„Krone“-Interview

Robi Faustmann: „Anonymität hat einen hohen Wert“

Musik
09.06.2021 08:00

Mit der Single „Wien-Berlin“ eroberte die Band Keiner mag Faustmann rund um Frontmann Robi Faustmann vor neun Jahren die Radios. 2013 wurde der Song für den Amadeus nominiert und das dazugehörige Album „Stück von mir“ eroberte Platz sechs der Charts. Seitdem wurde es ruhig um den gebürtigen Steirer, der aber immer ein Teil der Wiener Musik-, Kabarett- und Kleinkunstszene blieb. Nun veröffentlicht er sein neues Album „Du mit mir“, an dem er fünf Jahre arbeitete und eckt auf seinen Social-Media-Channels gerne mal an. Wir trafen Robert Leon Faustmann zum ausführlichen Interview.

(Bild: kmm)

„Krone“: Robert, 2013 warst du noch für den Amadeus Award nominiert und hattest davor mit „Wien-Berlin“ einen Riesenhit. Seither hat man in der Öffentlichkeit musikalisch wenig von dir gehört. Wie kommt es jetzt zur Rückkehr mit dem Album „Du mit mir“?
Robert Leon Faustmann: Ich habe in der Schule in einer A-Cappella-Band gesungen und danach angefangen, Lieder zu komponieren und die Musik als Berufsweg zu sehen. Ich habe zudem zwei Jahre lang Filmproduktion studiert und dann Anna F. und Alex Deutsch kennengelernt. Ich sprach sie am Naschmarkt an, schickte ihnen Musik und daraus entstand nach zwei Jahren „Wien-Berlin“. Dieser Hit, der mittlerweile eine Million Klicks auf YouTube hat. 2013 hatten wir eine „Cineplexx“-Kinotour, das Album ging auf Platz sechs und wir hatten Airplay auf Ö3. Es war eine Art Durchbruch, wobei das natürlich trügerisch ist. Hinter den Kulissen sieht es anders aus. Ich habe zu der Zeit auch ein Café aufgemacht. Ich war nicht nur Popstar, sondern auch Unternehmer, aber die Luft war schnell raus. Anfang 2014 entschieden wir uns für eine Pause von der Zusammenarbeit. Wir haben die Band nicht aufgelöst, sondern einfach nicht weitergemacht. Mein Weg war es, als Musiker weiterzugehen. Ich sage nicht so gerne Künstler zu dem, was ich bin. Für die einen klingt es überheblich, für die anderen ist es ein Schimpfwort. (lacht) Ich wollte weiter auf die Bühne um ernste und lustige Dinge zu machen und versuchte dann in der Kabarett- und Kleinkunstszene Fuß zu fassen. Ich habe Unterschiedliches ausprobiert und sich von Genrezwängen zu befreien, tut irrsinnig gut. Für mich war das keine Pause, denn es ging weiter wie vorher. Ich stand jeden Tag auf, machte mir einen Kaffee und überlegte, was ich als nächstes tun werde.

Hast du dich nach dem Erfolg in diesem Mainstreampopkorsett einfach nicht mehr wohlgefühlt? Fühltest du dich verpflichtet, obwohl du nicht wolltest?
Mir hat nicht viel gefehlt. Man spielt live in Berlin und am nächsten in Hartberg - das ist schon ein schönes Leben. Wenn man das Booking und die Pressearbeit großteils selbst macht, ist natürlich viel zu tun. Es ist nicht immer optimal. Ich habe mich aber darüber gefreut, als ich wieder niemand war und machen und posten konnte, was ich wollte. Man kann sich dann auch politisch äußern, ohne dass es karrierezerstörende Effekte hätte. Als bekannter und ständig gespielter Popstar ist man eher dazu verpflichtet, seinem Status und dem Publikum gegenüber das zu liefern, was es von einem erwartet. Die Berühmtheit kommt zu einem gewissen Preis. Für mich hat die Anonymität einen hohen Wert. Ich kann experimentieren und werde nicht gleich verurteilt, wenn ich etwas Blödes mache. Dort sind dann nur die Freunde im Umkreis und die sind einem doch eher gut gesinnt. Die künstlerische Freiheit ist ein wichtiges und großes Thema für mich. Ich habe in meinem Werkbuch zum Album beschrieben, was ich darunter verstehe. Zum Beispiel, dass ich entscheide, in welchem Café ich mein MacBook aufklappe.

