„Krone“-Interview

Dino Brandão: „Tiefpunkte sind auch große Chancen“

Musik
10.11.2021 06:00

Der Schweizer Dino Brandão begann seine Karriere als Straßenmusiker und wurde fast Profi-Skateboarder. Heute bildet er mit Sophie Hunger und Faber eine Schweizer Supergroup und startet nun auch solo durch. Auf seiner EP „Bouncy Castle“ ist aber nicht immer alles fröhlich und schön. In den souligen und fein austarierten Tracks verarbeitet er soziale Schieflagen und persönliche Schicksalsschläge. Im Zuge des heurigen Waves Festivals im Wiener WUK fragten wir genauer bei ihm nach.

(Bild: kmm)

„Krone“: Dino, du bist fast schon Stammgast hier bei uns in Österreich. Zuerst einige Shows mit Faber und Sophie Hunger, beim Waves Festival warst du dann solo auf der Bühne. Unterscheiden sich diese Gigs vom Gefühl her?
Dino Brandão:
Wir haben zu dritt richtig magische Orte wie die Elbphilharmonie in Hamburg bespielt und jetzt gehe ich mit meinem Zeug wieder zurück in die kleinen Rockclubs, das ist absolut super. Ich finde alles schön, denn jeder Ort hat seinen Reiz. Egal, ob klein oder groß. Ich war sehr lange in der Warteschleife und freue mich, dass sich jetzt wieder etwas tut.

Ihr drei wurdet als „Lockdown-Supergroup“ bezeichnet und das Album „Ich liebe dich“ stieß auf regen Anklang. Zudem wurden eure Konzerte regelrecht abgefeiert. Hat das Projekt größere Ausmaße angenommen als ihr anfangs erwartet habt?
Es war wunderschön und sehr groß. Wir durften in Wien schweizerdeutsche Lieder spielen, was will man mehr? Es ist toll, dass der Erfolg nicht nur in der Schweiz passierte. Wir haben für das Album nicht die große Werbetrommel gerührt, sondern es einfach rausgetragen. Den Rest haben die Menschen für uns besorgt. Das Album kam gegen Weihnachten raus, wo man sich mit Best-Ofs von U2 oder Mariah Carey messen muss. (lacht) Und trotzdem kam es gut an. Das Album kommt aus dem Herzen und wurde so angenommen.

Dieses Projekt hat also eine längerfristige Zukunft?
Wir hatten zusammen so eine gute Zeit und wurden alle Fans voneinander. Ein paar Lieder wurden alleine gespielt und die anderen haben zugehört, einfach schön. Wenn es sich mit unseren Terminkalendern ausgeht, wären wir auf jeden Fall wieder dabei.

Drei Künstler mit unterschiedlichen Stärken - wo ist bei euch denn der gemeinsame Nenner?
Wir sind alle sehr verschieden, was die Essenz von einem Lied angeht. Wir alle sind textaffin und es ergab sich alles ganz natürlich. Eine Diskussion von drei Frontpersonen, die eigene Stile haben, entstand gar nicht. Es gab keine Probleme und alles verlief völlig reibungslos. Alles kam organisch und schön zusammen und wir haben zusammen mit Instrumenten experimentiert.

Mundart floriert auch bei uns in Österreich, wenn wir uns Voodoo Jürgens oder Seiler und Speer als Beispiel heranziehen. Woran liegt es, dass das Regionale gerade so eine große Bedeutung hat?
Ich weiß es nicht. Es wäre unschön, wenn es an den nationalen Tendenzen liegt, dass jeder nach Identität sucht und seine Grenzen eng absteckt. Die Muttersprache greift aber auch ganz anders. Wenn ich ein Lied auf Indisch höre, klingt die Sprache auf mich, aber ich verstehe sie nicht. Wenn ich Lieder auf Schweizerdeutsch schreibe, lege ich den Fokus ganz anders. Wir haben es getan, weil wir es einzeln wohl nicht tun würden. Vielleicht ein Lied, aber keiner würde ein ganzes Album so machen. Man konzentriert sich viel besser auf die eigene Sprache und bin persönlich nicht so ein Fan davon. Die Welt ist groß und es ist schön, dass es breit gesprochene Sprachen wie Spanisch oder Englisch gibt, die fast die ganze Welt versteht. Mit meinem Aargauer Dialekt haben ja schon manche Schweizer Probleme. (lacht)

