Das große Interview

Was tun Sie für die MAN-Arbeiter, Herr Minister?

Politik
11.04.2021 06:00

In Steyr wackeln 8000 Arbeitsplätze. Arbeitsminister Martin Kocher (47) spricht mit Conny Bischofberger über das Drama beim Lkw-Hersteller MAN, die Pläne der Bundesregierung und seine Top-Werte im aktuellen Vertrauensindex.

Samstagmorgen, der Minister kommt von der Straßenbahnstation 2 über die Aspernbrücke zum Arbeitsministerium schräg gegenüber der „Urania“ am Wiener Donaukanal marschiert. „Am Wochenende soll der Fahrer frei haben“, findet Martin Kocher und holt den Lift ins Dachgeschoß, wo sein Büro liegt.

Leer geräumter Schreibtisch, dahinter hängt ein einziges, großes Bild von Wolfgang Hollegha aus der Sammlung Belvedere. Vor sich auf dem Tisch steht eine Kanne „English Breakfast Tea“ auf einem Stövchen, dessen Kerze Kocher mit einem blauen Stabfeuerzeug anzündet. Seine Augen blicken durchwegs freundlich und passen farblich zur blau-weiß-beige gestreiften Krawatte.

„Krone“: Hier in diesem Büro saß vor etwas mehr als drei Monaten noch Ihre Vorgängerin Christine Aschbacher, die aufgrund von Plagiatsvorwürfen zurücktreten musste. Hat es Sie nie gestört, dass Sie nicht schon vor diesem unrühmlichen Kapitel ein spannender Kandidat für ein Regierungsamt gewesen sind?
Martin Kocher: 
Nein, das hat mich nicht gestört, weil es in meiner Planung wirklich überhaupt nicht vorkam. Es war eine völlige Überraschung, dass ich gefragt wurde.

Laut APA-Vertrauensindex haben Sie es in diesen drei Monaten, gleich hinter dem Bundespräsidenten, zum beliebtesten Minister der Regierung geschafft. Warum, glauben Sie, vertrauen Ihnen die Menschen?
Gute Frage, ich weiß es nicht. Es ist sicher ein Vertrauensvorschuss, den ich erst rechtfertigen muss, eine Momentaufnahme. Wer in die Politik geht, muss wissen, dass es Entwicklungen gibt, die man nicht oder nur schwer beeinflussen kann. Ich hoffe, dass ich mit meiner Expertise - und in die vertrauen vielleicht die Menschen - eine Verbesserung am Arbeitsmarkt herbeiführen kann.

Könnte Ihr Beliebtheitswert auch deshalb so hoch sein, weil Sie noch keine Zeit hatten, sich unbeliebt zu machen?
(Lacht.)
Richtig! Wie auch immer, dem Neuen wird oft etwas Positives zugeschrieben. Mal sehen, wie sich das weiterentwickelt.

Schmeichelt es Ihnen?
Ich bin eigentlich relativ uneitel. Aber es freut mich und es freut mich auch fürs gesamte Team, das natürlich den großen Beitrag dazu leistet.

„Gesamtes Team“ ist ein gutes Stichwort. Worauf führen Sie den Absturz der praktisch gesamten Regierung im Vertrauensindex zurück? Kurz, Anschober, Nehammer, Kogler: alle fett im Minus. Der Parlamentspräsident ist sogar der am wenigsten vertrauenswürdige Politiker, gerade noch überholt von Hofer und Kickl.
Auch das ist eine Momentaufnahme. Vor einem Jahr hat es noch ganz anders ausgesehen. Es liegt viel an der Pandemie. Weil es einfach schwierig ist, als Regierung die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das sind immer Abwägungsentscheidungen, die nicht von allen gutgeheißen werden können. Alle sind müde und wollen raus, gleichzeitig will niemand, dass die Intensivstationen überlastet sind. Dieses Dilemma zu lösen ist praktisch unmöglich. Man sieht das in ganz Europa: Die Umfragewerte der Regierungen sinken überall.

Sie haben die Chats nicht erwähnt. Glauben Sie, dass sie keine Rolle spielen?
Die Chats kann ich schwer beurteilen. Das müssen Meinungsumfragenexpertinnen und -experten beantworten.

Finden Sie sie peinlich?
Nein, peinlich finde ich sie nicht. Aber vielleicht waren sie nicht immer elegant. Oder, wie der Finanzminister es formuliert hat, zu salopp.

Sehr gnädig, Ihr Urteil …
(Blickt freundlich und lächelt.)

Herr Minister, in Steyr hat die Belegschaft von MAN die Übernahmepläne des Investors Sigi Wolf deutlich abgelehnt. Hat Sie das überrascht?
Ich war überrascht über die Deutlichkeit. Es war klar, dass es möglicherweise knapp ausgehen wird, weil sich ja auch der Betriebsrat nicht voll hinter dieses Konzept gestellt hat. Ich glaube, es war auch ein Votum gegen die Schließungspläne von MAN und nicht so sehr ein Votum gegen einen neuen Investor. Die Belegschaft war einfach sehr enttäuscht über das Aufkündigen der Standortgarantie.

