
Breuer:
Die Bass-Drum. (lacht)
Hammer: Für mich ist es immer noch der Ansatz des Detroit-Techno. Wir sind musikalisch nicht ganz dort, haben aber eine ähnliche Attitüde. Es muss rau und hart sein, gleichzeitig muss aber auch ein Soul vorhanden sein. Wir spielen derzeit wieder sehr schnell und setzen auf Up-Tempo-Techno, womit wir zu unseren Ursprüngen zurückgehen. Das ist wohl die Basis von unseres Sounds.
Breuer: Es gibt darin irgendetwas im Rhythmus, das wir gerne wiederholen. Wir wollen uns immer neu erfinden und kommen dann drauf, dass wir eh immer dasselbe spielen. (lacht) Wir wollen uns aber nicht gekünstelt von dem Groove wegtreiben, denn man kann die Details noch ewig verfeinern. Es ist ja cool, eine eigene Identität zu haben.

Und in neun weiteren Monaten wird schon wieder das nächste Album geboren? Hält diese Geschwindigkeit nun länger an?
Hammer:
Es gibt schon Sachen in der Pipeline. Wir hatten einen Kompositionsauftrag für ein Streichorchester in Stuttgart. Vorletzten Sommer haben wir die Streicher aufgenommen und vielleicht nehmen wir unsere Parts dazu auf. Somit könnte zwischendurch die Streicher-Platte rauskommen. Ansonsten passt es jetzt aber und wir wollen so viel wie möglich live spielen. Zumindest bis zur nächsten Winter-Periode, wo wir dann wieder zuhause sitzen. (lacht)

Den Mainstream kratzt ihr heuer wieder mit einer Amadeus-Nominierung in der Kategorie „Electronic/Dance“ an. Hat das für euch einen Wert?
Hammer:
Es ist schon eine Anerkennung für das, was wir machen. Es geht aber ums Publikumsvoting und das finde ich für einen Award eigenartig. Man muss sich darum kümmern, dass die Leute dafür voten müssen und das geht mir nicht ein.
Breuer: Wir sehen unsere Chancen auch realistisch, denn Parov Stelar hat ihn wohl die letzten 15 Jahre gewonnen. (lacht)
Hammer: Er ist auch riesig und international und das passt absolut. Damit können wir gar nicht konkurrieren und wir fühlen uns geehrt, dass wir wahrgenommen werden. Wir spielen an dem Tag aber sowieso schon ein Konzert.
Breuer: Die Dankesrede bereiten wir aus der Ferne vor. Die wirklich Coolen kommen ja gar nicht erst zur Verleihung. (lacht)
Hammer: Viel schöner ist es, andere zu inspirieren. Es melden sich immer mal junge Musiker, die uns mögen oder unseren Sound cool finden. Was gibt es Schöneres?

Was wäre für euch das größte Kompliment, das man euch musikalisch machen könnte?
Hammer:
2010 haben wir beim „Elevate Festival“ im Grazer Dom im Berg gespielt und nach uns legte Robert Hood auf, einer unserer größten Helden. Er hat sich unseren ganzen Gig angesehen und Jakob gab ihm eine Platte von uns. Er sagte dann „good work“. So etwas ist dann der Ritterschlag für uns. Wir schicken unsere Platten auch immer an verschiedene DJs aus und wenn jemand die Musik gut findet, der selbst Musik macht und den du vielleicht selbst bewunderst, ist das das Allerschönste.

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