Album & Interview

Efterklang: Im Kollektiv Mutter Natur huldigen

Musik
06.10.2021 06:00

Über die Landesgrenzen hinweg hat das dänische Art-Pop-Trio Efterklang letztes Jahr am Album „Windflowers“ gearbeitet und sich in der Covid-Zeit von der Natur und dem Leben auf unseren Planeten inspirieren lassen. Herausgekommen ist ein wundervolles, melancholisch und auch freudestrahlendes Stück Indie-Pop. Sänger Casper Clausen gibt uns im Interview nähere Einblicke in den gar nicht so einfachen Entstehungsprozess.

(Bild: kmm)

Immer seltener wird es, dass die Romantik des gemeinsamen Aufwachsens zu einer musikalischen Karriere führt. In Zeiten, wo Casting-Show-Konglomerate und monetär ausgerichtete Behelfsbeziehungen zu Bands werden, ist die gute alte Schulcombo in den letzten Dekaden zunehmend in den Hintergrund geraten. Sänger Casper Clausen, Gitarrist Rasmus Stolberg und Beat-Tüftler Mads Brauer sind noch richtige Kindheitsfreunde, die gemeinsam die Schulbank drückten und vor etwas mehr als 20 Jahren in naiver Begeisterung ihre Band Efterklang gründeten. Indie-Rock, Art-Pop oder Avantgarde-Elektronik - wie auch immer man die Klangderivate des sympathischen Trios aus Kopenhagen nennt, über die letzten zwei Dekaden wurden sie zu einer Beständigkeit im Indie-Sektor, die schnell weit über die eigenen Landesgrenzen hinausreichte. Mit dem Titeltrack zum 2007er-Album „Under Giant Trees“ gelang in der Heimat sogar ein Nummer-eins-Hit - hierzulande, wo der Massengeschmack auf Helene Fischer oder DJ Ötzi trifft, ist das nahezu unvorstellbar.

Alles hat sich verändert
Nach dem 2012er Top-10-Album „Piramida“ gönnte sich das Trio erstmals eine Atempause und nahm andere Projekte in Angriff. Man gründete mit dem finnischen Perkussionisten Tatu Rönkkö das Projekt Liima und komponierte eine Oper, es gab DIY-Vorführungen des hauseigenen Dokumentarfilms „An Island“, man förderte die musikalische Bildung der Kinder in Dänemark mit dem Projekt „Efterkids“ und als Efterklang kreierte das Trio vor zwei Jahren das in Landessprache gesungene Album „Altid Sammen“, eine Zusammenarbeit mit dem belgischen Barockensemble B.O.X. Dann kam Corona und alle Pläne haben sich völlig verflüchtigt. Clausen saß in seiner temporären Wahlheimat Lissabon fest und musste erst einmal damit umgehen lernen, wie er der „Krone“ im Interview im Zuge seines Auftritts beim diesjährigen Waves-Festivals erzählt. „Normalerweise wohne ich in einem Fortgehviertel, wo junge Menschen besoffen herumtorkeln, aber plötzlich hörte ich das Zwitschern der Vögel. Dieses Wiederkommen der Stille und der puren Natur für wenige Wochen war unglaublich. Wir haben im Frühling 2020 etwas Einzigartiges erlebt, das so wohl nie wieder möglich sein wird.“

Aus dieser Stille und der spontanen Isolation schöpfte Clausen Kraft. Er fertigte nicht nur acht Songs für sein diesen Jänner erschienenes Solodebüt „Better Way“, das sehr artifiziell, elektronisch und experimentell klingt, sondern konnte auch in Ruhe Songskizzen für das schon länger geplante neue Efterklang-Album fertigen. An gemeinsame Studioaufenthalte oder Gastmusiker war nicht zu denken. Die Band, in alle europäischen Winde verstreut, musste umdenken. „Unser kleinster gemeinsamer Nenner war ein Dropbox-Ordner“, lacht der hünenhafte Frontmann, „dort haben wir all unsere Ideen eingefügt und bearbeitet. Wir hatten ungefähr 100 Song-Skizzen, aber wir hatten dafür auch genug Zeit.“ Im Juni 2020 bestieg Clausen erstmals ein Flugzeug, jettete heim nach Dänemark und schloss sich mit den Kumpels in den Real Farm Studios auf der südlich von Kopenhagen gelegenen Insel Møn ein. „Die ersten paar Wochen haben wir uns mal durch das Dickicht an Ideen hören müssen. Jeder hat denn seine Favoriten gewählt und so haben wir alles eingeengt.“

Naturbelassen
Die oberste Prämisse war sich keine Prämissen zu setzen. „Manche Songs sind melancholisch, andere spannend, andere etwas hymnischer. Wir wollten anfangs ein Doppelalbum machen, weil wir uns von den letzten 20 Songs kaum mehr trennen wollten, aber Reduktion ist wichtig und so entstand am Ende ,Windflowers‘.“ Insgesamt reiste die Band fünf Mal in das Studio und hat dabei vom warmen Sommer über den farbigen Herbst bis zum bitterkalten Winter die volle Witterungspalette erlebt. Die Themenkomplexe Natur, Existenz und Welt haben sich fast von selbst ergeben. Die Elektrizität wurde von Windmühlen erzeugt und die titelgebenden ,Windflowers‘, zu Deutsch: Anemonen, erblühen jedes Jahr wie ein Meer in den buntesten Farben am dänischen Waldboden. Efterklang haben das Aufblühen, Verweilen und Verdorren der Pflanze mitbekommen und sich davon leiten lassen.