Kann man eine Garantie aufkündigen?
Das ist genau die rechtliche Frage. Niemand weiß, wie das ausginge, wenn es vor Gericht eingeklagt würde.

8000 Arbeitsplätze wackeln. Wie geht es dem Arbeitsminister damit?
Nicht gut, klarerweise. Das erfüllt mich schon mit Sorge. Ich will jetzt keine Stehsätze bemühen wie „Jeder Arbeitslose ist einer zu viel“. Aber natürlich, wenn ich auf die Statistik schaue, dann stehen dahinter immer Menschen. Und auch wenn es in Anführungszeichen „nur“ ein paar Tausend Leute sind von insgesamt vier Millionen unselbständigen Beschäftigten, sind das immer persönliche Schicksale.

Kennen Sie einen oder eine dieser 8000?
Nicht persönlich, nein.

Aber stimmt die Zahl?
Es gibt eine Studie von Friedrich Schneider, Professor an der Uni Linz, der auf gut 8000 kommt. Es geht nicht um ein einzelnes Unternehmen, sondern um den gesamten Standort Steyr. Deshalb sind auch viel mehr als die 2300 Arbeitsplätze bei MAN bedroht, falls es zu einer Schließung käme.

Damit droht der Konzern. Wie würden Sie das derzeitige Szenario beschreiben?
Für die Region wäre es ein Drama. Deswegen müssen wir alles tun, damit das nicht passiert. Es ist auch für den Industriestandort Österreich wichtig, weil Steyr mit MAN ein wichtiger Faktor ist. Viele Menschen, die hier arbeitslos würden, hätten es schwer, einen Arbeitsplatz zu finden, die Lage am Arbeitsmarkt ist angespannt. Das treibt mich persönlich als Arbeitsminister am meisten an.

Der ehemalige Betriebsrat Erich Schwarz, der in Pension gegangen ist, meinte im „Krone“-Interview, dass man von der Regierung gar nichts gehört habe, nur von der SPÖ. Lässt die Regierung diese Arbeiter hängen?
Nein, es gibt seit Wochen oder Monaten sehr viele Gespräche. Es ist hilfreich, wenn solche Gespräche nicht öffentlich gemacht werden. Es geht ja darum, Lösungen zu finden, nicht um Inszenierung.

War seine Behauptung falsch?
Sie stimmt so sicher nicht. Natürlich war bei den Gesprächen die oberösterreichische Landesregierung führend. Es wurde aber immer mit uns abgestimmt, mit der Regierungsspitze, mit der Wirtschaftsministerin, mit mir. Das AMS Oberösterreich ist laufend mit den handelnden Personen vor Ort in Kontakt und unterstützt sie bei der Erstellung von Sozialplänen und Stiftungsmodellen. Es ist unrichtig, dass sich nur die SPÖ gekümmert hat.

Was tun Sie ganz konkret für die Arbeiter von MAN?
Unser Ziel ist eine Weiterführung des Werks, die Auslotung aller Lösungen, die noch möglich sind. Letztlich geht es um zwei Dinge. Man überzeugt MAN, das Werk nicht zu schließen, oder man findet einen Investor, der das Werk übernimmt. Dazu muss man die Gespräche suchen. Es gibt Gesprächsbereitschaft bei MAN und, wenn ich das richtig einschätze, auch bei den Investoren. Jetzt geht es darum, alle wieder an einen Tisch zu bringen.

Sigi Wolf hat bereits erklärt, nicht nachzubessern.
Ich glaube, es wäre allen gut geraten, wieder das Gespräch zu suchen.

In welchem Zeitraum?
Die Zeit drängt. Aber einige Wochen mehr oder weniger sollten keine Rolle spielen. Wir müssen schließlich eine Lösung finden, die nachhaltig ist, wo der Standort und die Arbeitsplätze sicher sind.

Ist das nicht ein frommer Wunsch, dass alle Arbeitsplätze erhalten werden können?
Ich versuche immer ehrlich zu sein. Als Politiker darf man Menschen keine falschen Hoffnungen machen oder Dinge versprechen, die nicht zu halten sind. Dass die gesamte Belegschaft, inklusive der Überlassungsfirmenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen, dort in einer Nachfolgeregelung behalten werden kann, ist zwar eine mögliche Variante, aber eine aus meiner Sicht unwahrscheinliche.

Wie würden sich Kündigungen auf den Gesamt-Arbeitsmarkt auswirken?
Einzelne Unternehmen werden oft überbewertet. Natürlich ist in der betreffenden Region die Betroffenheit groß, wenn es zu Kündigungen kommt. Aber wenn wir vom gesamten Arbeitsmarkt sprechen, so haben wir gerade im Bereich der Industrie mittlerweile schon wieder eine sehr gute Dynamik am Arbeitsmarkt. Es entstehen schon wieder viele neue Arbeitsplätze in der Industrie. Die Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr ist sehr gut. Viel besser als noch vor einem Jahr.