Du stammst aus Angola, wohnst in der Schweiz und bist Weltbürger. Ist Musik dieses verbindende Element, mit dem du dich für alle umgreifend am besten ausdrücken kannst?
Auf jeden Fall. Ich habe Musikmachen durch Kommunikation gelernt. Musik ist für viele Menschen die einfachste Art, um ein Gefühl zu verstehen. Ob man da auf den Text hört oder nicht ist gar nicht so wichtig, aber Musik hat fast etwas Heiliges, weil sie der Welt etwas ganz Besonderes zuspielt.

Deine musikalische Karriere begann als Straßenmusiker. Da kommt niemand nur für dich und du bist direktem Feedback ausgesetzt. Sicher auch negativem. Hast du da den Mut für alles andere gewonnen?
Ich habe in einer Bahnhofsunterführung gespielt und innerhalb von zwei bis drei Stunden gehen da tausende Leute vorbei. Wenn ich heute auf der Bühne stehe, dann tut mir das nichts Böses. (lacht) Ich bin viel nervöser, dass meine Band alle Flüge schafft und pünktlich ist, als das Konzert vor Leuten an sich zu spielen. Ich habe auf der Straße auch singen gelernt, denn du musst laut sein, um überhaupt gehört zu werden. (lacht) Es war der perfekte Proberaum für die Bühne. Man ist direkt neben den Bettlern angesiedelt und dafür hatten viele Leute überhaupt kein Verständnis. Auch das habe ich gespürt. Ich habe mich dann selbst danach gesehnt, an Orten zu spielen, wo man Musik auch erwartet.

Du warst auch auf dem Sprung zu einem sehr respektablen Skateboarder. War die Entscheidung für die Musik eine bewusste?
Ich habe mich damals beim Sport arg verletzt. Mein Kreuzband und mein Meniskus waren zerrissen und dann konnte ich lange gar nicht skaten. Es war nicht klar, ob es überhaupt wieder geht und gleichzeitig habe ich mit den ersten Bands zu spielen begonnen. Dann habe ich nur noch Musik gemacht. Es ist lustig, wo es einen im Leben hinspült, denn ich weiß nicht, was wäre, wenn ich Sportler geblieben wäre. Vielleicht wäre ich bei den Olympischen Spielen gelandet. (lacht)

Du warst anfangs Gitarrist und Sänger der Band Frank Powers, die mittlerweile ausgelaufen ist. Wolltest du dich anders ausdrücken? Mehr alleine entscheiden?
Durchaus. Das ging ganz zurück zu den Zeiten, wo ich noch unselbstständig war und meine Instrumente gerade erst erlernte. Mit meinem alten Freund Pascal habe ich begonnen viel Musik zu machen und je mehr wir spielten, umso mehr merkte ich, dass ich mich breiter ausdrücken möchte. So wurde Frank Powers vom Duo zu einer Band, wo ich am Ende aber sehr eigenständig geschrieben habe, während die anderen mitgespielt haben. Dann wurden wir alle älter und haben neue Pläne ins Leben integriert. Manche sind noch in der Musik, manche nicht mehr. Vor etwa fünf Jahren habe ich begonnen Musik zu produzieren. Ich bin zwar schlecht mit Noten, kann aber Instrumente spielen und dadurch aufnehmen. Das hat für mich eine ganz neue Welt aufgetan, denn Frank Powers war eine sehr akustische Band. Anfangs ganz puristisch mit Violinenklängen.

