"Nach vorne schauen"

Durchhaltewillen der Japaner ist ungebrochen

Ausland
01.04.2011 21:21
Große Teile des Landes sind verwüstet, Zehntausende tot oder immer noch vermisst. Doch selbst im Angesicht der größten Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg, in die das wohlhabende Japan vor drei Wochen jäh gerissen wurde, zeigen seine Bewohner immer noch ungebrochenen Durchhaltewillen. Tausende sitzen in Auffanglagern - und neben der Tatsache, dass die meisten von ihnen alles verloren haben, müssen sie noch mit der ständigen Angst vor der atomaren Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima 1 leben.

Die junge Japanerin weint, während sie spricht. "Ich möchte wieder ein normales Leben führen", erzählt sie schluchzend, während die Nation am Fernseher mit ihr fühlt. Die junge Frau ist eines der Opfer der schrecklichen Katastrophe. Seither haust sie wie Tausende Japaner in einem der Auffanglager. Die Menschen dort sprechen offen und unverstellt von ihrer Angst, vom Verlangen und der Sehnsucht, die Krise hinter sich zu lassen. Doch dann meint die Japanerin: "Ich muss nach vorne schauen." Worte, wie sie am Freitag, drei Wochen nach Beginn der Katastrophe, häufig in Japan zu hören waren. Ein Appell an den eigenen Durchhaltewillen.

"Japan befindet sich derzeit in einer schlimmen Situation", sagt Akio Toyoda. So wie der Chef des weltgrößten Autobauers Toyota veranstalteten zahlreiche japanische Unternehmen im ganzen Land am Freitag zum Auftakt des am 1. April begonnenen neuen Geschäftsjahres traditionelle Begrüßungszeremonien für die neuen Mitarbeiter. Viele Spitzenmanager gehen in ihren Reden an die Neuankömmlinge auf die Katastrophe im Nordosten ein und verbinden dies mit einem Aufruf, die Krise mit Mut und Engagement anzupacken. "Wir müssen mit aller Kraft den Wiederaufbau angehen", ruft der Chef von Toyota seinen Mitarbeitern zu. "Ich möchte, dass Sie überlegen, was Sie selbst beitragen können, und dann zur Tat schreiten", sagt er.

Automobilbranche schwer getroffen
Und das, obwohl er eigentlich selbst aufbauende Worte gebrauchen könnte. Die Erdbeben- und Atomkatastrophe hat den Absatz der japanischen Autobauer im März massiv einbrechen lassen. Die Verkäufe stürzten um 37 Prozent auf rund 280.000 Fahrzeuge ab, der größte jemals in Japan festgestellte Einbruch bei Autoverkäufen, wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete. Am härtesten traf es Toyota und Mitsubishi: Der Absatz des Marktführers sank im Vergleich zum Vorjahr um rund 46 Prozent auf 111.000 Fahrzeuge, Mitsubishi büßte 48 Prozent ein. Nissan und Mazda verbuchten Rückgänge von je 38 Prozent, Honda von 28 Prozent.

Neben diesen Krisenfolgen kämpft die japanische Autoindustrie mit fehlenden Zulieferteilen, zeitweisen Stromabschaltungen und den Folgen stillstehender Bänder. In zehn Toyota-Werken etwa ruht die Produktion noch mindestens bis zum 11. April. Die Hersteller rechnen bisher mit einem Produktionsausfall von mehr als 365.000 Fahrzeugen.

Große Teile des Landes zerstört
Das Erdbeben und der mörderische Tsunami haben große Gebiete im Nordosten des Landes zerstört, ganze Gemeinden wurden von der riesigen Wasserwand niedergerissen und fortgespült. Zigtausende Menschen verloren ihr Leben. Auch nach drei Wochen werden noch Tausende Opfer vermisst. Solange die Leichen nicht geborgen sind, findet die Seele der Angehörigen keine Ruhe, auch wenn jeder ahnt, dass es keine weiteren Überlebenden mehr geben dürfte. Doch eines hat dieses Land nicht verloren: den Zusammenhalt der Menschen, der sich auch in dieser wie schon in früheren Krisen als Japans große Stärke erweist.

"Japan ist durch die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen", ruft ein Topmanager eines großen Handelshauses seinen eigenen Mitarbeitern zu. "Dieses Land wurde mit unermüdlichem Fleiß wieder aufgebaut." Auch er feuert die jungen Menschen an, sich "mit der Krise im Bewusstsein an die Arbeit zu machen". Wie die Japaner diese gewaltige Krise angehen, wie die Opfer die harten Bedingungen in den Auffanglagern ertragen, die Kälte, den Versorgungsmangel und die Enge, wie sie geduldig ohne zu klagen und ohne in Panik zu geraten in langen Schlangen an den Wassertanks und Lebensmittelausgaben anstehen, beeindruckt.

Viel ist dieser Tage vom vermeintlichen Gleichmut und der Disziplin der Japaner zu hören. Doch es ist nicht Gleichmut, sondern eher Gefasstheit, mit der die Japaner der Katastrophe begegnen. "Shikata ga nai" oder "Shou ga nai", da kann man nichts machen, sich gegen die mörderische Kraft der Natur aufzulehnen, hat keinen Sinn.  Ins Schicksal ergeben sich die Japaner deswegen aber nicht. Im Gegenteil: "Ich gebe nicht auf", sagt ein alter Mann in einem Notlager - und so wie er denken viele. Viele haben Angst, vor allem vor den radioaktiven Strahlen aus dem zerstörten Atomkraftwerk in Fukushima. Der Glaube an die Sicherheit der Atomenergie ist schwer erschüttert. Auch gibt es Klagen über mangelnde Informationen der Regierung und der Betreiberfirma Tepco, auf die gigantische Entschädigungsforderungen zukommen.

Japanische und US-Truppen suchen nach Tsunamiopfern
Am Freitag hat eine groß angelegte Suchaktion nach Opfern des verheerenden Tsunamis begonnen. Die mehr als 18.000 japanischen Soldaten werden von Polizei, Küstenwache, Feuerwehr und ungefähr 7.000 US-Soldaten bei ihrer Arbeit unterstützt. Man vermutet, dass viele Opfer ins Meer geschwemmt wurden. Die Suche konzentriert sich auf ein etwa 18 Kilometer breites Gebiet in den zum Teil noch immer überfluteten Küstengebieten und Flussmündungen in den Präfekturen Fukushima, Iwate und Miyagi. Noch immer werden mehr als 16.400 Menschen vermisst, über 11.700 Todesopfer sind bisher bestätigt.

Die 30-Kilometer-Sicherheitszone um das Atomkraftwerk Fukushima ist nach Angaben des Verteidigungsministeriums wegen der gefährlichen radioaktiven Strahlung von der Suche ausgeschlossen. Behörden vermuten mindestens tausend Tote in der Umgebung des Krisenmeilers. Sie können wegen der Strahlung nicht geborgen werden.

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