Ihre Frau ist bei MAN Vizepräsidentin. Sind Sie da in Ihren Entscheidungen eigentlich komplett frei?
Meine Frau ist im Hauptwerk in München Hauptabteilungsleiterin im Vertrieb, hat also überhaupt nichts mit Standortentscheidungen zu tun. Ich bin deshalb völlig frei in meinen Entscheidungen.

Wie reagieren Sie auf Versuche, Ihnen Befangenheit vorzuwerfen?
Das ist bisher nicht passiert und ich hoffe, es wird auch so bleiben. Weil es überhaupt keinen Grund dafür gibt, meine Frau da hineinzuziehen.

Die Pandemie hat auch ohne MAN sehr viele Arbeitslose gefordert. Schwirrt diese Zahl immer in Ihrem Kopf herum?
Ja, ich bekomme diese Zahl jeden Abend gegen 17 Uhr aufs Handy. Im Moment sind es 375.000 Arbeitslose plus 75.000 Menschen in Schulungen. Ich bin noch keinen Abend schlafen gegangen, ohne die Zahl gesehen zu haben.

Wie werden wir aus dieser Krise kommen und wer wird das alles bezahlen?
Ich glaube, dass wir gut aus der Krise kommen werden. Denn im Gegensatz zur Finanzkrise, die bei Weitem nicht so tief war, konnten wir jetzt das Geld aufwenden, um Einkommen zu sichern, nicht um Bilanzlöcher zu stopfen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass nach Beendigung der Gesundheitskrise der Aufschwung doch recht steil sein könnte und die Beschäftigung rasch zunehmen kann.

Und wer wird das alles bezahlen?
Wir sind in der glücklichen Lage, dass die Zinslast geringer ist als 2008. Das heißt, es gibt keine akute Gefährdung der Zahlungsfähigkeit des Staates. Aber wir werden natürlich über die nächsten fünf bis zehn Jahre die Schulden wieder zurückführen müssen. Allerdings haben wir das nach der Finanzkrise auch geschafft und da waren die Verschuldungen auf einem ähnlich hohen Niveau wie jetzt.

An diesem Sonntag sind es 90 Tage, dass Sie Arbeitsminister sind. Haben Sie es sich so anstrengend vorgestellt?
Ich glaube, ich hatte eine sehr realistische Erwartung bezüglich dessen, was auf mich zukommt. Es ist natürlich sehr herausfordernd. Das liegt aber auch an der Pandemie. Die Herausforderung wird in den nächsten Jahren anhalten, weil sich die Lage am Arbeitsmarkt zwar entspannen wird, wir aber darüber hinaus ein strukturelles Problem am Arbeitsmarkt haben. Und zwar mit fast 50 Prozent Arbeitslosen, die nur Pflichtschulabschluss haben und die auch nach der Krise nicht so einfach in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

Wie halten Sie sich für diese Herausforderung fit?
Ich gehe drei- bis viermal pro Woche laufen. Im Prater, im Wienerwald, im Lainzer Tiergarten. Wo immer es sich ergibt. Manchmal 10, am Wochenende auch 20 Kilometer. Und ich habe mich vor Antritt des Ministeramts für den nächsten Wien-Marathon angemeldet. Mal sehen, ob ich im Herbst genug Zeit zum Training finde. Ich fürchte, das wird schwierig.

Am Ende kann man bei Ihnen wenigstens nicht sagen: Er ist ganz grau geworden …
Am Kopf nicht, das ist richtig. (Lacht.) Aber am Bart machen sich die grauen Haare schon bemerkbar.

Sie sind am Anfang dafür kritisiert worden, dass Sie sich nicht für die Aufnahme von Familien aus den griechischen Flüchtlingslagern ausgesprochen haben. Wie sehen Sie das jetzt?
Ich habe mir vorgenommen, mich öffentlich nur zu Themen zu äußern, bei denen ich Experte bin. Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und zum Teil auch Finanzthemen. Aber es gibt Themen, bei denen ich mich nicht als solcher fühle und deshalb äußere ich mich nicht. Dabei bleibt es auch.

BERGSTEIGER UND MARATHONLÄUFER

Geboren am 13.9.1973 in Salzburg. Studium der Volkswirtschaftslehre an der Uni Innsbruck, internationale Karriere mit Stationen an den Unis von München, Amsterdam, Norwich und Göteborg. Von 2016 bis 2021 war Kocher wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien sowie Leiter des Kompetenzzentrums für Verhaltensökonomie „Insight Austria“, außerdem Präsident des österreichischen Fiskalrats. Parteiunabhängiger Bundesminister für Arbeit seit 11.1.2021. Verheiratet seit 2003, seine Frau Natalie ist Hauptabteilungsleiterin beim MAN-Konzern in München. Kocher ist Bergsteiger und Marathonläufer.

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