Missbrauchsgutachten

Münchner Kardinal: „Kirche hat falsch reagiert“

Ausland
27.01.2022 15:31

Auch nach der Präsentation des kritischen Missbrauchsgutachtens zum Erzbistum München und Freising bleibt Kardinal Reinhard Marx im Amt. Gleichzeitig bat er Betroffene wie Gläubige erneut um Entschuldigung und forderte eine Erneuerung der Kirche. „Wir sehen ein Desaster“, sagte der deutsche Erzbischof am Donnerstag in München mit Blick auf das vor einer Woche vorgelegte Gutachten zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Erzbistum.

„Wer jetzt noch systemische Ursachen leugnet und einer notwendigen Reform der Kirche in Haltungen und Strukturen entgegentritt, hat die Herausforderung nicht verstanden.“ Personelle Konsequenzen zog Marx dabei zunächst nicht. Jeder Verantwortliche solle selbst prüfen, wo er sich schuldig gemacht und welche Folgen er daraus zu ziehen habe, sagte er. Prälat Lorenz Wolf, Vorsitzender des Kirchengerichts des Erzbistums, der im Gutachten stark kritisiert wird, habe ihm mitgeteilt, dass er alle Ämter und Aufgaben ruhen lassen werde. Dies habe er akzeptiert.

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Wer jetzt noch systemische Ursachen leugnet und einer notwendigen Reform der Kirche in Haltungen und Strukturen entgegentritt, hat die Herausforderung nicht verstanden.

Kardinal Reinhard Marx

Über das Leid der Opfer geschockt
Die Gutachter werfen auch Erzbischof Marx selbst zwei Fälle von Fehlverhalten beim Umgang mit Verdachtsfällen vor. Er werfe sich selbst vor, dass er engagierter hätte handeln können und in einem Fall nicht aktiv auf Betroffene zugegangen sein, sagte Marx. Es sei für ihn persönlich unverzeihlich, die Betroffenen übersehen zu haben. Nach der Lektüre des Gutachtens sei er erneut erschüttert und erschrocken, vor allem über das Leid der Opfer, aber auch über Täter und Beschuldigte und über das Verhalten von Verantwortlichen.

„Für mich ist die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs Teil einer umfassenden Erneuerung und Reform, wie das der Synodale Weg aufgegriffen hat.“ Zudem betonte Marx: „Es gibt keine Zukunft des Christentums in unserem Land ohne eine erneuerte Kirche!“

„Die ganze Kirche hat falsch reagiert“
Im Umgang mit Missbrauch in der Katholischen Kirche sieht der Luxemburger Erzbischof Kardinal Jean-Claude Hollerich laut Kathpress weltweit ein strukturelles Versagen. „Eigentlich haben alle falsch reagiert, die ganze Kirche hat falsch reagiert“, sagte der 63-Jährige in einem Interview für die Februar-Ausgabe der „Herder Korrespondenz“. Da gebe es zwischen den Bischöfen weltweit im Großen und Ganzen nicht viele Unterschiede.

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Eigentlich haben alle falsch reagiert, die ganze Kirche hat falsch reagiert.

Luxemburger Erzbischof Kardinal Jean-Claude Hollerich

Oft hätten Bischöfe Fälle zugetragen bekommen und dann „verdrängt, verschwiegen oder verharmlost“. Das Ausmaß des Missbrauchs hätten sie nicht begriffen oder nicht begreifen wollen. „Vor allem haben sie das Leiden der Betroffenen nicht gesehen“, sagte der Kardinal.

Mindestens 497 Opfer
Das vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) war zu dem Ergebnis gekommen, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt worden waren. Es wirft auch den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor. Insgesamt sprechen die Gutachter von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern, sie gehen aber von einem deutlich größeren Dunkelfeld aus.

Marx wollte die Falschaussage des früheren Papstes Benedikt XVI. zu seinem Umgang mit einem Missbrauchspriester nicht kommentieren. Benedikt hatte sich am Montag aber in einem wesentlichen Punkt korrigiert. Anders als in seiner 82-seitigen Stellungnahme zu dem Münchner Gutachten, habe er doch an einer wichtigen Sitzung teilgenommen, teilte er mit. In der Sitzung ging es unter anderem um den Priester Peter H. der Diözese Essen, der 1980 zur Therapie nach München geschickt und dort umgehend wieder in der Seelsorge eingesetzt wurde. Dort beging er nach Aussagen zahlreicher Betroffene weitere Missbrauchstaten. Die falsche Angabe war nach Angaben von Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein auf ein technisches Versehen zurückzuführen.

Die Selbstkorrektur hatte international Aufsehen erregt. Gutachter hatten bei der Präsentation ein Protokoll der Sitzung vorgelegt, das bewies, dass Ratzinger entgegen seiner eigenen Aussage anwesend gewesen war.

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