Die Songs deiner neuen EP „Bouncy Castle“ sind sehr divers. Du hast deinen Sound mal selbst als Afro-Psych bezeichnet.
Ich mag einfach Musik, von simpel bis komplett abgedreht, und habe mir erlaubt, hier alles reinzuwerfen. Ich bin früher in der Familie mit vielen Trommeln aufgewachsen und wollte sie einsetzen und aufnehmen. Das kam alles von meinem Vater, als er in eine kleinere Wohnung zog. Ich habe viel auf afrikanische Rhythmik gesetzt und auch rockige Elemente eingebaut. Vielleicht auch Krautrock. Meine Inspirationen kommen aus allen Richtungen. Ich habe früher mit einem klassischen Gitarristen gespielt und dadurch viel Orchestermusik gehört. Ein Freund, der Musikjournalist ist, hat meinen Pressetext geschrieben und meinte, man höre auch barocke Teile bei mir heraus. Es ist schwierig, ein Genre zu nennen.

Der Song „Bouncy Castle“ hat einen ernsten Hintergrund. Er dreht sich um die bei dir diagnostizierte Krankheit Multiple Sklerose.
Ich hatte immer wieder gewisse Baustellen in meinem Leben. Mit Anfang 20 war ich kurz in der Psychiatrie. Mein Kopf hat nicht so gut funktioniert wie er sollte und ich nahm viele Medikamente. Vor zwei Jahren wurde bei mir MS diagnostiziert und das ist das nächste schwere Gerät, das mich begleitet. Dazu hatte ich wirklich sehr schwere Skateboard-Verletzungen. Auf mich kamen schon immer viele Extreme zu und die haben mich sehr geprägt. Vielleicht habe ich dadurch einen feinen Blick auf Details im Leben bekommen. Diese Tiefpunkte sind aber auch Chancen und ich betreibe eine hoffnungsvolle Musik.

In Songs wie „Decoration“ spiegelt sich diese positive Haltung auch klanglich gut wider.
Ich habe eine Tendenz dazu, ganz traurige Texte in fröhliche Lieder zu packen oder umgekehrt. Das macht das Leben doch auch aus. Ich wäre nie daran interessiert gewesen, eine komplett gerade Biografie zu haben. Aber das wird jetzt eh nichts mehr. (lacht)

Ist die gesamte EP mit deinen persönlichen Erfahrungen, Erlebnissen, Rückschlägen und Hochs konnotiert?
Das kann man schon so zusammenfassen. Die Lieder, die in den letzten drei Jahren entstanden sind, kommen aus diesem Gedankengang. Ich hatte schon vor Corona Unterstützung von Stiftungen in der Schweiz, die mir finanziell geholfen haben, um mich zurückziehen und arbeiten zu können. Ich verarbeite auch meinen Migrationshintergrund und stelle generelle Fragen zu unseren Strukturen und wie wir von unserem schönen europäischen Garten heraus die Welt sehen. All das fließt in die Songs ein all das ist sehr persönlich.

Persönlich und auch sozialkritisch.
Es steckt auch eine große politische Note dahinter. Es gibt so viele strukturelle Ungerechtigkeiten. Die Menschen schreiten mit unterschiedlichen Bedingungen ins Leben und wenn man so privilegiert aufwächst wie ich, kann man gut in alle Richtungen Scheuklappen entwickeln. Man muss ein Bewusstsein für andere Menschen entwickeln. Wie es ist, wo aufzuwachsen, wo es keinen Strom und permanent fließendes Wasser gibt? Wenn so ein Mensch nach Österreich migriert, kommt er mit einem sehr komplexen Rucksack am Rücken an. Dass Emigrierte kriminell werden, resultiert oft aus Traumata aus ihrer Heimat und Vergangenheit. Immigranten dürfen nicht arbeiten und werden dann in Töpfe außerhalb von Städten reingeworfen. Viele sind dann so perspektivenlos, dass sie zwangsläufig an dumme Orte geführt werden. Es ist extrem wichtig, dass wir lernen diesen Schicksalen gegenüber empathischer zu sein - aber auch empathischer hin gegen oben. Ich glaube nicht, dass man als Multimilliardär ein entspanntes Leben hat. Wir alle haben unsere Probleme und es gibt eine Freiheit, die in uns allen klafft. 