Je mehr künstlerische Freiheit du verspürst, umso eher kannst du der sein, der du bist?
Es gibt weniger Erwartungen, wenn man anonym ist. Ich weiß nicht, wie bewusst sich Menschen dessen sind, dass das was Gutes ist. Man könnte meinen, ich stehe mir selbst im Weg oder mache mir eine Karriere kaputt, aber ich will nur ein gesundes Ausmaß an Bekanntheit haben. Ich will Konzerte spielen, zu denen Leute kommen und manchmal spiele ich dann nur vor fünf Leuten. Das mache ich genauso gerne, aber man braucht die richtige Balance.

Anonymität kann man nur bedingt selbst steuern, wenn man sich als Künstler öffentlich präsentiert.
Naja, wir sitzen aber auch nur hier, weil ich mich irgendwann dazu entschlossen habe Lieder zu schreiben und sie in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich meine das nicht arrogant, aber jeder Künstler hat sich bewusst dazu entschlossen, nach draußen zu gehen. Das aus-sich-selbst-Herausgehen ist ein schwieriger Prozess, weil man sich dadurch bewerten lässt. Auf der Bühne weiß ich, dass meine Mama und meine Freunde da sind, aber es ist trotzdem alles öffentlich und ich öffne mich für Kritik. Meist ist viel Dankbarkeit da, was aber vielleicht auch daran liegt, dass bei meinen Konzerten fast immer freier Eintritt ist. Da erwarten die Menschen sich eh nicht viel. (lacht) Das Publikum gibt mir seine Aufmerksamkeit und ich gebe meine Lieder. Offenheit des Publikums und auf Augenhöhe zu agieren ist für mich auch eine Währung. Es geht nicht nur um mich, sondern auch darum, was die Lieder bedeuten.

Durch die Social-Media-Portale leben wir heute in einer noch viel größeren Bewertungsgesellschaft als vor knapp zehn Jahren, als du durchgestartet bist. Ist es dadurch noch schwerer, Künstler zu sein?
Ich habe das Glück, dass ich so klein bin, dass ich nicht in das Fadenkreuz der Hater komme. Ich mache meine Kunst quasi für meine Freunde und für Leute, die sich irgendwie dafür interessieren. Insofern fällt die Bewertung, wenn man sie messen kann, meistens sehr gut aus. Mein neues Album habe ich Ende März exklusiv auf iTunes digital veröffentlicht. Für Leute, die dafür bezahlen. Ich habe elf Mal fünf von fünf Sternen als Bewertung bekommen und eine Rezension davon war von jemanden, den ich nicht kenne und der mich nicht automatisch unterstützt. Diese Bewertung habe ich auch im Werkbuch abgedruckt. Das Werkbuch gibt es gemeinsam mit der CD, weil ja niemand mehr nur CDs kauft. Darin gibt es Fotos, Auszüge aus meinen Liedtexten, Gedanken, Auszüge aus meinen Notizen und Screenshots von Facebook. Ein Posting war zum Beispiel: „Ich habe dem ORF abgesagt für ,Starmania‘. Wenn ich mich weder selbst begleiten, noch meine eigenen Lieder spielen darf, sehe ich darin keine künstlerische Freiheit. Die Dame von der Casting-Agentur, die mich mehrmals angerufen und mir zum Recall gratuliert hat war sehr nett und professionell. Sie kann auch nichts für die Regeln, die für alle gleich sind. Aber leider musste ich absagen. Ich kann es politisch nicht vertreten, irgendwelchen reichen amerikanischen Songwriterinnen in die Tasche zu wirtschaften, indem ich Coversongs spiele. Ich habe genug eigene, spannende Kompositionen und wunderschöne Lieder und ein einzigartiges Spektrum an umgesetzte Ideen. Ich freue mich, dass mir das wieder klar wird. Ich mache das gerne und gut und ich glaube an mich selbst und meinen Weg. Ich will keine große Aufmerksamkeit, ich will kein Star sein. Ich will nicht von großen Plattenfirmen gemolken werden. Ich will Lieder schreiben, Konzerte veranstalten, Filme drehen und Hörspiele machen. Ich mache ,Ernst & Schmäh‘, arbeite mit hervorragenden Künstlerinnen und Kulturschaffenden zusammen und ich bin stolz darauf. Danke an alle, die mich auf meinem Weg unterstützen und mich dabei begleiten, der Medienwelt den Buckel runter zu rutschen. Frohes neues Jahr allerseits, ich liebe das Leben.“ Darauf habe ich 116 Likes und 37 Kommentare bekommen und die sind hier alle im Buch versammelt. Das ist meine kleine Revolution. Es gibt Zitate ab 2016, als ich mit dem Album begonnen hatte. Man lässt das liegen und reifen und irgendwann wurde es nach und nach zusammengestellt.

