Tragödie von Eibesthal

„Sie wollte mich ins Gefängnis bringen“

Österreich
16.05.2021 06:00

Am 28. März erschoss eine 29-Jährige ihre Tochter und sich selbst. In ihrem Auto, auf einem Feldweg in Niederösterreich. Davor hatte die Frau unzählige Spuren gelegt - um ihren Ehemann als Täter gelten zu lassen. Jetzt spricht er in der „Krone“. Über die Tragödie, die niemand vorhersehen konnte.

Der Mann, der jetzt auf einer Parkbank in Mistelbach sitzt, wirkt angespannt. „Ich habe“, erklärt der 59-Jährige gleich, „noch nie zuvor ein Interview gegeben.“ Aber nun sei ihm das ein Anliegen: „Weil ich endlich will, dass die Fakten bekannt werden.“ Die Fakten, die Alfred K. meint: die Hintergründe zu dem Drama, das am 28. März auf einem Feldweg in Eibesthal geschehen ist.

Das Protokoll einer Wahnsinnstat
Seine Ehefrau Melanie (29) hat dort damals, in den späten Vormittagsstunden, in ihrem Auto – einem Hyundai-Tucson – eine Wahnsinnstat begangen; Katharina, die gemeinsame viereinhalbjährige Tochter, auf der Rückbank des Wagens erschossen und sich danach selbst gerichtet, auf dem Beifahrersitz. Mit einem Revolver, „der mir gehörte“.

Wie aufgrund umfangreicher Erhebungen der Kriminalabteilung Niederösterreich laufend klarer wird, dürfte die Hotel-Angestellte das grauenhafte Verbrechen an ihr und ihrem Kind bereits monatelang penibel geplant haben. „Mehr noch“, sagt Alfred K.: „Ihr Ziel war, mich als Schuldigen ins Gefängnis zu bringen“

Welche Handlungen sind der Tragödie vorausgegangen; was war ihr Beginn? „Womit soll ich anfangen?“, fragt er.

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Der Ablauf des Verbrechens und die Vorgeschichte dazu lesen sich wie der Plot eines Psychothrillers.

Anwalt Manfred Arbacher-Stöger

„Viele Jahre führten wir eine gute Ehe“
Wie haben Sie einst Ihre Frau kennengelernt? „Wir waren im selben Turnverein, irgendwann verliebten wir uns ineinander.“ Der Altersunterschied von 30 Jahren sei „nie ein Problem“ gewesen, „weil wir uns charakterlich sehr ähnlich waren und viele gemeinsame Interessen hatten“

Und lange lief die Beziehung ja harmonisch. „Wir betrieben Sport zusammen, gingen in einen Volkstanzkurz, machten an den Wochenenden Ausflüge ins Grüne und im Sommer Urlaube mit Melanies Eltern.“ 2014 die Heirat, „2016 kam unser Wunschkind, Katharina, zur Welt. Damit schien unser Glück perfekt.“

Erste Probleme traten 2019 auf. Alfred K.s Sohn aus einer früheren Ehe – er war da gerade 13 – „befand sich in einer krisenbeladenen häuslichen Situation, aus der ich ihn herauslösen wollte. Jedenfalls: Ich sah es als meine Vater-Pflicht an, ihn bei uns aufzunehmen.“

Ein Vorhaben, „gegen das sich Melanie leider völlig stellte. Denn sie wollte mich – außer mit unserem Kind – mit niemandem teilen. Wie sie mir immer wieder erklärte. Letztlich stellte mir meine Frau ein absurdes Ultimatum: Ich müsse mich entweder für sie und Katharina oder für den Buben entscheiden.“

Fazit: Im August 2020 zog der Angestellte „schweren Herzens“ aus der Familienwohnung in Neusiedl an der Zaya aus - und übersiedelte nach Mistelbach.

„Da nahm sie eine meiner Waffen“
„Bei dem Umzug nahm ich auch einen Safe mit, in dem meine zwei Waffen - ich bin Hobbyschütze - und Dokumente verstaut waren. Darunter Papiere, die Melanie gehörten. Und in einem unbeobachteten Moment muss es geschehen sein, dass sie einen Revolver und Munition an sich nahm.“

Wegen Corona waren Schießplätze geschlossen, „erst im Jänner 2021 öffnete ich also wieder den Tresor – dabei bemerkte ich den Verlust. Den ich gleich bei der Bezirkshauptmannschaft meldete.“ Genauso wie den Verdacht, „Melanie könnte dafür verantwortlich sein“.

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Ich bin Hobbyschütze. Plötzlich war eine meiner beiden Waffen verschwunden. Ich meldete sofort den Verlust. Jetzt weiß ich: Meine Frau hatte den Revolver entwendet.

Alfred K. über die Tatvorbereitung

Schließlich hätte die 29-Jährige ihm damals „schon mehrfach mitgeteilt, dass sie ohne mich nicht leben wolle“. Der Angestellte habe folglich „in einem unangenehmen Gefühl“ die Eltern der Frau über diese Aussagen informiert. „Aber weder sie noch ich glaubten, dass Melanie suizidgefährdet wäre; und schon gar nicht, dass sie dazu fähig sein könnte, Katharina umzubringen.“

Was der Mann nicht wusste: Die Rezeptionistin hatte zu diesem Zeitpunkt schon begonnen, in ihrem Bekanntenkreis schlimme Gerüchte über ihn zu verbreiten; dass er sie mehrfach geschlagen und eine Mordtat an ihr angekündigt hätte.