Du hast auch eine Zeit lang in Paris gelebt. Eine Stadt, die in deinem Leben eine sehr wichtige Rolle spielt.
Das war der Beginn für diese Arbeit. Ich durfte für sechs Monate ein Zimmer beziehen und habe dort ein sehr romantisches Leben geführt. Ich zog mich mit meiner Gitarre zurück wie ein alter Philosoph. Ich habe viel gearbeitet, abends ein Glas Weißwein getrunken und fiel dann ins Bett. Ich hatte dort das erste Mal Zeit, mir zu überlegen, was ich eigentlich sagen will und wieso überhaupt. Ich ging in die Klangwelt und auch in die Texte viel tiefer rein als früher. All diese Skizzen habe ich dann nach Hause in die Schweiz gebracht und weitergemacht. Paris ist ein Nabel der Welt und ich liebe solch großen Städte. Ich bin jetzt wieder in der Kleinstadt, aber du stehst in Städten wie Paris mit Menschen aus fünf Kontinenten auf einer Rolltreppe, die alle in die Arbeit fahren. Das finde ich sehr bereichernd.

Warum bist du eigentlich nach Paris gegangen und nicht woanders hin?
Das passierte im Zuge eines Unterstützungsprogramms von meinem Schweizer Kanton. Sie vergeben halbjährlich Ateliers an Leute aus dem Kunst- und Kulturbereich.

Paris gilt auch als Beispiel für fehlgeleitete Integration in Europa. Hast du dieses Problem direkt miterlebt?
Ich war direkt im Stadtzentrum, aber natürlich kriegt man das mit. Viele Menschen, die ich kennenlernte, waren auf Open-Mic-Nights unterwegs und sind dadurch überall unterwegs. Es herrscht eine krasse Dynamik und die Kids auf der Straße sind zurecht wütend. Dort schert man sich auch einen Teufel um die Menschen. Da ist eine sehr komische Regierung am Start, die ihr altes Königreich und die „Grande Nation“ hochbeschwören will, aber das klappt heute so nicht mehr. Es gibt natürlich schon viele Orte, wo man einfach nicht hin sollte. Ich habe mich mit der Utopie der Inklusion beschäftigt und oft klappt es nicht, weil man die Menschen verändern muss, damit sie in einem System mitmachen können. Es gibt keinen Platz für andere Werte, Systeme und Ansichten. Die Menschen streifen sich dann nicht und bleiben alle unter sich. Leute umgeben sich immer mit jenen, die ähnlich viel Einkommen haben und das befeuert wiederum die Distanz. Mein Wunsch an die Welt wäre, dass wir uns alle mehr begegnen und sich alles mehr vermischt. Bei mir sieht man das klar, aber die Leute kommen heute allgemein von überall her und wir sind ja alle Weltenbürger. Es war ja auch früher nie anders.

Und irgendwann kann man dann auch mit einem richtigen Album rechnen?
Die EP ist nun da und vielleicht mache ich noch eine zweite. Eventuell kommt dann im Herbst 2022 noch was, aber das weiß ich alles nicht so genau. Für die zweite EP gibt’s schon Lieder, da müssen wir noch ein bisschen mischen. Es sind zwei bis drei verschiedene Arbeitsetappen, die verschiedene Arten von Musik ergeben haben. Ich finde es schön, das zu unterteilen und so viele Konzerte zu spielen, die möglich sind. Dann will ich das Selbstgebastelte auch mit der Band teilen und dann schauen wir weiter. Schritt für Schritt.

Live in Wien
Am 12. Februar wird Dino Brandão ein Konzert im Wiener Rhiz spielen. Alle weiteren Infos und Tickets finden Sie HIER. Neben den Tracks von „Bouncy Castle“ darf man sich vielleicht auch schon auf ein paar noch neuere Nummern freuen.

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