Aber die Medienwelt, wie die „Krone“, nimmst du dann doch gerne in Anspruch, wenn sie schon mal da ist?
Wenn Leute offen und interessiert sind und irgendwie davon erfahren, ist das cool. Man kann sich dann gut austauschen und das ist sehr wertvoll. Wir haben ja alle was davon. Das ist schön. Zur Bewertung: ich bin ja nicht so exponiert, dass ich so oft bewertet werde. Als „Wien-Berlin“ früher im Radio lief schrieb einmal einer, er würde am liebsten sein Radio aus dem Fenster schmeißen. Wenn man aber nicht zu oft dort vorkommt, dann gönnen einem die Leute das auch. Ich bin selbst auch nicht besser und neidisch, wenn ich die ganze Zeit dieselben Gesichter in den Medien sehe. Die nicht so viel gearbeitet haben wie ich und aus meiner Perspektive nicht so weit sind, aber vielmehr Fläche kriegen. Das ist irgendwie aber auch okay, denn ich bin eigentlich genau dort, wo ich sein will. Da fühle ich mich wohl.

Ich finde es persönlich sehr erfrischend, wenn sich ein Künstler offen und ehrlich artikuliert und sich beschwert, wenn ihm was nicht passt - wie du bei „Starmania“. Damit schlägst du dir aber doch auch viele Türen zu. Gehst du bewusst auf Konfrontation?
Ich habe mich für die neue Variante von „Starmania“ beworben und wenn man die Sendung kennt, weiß man, dass einer wie ich dort nichts verloren hat. Es ist eine Karaokeshow, in der Talente entdeckt werden und die unterhaltsam ist für das Fernsehpublikum, aber als ich denen was schickte, wusste ich natürlich, dass ich nicht reinpasse. Ich habe ihnen ein 30-seitiges PDF vorbereitet und u.a. Hip-Hop geschickt. Auf Soundcloud habe ich ein ganzes Hip-Hop-Album namens „Negativromantik“ mit coolen Hits veröffentlicht, nur weiß das niemand. Ich habe dafür ein Alter Ego namens Fäustling, weil ich früher bei den Wiener Sängerknaben so genannt wurde. Eine andere Geschichte: vor zwei Jahren war ich beim Frühstücksfernsehen „Guten Morgen Österreich“. Das war ein bisschen ein Schuss ins Rohr. Es war kein Teil einer großen PR-Kampagne, sondern ein kleiner Auftritt. Es ist nicht so toll und nicht vergleichbar mit einem Auftritt bei der „Starnacht am Wörthersee“. (lacht) Für mich war es ein großes Ding und es gab drei Einstiege um 6, 7 und 8 Uhr und ich musste jedes Mal dieselbe neue Single ankündigen. Wer das schaut, weiß ich nicht, in meinem Freundeskreis macht das niemand. Ich überlegte mir, wie weit ich im ORF gehen kann, sodass alles noch immer akzeptiert wird. Ich habe ein G’stanzl gesungen und ein paar Leute fanden das vielleicht lustig und ich habe das danach auf meinen YouTube-Kanal gestellt. Wenn man sich hinter der Kamera nett und professionell verhält, kann man davor eh machen was man will. Die Medienwelt freut sich, wenn einer aus der Reihe tanzt, weil es mal was anderes ist.

Nur zum richtigen Verständnis: du wusstest im Vorfeld, wie das Konzept „Starmania“ funktioniert, hast keine Chance für dich gesehen, dich aber trotzdem beworben, dir wurde abgesagt und dann bist du auf deiner Facebook-Seite auf die Sendung losgegangen?
Donald Trump weiß auch, was passiert, wenn er sagt, er baut eine schöne große Mauer. Man weiß was man macht und es hat einen gewissen Effekt. Der Effekt ist dann nicht immer so, wie es von außen ausschaut. Wenn ich mich bei „Starmania“ bewerbe, dann nehme ich alles was ich habe, mache es so gut wie möglich und biete es ihnen mit der Möglichkeit an, dass sie es nicht nehmen. Sie lassen sich dort viel entgehen, aber dass ich bei ihnen mit Gitarre und größenwahnsinnigen Ideen nicht reinpasse, verstehe ich auch. Ich kommentiere das sehr offen in den sozialen Medien. Ich postete im Vorfeld, dass ich mich bei „Starmania“ bewerbe und habe die Fans gefragt, wie sie das finden würden. Wenn ich nur covern und mich selbst nicht begleiten darf, dann bin ich dort falsch. Es ist einfach nur eine Karaokeshow.