Am Schluss eines Whats-App-Chats mit einer Freundin, in dem sie ausführlich über „Alfreds dunkle Seiten“ erzählt hatte, schrieb sie etwa: „Das alles für den Fall, dass mir etwas passieren könnte, man weiß ja nie, was dem noch einfällt“

Belastendes Testament geschrieben
Ende des Vorjahres verfasste sie sogar ein ihn schwer belastendes Testament: „Ich, Melanie K., schreibe hier meinen Letzten Willen – sollte mein Mann seine Drohungen wahr machen und mir etwas zustoßen. Mein Vermögen soll auf meine Eltern und meine Tochter aufgeteilt werden. Mein Mann soll nichts erben, da er uns im Stich gelassen hat und der Psychoterror, den er mit uns macht, der Horror ist.“

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Mein Mann soll nichts erben, da er uns im Stich gelassen hat und der Psychoterror, den er mit uns macht, der Horror ist.

Melanie K. im Dezember 2020

Herr K., wie war der Kontakt zu Ihrer Frau, in den Wochen vor dem Drama? „Bis Mitte Dezember 2020 lief zwischen uns eigentlich alles okay ab. Ich war regelmäßig bei ihr zu Hause, um mit Katharina zu spielen. Doch plötzlich verweigerte mir dann Melanie jedes Zusammentreffen mit unserer Tochter. Ich durfte ihr nicht einmal mehr Weihnachtsgeschenke, die ich für sie gekauft hatte, geben.“

Weswegen der 59-Jährige bei Gericht einen Antrag auf ein geregeltes Besuchsrecht stellte. „Die Verhandlung dazu wäre am 30. März gewesen.“ Zwei Tage davor beging die Rezeptionistin ihre fürchterliche Tat. Ohne sie irgendwem angekündigt, ohne einen Abschiedsbrief hinterlassen zu haben. Ohne dass ihr Verhalten darauf hätte schließen lassen.

Wenige Stunden davor hatte sie ihrer Mutter per SMS angekündigt, zu ihr mit Katharina zum Mittagessen zu kommen. Sie hatte - wie Aufnahmen aus Überwachungskameras belegen - in enger zeitlicher Nähe zu dem Verbrechen sogar noch Milch in einer Tankstelle gekauft. „Sie dürfte zudem geglaubt haben, dass ich auch an diesem Sonntag wieder in der Umgebung von Mistelbach alleine eine Wanderung unternehmen würde.“ Es war etwa 14 Uhr, als ein Jäger in diesem Gebiet den Hyundai mit den Leichen der Frau und des Kindes entdeckte und er daraufhin die Polizei alarmierte.

„Ich galt als ein gesuchter Mörder“
Und ja, der Plan der Verstorbenen ging vorerst auf: Alfred K. galt schnell als mutmaßlicher Killer, eine Großfahndung nach ihm wurde eingeleitet - und darüber in sämtlichen Medien des Landes berichtet.
Sein Pech: „Ich hörte keine Nachrichten, ich surfte nicht im Internet.“ Außerdem befand sich sein Handy im Zuhause seiner neuen Freundin, „die ich einige Zeit nach der Trennung von Melanie kennengelernt hatte“; bei der er seit Freitag gewesen war, „mit der ich am 28. März den ganzen Tag über Verwandte von ihr besucht hatte“.

Seine Wohnung, sein Auto: längst aufgebrochen und durchsucht, „als ich um etwa 19 Uhr von dem schrecklichen Verdacht gegen mich erfuhr“. Ein mehrstündiges Verhör, im „Beschuldigtenstatus“: „Danach wurde ich als ,freier Mann‘ entlassen.“ „Das immense Glück meines Mandanten war“, so sein Anwalt, Manfred Arbacher-Stöger, „dass zahlreiche Zeugen sein Alibi bestätigen konnten.“ Denn ein eindeutiges Ergebnis hinsichtlich der Schmauchspuren, die sich an Melanie K.s Händen befanden, lag erst viel später vor: „Und bis dahin wäre er mit Sicherheit in U-Haft genommen worden.“

Alfred K.s Gefühle, jetzt, seiner Frau gegenüber? „Mir ist mittlerweile klar: Ich habe sie nicht wirklich gekannt.“ Und der Angestellte sagt: „Obwohl sie mir mein geliebtes Kind genommen hat - ich empfinde keinen Hass gegen sie. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich religiös bin. Und ich mir deshalb gewiss bin, dass sie sich im Jenseits ohnehin für ihr Verbrechen verantworten muss.“

Sein Glaube, er hilft dem Mann auch, mit Katharinas Tod fertigzuwerden: „Weil ich weiß, dass sie nun bei Gott im Himmel ist. Und er auf sie achtet und sie beschützt - bis ich irgendwann bei ihr bin.“ Melanie K. und das kleine Mädchen wurden am 10. April am Friedhof ihres Heimatorts - in Neusiedl an der Zaya - bestattet.

Alfred K. hat erst im Nachhinein von dem Begräbnistermin erfahren: „Für mich ist es schlimm, dass ich bei der Verabschiedung nicht dabei sein konnte.“ Umso mehr sei ihm nun ein großes Anliegen, „den Stein und die Pflanzen für das Grab auszusuchen. Weil die letzte Ruhestätte meiner kleinen Tochter wunderschön sein soll.“

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