„Die Blumen sind ein Zeichen des Aufbruchs, und diesen Aufbruch haben wir gespürt. Die Pflanze gibt es schon länger als den Menschen, sie hat alle Zeiten überstanden. Zudem fand ich es schon immer faszinierend, wie Pflanzen und Blumen verbunden sind und miteinander kommunizieren. Die Blume versinnbildlicht den Frühling, das Aufwachen und Erwachsen des Lebens und auch die Verwurzelung, die für uns fast ungreifbar scheint.“ So gießen Efterklang ihren traditionellen Kammerpop in schwelgerische Noten, die, wie im Beispiel von „Hold Me Close When You Can“, manchmal auch nur von Clausens eindringlicher Stimme und dem zarten Pianospiel getragen werden. „Mir ist die Musik wichtiger als die Inhalte. Jeder Text startet bei mir mit ,bla bla‘, bis ich was draufbaue“, schmunzelt der Mittdreißiger, „für mich ist es nicht so schwer zart und intim zu singen. Wesentlich schwerer fällt es mir, zarte und intime Texte zu schreiben. Manchmal ist mein eigener Kopf mein größter Feind, weil er viel überdenkt und mich am Kreativitätsfluss hindert. Ein ewiger Konflikt, den ich immer wieder aufs Neue austrage.“

Gemeinsam mit dem Publikum
Die Dinge nicht zu überdenken, alles fließen zu lassen und auch einmal der Imperfektion Raum zu geben waren Stützpfeiler, die Efterklang als Fundament für „Windflowers“ dienten. „Wir wollten diesem Album ein bisschen das Thema Menschlichkeit entziehen. Es geht weniger um mich, dich oder uns, sondern um die Natur, das Existenzielle und vielleicht auch das, was wir auf den ersten Moment nicht ganz erfassen können.“ Der Opener „Alien Arms“ lässt dabei durchaus auf Extraterrestrisches schließen, aber Aluhut-Gefahr besteht bei Efterklang keine. Dass Clausen wieder zur englischen Sprache zurückgekehrt ist, hat einen universellen Gedanken. „Ursprünglich wollte ich das Album halb auf Dänisch, halb auf Englisch machen, aber dann blieb doch nur ein dänischer Song übrig. Auf Englisch können wir uns mit dem Publikum auf der ganzen Welt verbinden, wir spüren dadurch eine Gemeinsamkeit, die sonst verloren geht. Es ist zudem für alle Hörer etwas einfacher, meine Texte zu entdecken, zu deuten und zu verstehen, wenn man das möchte.“

Die positiven und melancholischen Momente halten sich die Waage und beim Video zur Single „Dragonfly“ lassen Efterklang auch wieder das innere Kind an die Oberfläche schwappen. Clausen, der in Lissabon mittlerweile nur mehr sein Equipment stehen hat und sich seine weitere Zukunft in Brüssel vorstellt, nutzte die Pandemie und die veränderten Arbeitsverhältnisse für eine Einkehr ins eigene Selbst. „Die größte Veränderung war die Ruhe. Ein richtiges Daheim habe ich schon seit Jahren nicht mehr, aber wo es sonst Touren, Studio oder Projekte gab, musste ich dieses Mal stillsitzen. Ich konnte dadurch endlich in Ruhe in mich hineinhören. Ich habe mich mit mir selbst konfrontiert und hinterfragt, welche Rolle ich auf diesem Planeten spiele, auf dem ich lebe. Wir alle werden ganz alleine geboren und müssen irgendwann auch wieder alleine sterben. Am Stärksten sind wir aber als Gemeinschaft und das haben wir als Band auf diesem Album bewiesen.“ Nun hat Tom Petty seine „Wildflowers“ und Efterklang haben die „Windflowers“. „Beim Googeln wird uns das wohl nicht helfen“, lacht Clausen, „aber wir klingen ja zum Glück ganz anders.“

Live in Wien
Am 21. Februar 2022 werden Efterklang (hoffentlich!) im Wiener Theater Akzent zu Gast sein - es zahlt sich aus! Alle weiteren Infos und Karten für den Gig erhalten Sie unter www.oeticket.com.

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