Aber warum bewirbst du dich dort dann überhaupt? Nur deshalb, um danach mit bestätigten Vorurteilen darauf loszugehen? Das macht doch irgendwie keinen Sinn.
Ich gehe ja nicht drauf los. Sie wollten „Starmania“ neu erfinden und ich dachte mir, okay, wollen sie Stars machen oder eine Karaokeshow. Ich merke, dass wir uns da jetzt im Kreis drehen. Es war sicherlich eine Provokation, denn ich arbeite viel mit Provokation. Leute, die mir folgen, wissen das. Ich mache provokative Aussagen und daraus entsteht ein Gespräch. Meist kommt man dann auf einen grünen Zweig, denn ich will mit den Leuten gut sein und sie nicht nur irritieren. Im Fall „Starmania“ dachte ich mir, ich nutze die Gelegenheit um ein 30-seitiges Portfolio mit 15 Liedern zu machen, die ich mit Geschichten ausgeschmückt habe. Ausschließlich mit Eigenkompositionen, denn warum muss das Geld immer nach Amerika fließen? Ich wollte zeigen, dass es in Wien einen Typen, nämlich mich, gibt, der viele Kompositionen hat und sie verschieden interpretieren kann. Ich habe nicht so viele Möglichkeiten, meine Musik anzubieten, also biete ich es euch, „Starmania“, an. Vielleicht wäre sich das irgendwie ausgegangen, aber zu 90 Prozent dachte ich mir schon, dass das nicht klappen wird. Meine Songs sind sehr reif und gut, ohne das arrogant zu meinen. Wenn es als Plattform nur „Starmania“ gibt, dann biete ich sie dort an. Wenn es nicht klappt, dann akzeptiere ich das auch in einem professionellen Gespräch. Meine Kritik ist nur konstruktiv gemeint. Man sollte sich aber überlegen, ob man eigene Kompositionen aus Österreich will, oder die reichen Songwriter füttern möchte. Aber ja, es war eine Provokation.

Dein Verlag heißt „Ernst & Schmäh“ und du verwendest gerne die Begriffe Schmerz und Schmäh. Das Album „Du mit mir“ würde ich eher als schwerer und melancholischer verorten, aber gehen diese beiden gegensätzliche Pole bei dir künstlerisch so gut zusammen?
Wie ernst oder lustig ich bin, merkt man wohl am besten bei meinen Konzerten. Ich bin auch nur ein Mensch und ein Mensch ist nicht nur die eine Seite, sondern hat auch andere. In diesem Album geht es um die Seele, das Selbst und das Akzeptieren. Das sind ernste Themen. Es geht um Abschiednehmen, um das Verlassenwerden und Verlassen und um das Loslassen. Es geht im Lied „Komm wieder zurück“ um Suizid und im Lied „Weinen“ um Flüchtlinge, die schlimm behandelt werden. Und dann gibt es Lieder, die sich mit persönlichen Themen wie der Vergangenheit beschäftigen. Es ist alles recht allgemein gehalten und man wird bei mir keine Referenzen auf die Zeit oder irgendwelche Marken finden. Ich verwende auch keine Modebegriffe und nehme die Sprache ernst. Im ganzen Ernsten gibt es auch eine Leichtigkeit. Dieses Akzeptieren bringt sie mit sich. Es ist nicht alles traurig und schmerzvoll, denn man geht im Prozess des Akzeptierens auch durch starke und schöne Momente.

Ist das die Aussage von „Du mit mir“? Trotz all der Schwere, soll am Ende das Optimistische und Hoffnungsfrohe siegen?
Die schweren Momente im Leben versuche ich so zu verarbeiten, dass ich etwas Positives rausziehen kann. Bei einem Schicksalsschlag fällt es schwer, das Gute zu sehen, aber es gibt auch den Glauben. Und man kann immer glauben, dass es etwas Gutes an jeder Sache gibt. In „Komm wieder zurück“ stellt sich die Frage, ob ich mich umbringen oder einen Kaffee bestellen soll, wie es Albert Camus einmal formulierte. Und es ist der Kaffee! Ich glaube an die Wahrheit der Liebe. Ich will den Leuten die positive Note auf das Ganze mitgeben.

Wie ausgewogen ist das inhaltliche Verhältnis zwischen Autobiografischem und Fiktionalem auf dem Album?
Es gibt nichts Fiktionales. Ich bin der „Realness-Lord“. (lacht) Die autobiografischen Texte sind nicht direkt aus dem eigenen Leben gegriffen, sondern basieren teilweise auf Erzählungen. Wenn du zum Beispiel das Suizidthema ansprichst - es geht da nicht um meinen, sondern um die Beobachtung bei jemand anderem. Ich hatte auch schon einmal Suizidgedanken. Ich weiß nicht, ob sie jeder Mensch hat, aber manchmal ist der Schmerz einfach hart. In dem Song habe ich das bei jemand anderem beobachtet und die Botschaft ist, dass er wieder zurückkommen soll, weil es noch nicht zu spät ist.

Du bist ein politischer Mensch, der im Rahmen seiner Möglihckeiten gerne und viel reist.
Ich habe keine Statistiken in Bezug auf die Gesellschaft, aber ich merke, dass ich gerne mit einem Auftrag reise. Ich war zum Beispiel vier Mal in Griechenland auf der Olivenernte. Ein Freund fragte mich, ob ich ihm bei der Gründung eines Olivenölvereins helfen wollte und ich sagte zu. Dort ist es mir passiert, dass ich beim Zwischenhalt in Ancona gesehen habe, wie die Hafenpolizei einen Flüchtling nicht gut behandelte. Natürlich gibt es Grenzen, eine Polizei und Gesetze. Aber wenn man so etwas selbst sieht, dass ein Mensch schluchzt, weil es ihm so elend geht, dann muss man als Songschreiber darüber ein Lied schreiben. In keinem Moment meines Lebens war mir so klar, dass ich das jetzt so machen muss. Ich sage damit nicht, dass man alle Leute ins Land lassen, die Grenzen aufmachen und die Polizei abschaffen sollte. Ich sage nur, dass ich etwas gesehen habe, das mir wehgetan hat und das einfach nicht schön war.

Inwiefern eröffnet dir das Kennenlernen anderer Kulturen oder anderer Kunst einen neuen kreativen Zugang zu deinem eigenen Schaffen?
Reisen sind etwas Außergewöhnliches und oft war ich allein unterwegs. Zum Beispiel mehrmals in Israel, wo ich auch etwas Hebräisch gelernt habe. Einmal war ich am Toten Meer und habe bei einem Beduinen im Zelt gewohnt, der mich bekocht hat. Ich habe ihn dort zufällig kennengelernt und es war nicht so romantisch, wie man sich das vorstellt. Es gab kein Zelt, sondern nur ein Palmenblätterdach. In solchen Momenten beschäftigt man sich viel mit sich selbst. Solche Reisen haben mich sehr geprägt. Meine Mutter ist Schwedin, weshalb ich oft dort war. Ein paar Mal ganz alleine, um dort zu segeln. Das ist wirklich wunderschön. Mit Abstand am meisten alleine bin ich aber auf meinen Solotouren. Seit zehn Jahren mache ich das mindestens einmal pro Jahr, nur 2020 ging es wegen Corona nicht. Ich bin einmal mit dem Auto allein Tausende Kilometer bis nach Hamburg gefahren und habe nur die Stille genossen. Ich habe keine Musik gehört und einfach nur nachgedacht. Reisen sind wichtig, aber nicht gut für die Umwelt. Man sollte nicht fliegen.

Wie lässt sich „Du mit mir“ denn am besten zusammenfassen?
Ich versuche, der Gleiche zu bleiben. Ich überlege mir immer, was ich als Kind für ein Idiot war und genau der will ich bleiben. (lacht) Es geht, wie gesagt, um die Seele, das Selbst und das Akzeptieren. Im Titel ist es gut beschrieben, dass es um Beziehungen geht. Um diese A-B-Kommunikation zwischen zwei Polen. Ich versuche eine gültige Perspektive zu finden. Ich will kein Gefühl einfangen oder einen Moment festhalten, sondern eine Sichtweise auf ein Gefühl finden, die gültig ist und gültig bleibt. Wie man es mit einem guten Foto schafft, dass es nicht nur eine Momentaufnahme ist, sondern auch in zehn Jahren noch einen Wert hat. Ich will meine Lieder auch in zehn Jahren noch spielen können. Ich bin einer von denen, die sich nicht vorstellen können, nicht mehr zu arbeiten. Ich will das lange machen und auch mit 80 noch in der Lage sein, „Wien-Berlin“ spielen zu können.

Zwei Live-Konzerte
Faustmann stellt sein Album „Du mit mir“ und sein dazugehöriges Werkbuch live am 11. und 12. Juni im Wiener Café Siebenstern gegen eine freiwillige Spende vor. Alle weiteren Infos finden Sie unter www.7stern.net

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