Gastbeitrag aus der EU

Impfstrategie: Hätten wir schneller sein können?

Politik
07.02.2021 06:00

Viele Bürgerinnen und Bürger kritisieren nach dem Impfstart in Österreich und Europa den europäischen Ansatz und bemängeln, dass Entscheidungen nicht schnell genug getroffen wurden. Auch wir fragen uns jeden Tag: Hätten wir schneller sein können? Und wäre ein einzelner Mitgliedstaat schneller gewesen? - Ein Gastbeitrag zur Impfstoffstrategie für die „Krone“ von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn.

Zunächst: Wir halten unseren gemeinsamen europäischen Ansatz heute noch für genauso richtig wie vor einem Jahr. Denn das Virus kennt keine Grenzen. Von Anfang an war unser Ziel, dass jeder Mitgliedstaat, egal, ob groß oder klein, fairen Zugang zu den Impfstoffen hat. Ja, es dauert vielleicht manchmal ein wenig länger, Entscheidungen von 27 zu treffen. Aber stellen Sie sich nur vor, was passiert wäre, wenn am Anfang nur ein oder zwei Mitgliedstaaten Impfstoffe erhalten hätten. Das wäre für einige große Staaten wie Deutschland auch ohne unsere gemeinsame Verhandlungsmacht denkbar gewesen. Aber was hätte das für unsere Einheit in Europa bedeutet und den Binnenmarkt, von dem auch unsere Wirtschaft lebt? Das wollen wir uns gar nicht vorstellen.

Der Engpass liegt im Herstellungsverfahren
Auch ein früherer Vertragsabschluss hätte nicht unbedingt eine schnellere Lieferung von Impfstoff für mehr als 450 Millionen Menschen garantiert. Der eigentliche Engpass liegt woanders. Die Herstellung eines neuen Impfstoffs ist eine unglaublich komplexe Angelegenheit. Alle drei bisher erfolgreichen Impfstoffhersteller mussten notgedrungen ihre geplanten Liefermengen in der Anfangsphase teils deutlich reduzieren. Dafür sind Probleme im Herstellungsverfahren verantwortlich und die Tatsache, dass wichtige Inhaltsstoffe knapp sind.

Das ist angesichts der hohen öffentlichen Erwartungen schmerzlich, aber auch bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehbar. Immerhin handelt es sich um eine Produktionssteigerung, wie es sie bisher noch nie gegeben hat. Diese Leistung verdient Anerkennung.

Wenn schon damals alles klar gewesen wäre, welche Risiken mit dem Start einer derartigen Massenproduktion verbunden sind, wenn wir geahnt hätten, welche Achterbahnfahrt das wird, dann hätten wir früher auf allen Ebenen überhöhte Erwartungen an eine schnelle Impfung gedämpft.

Andere monieren, dass wir uns in der EU bewusst gegen eine Notzulassung binnen 24 Stunden wie in Großbritannien entschieden haben. Dazu stehen wir weiterhin. Eine Impfung bedeutet, dass einem gesunden Menschen ein biologischer Wirkstoff gespritzt wird. Unsere Prioritäten waren deshalb: Sicherheit und Gründlichkeit. Deswegen haben wir auf EU-Ebene das Zulassungsverfahren auch über die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zwar beschleunigt, aber beim Thema Sicherheit keine Abkürzungen erlaubt. Diese drei bis vier Wochen sind eine Investition in das Sicherheitsvertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

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Normalerweise dauert die Entwicklung eines Impfstoffs zwischen fünf und zehn Jahren. Dieses Mal haben wir es mit vereinten Kräften in nur zehn Monaten geschafft.

Ursula von der Leyen & Johannes Hahn

In der EU haben wir daher Ende Dezember mit der Impfung begonnen, und bis vergangenen Donnerstag sind in Österreich schon mehr als 270.000 Impfdosen verabreicht worden. Das ist noch lange nicht genug. Aber es ist auch keine kleine Zahl. Im Februar sollen die EU-Länder weitere 33 Millionen Dosen erhalten, im März 55 Millionen Dosen. Im zweiten Quartal 2021 dürften nach konservativen Schätzungen rund 300 Millionen zusätzliche Dosen ausgeliefert werden.

Darauf hätte vor einem Jahr noch kaum jemand zu hoffen gewagt. Normalerweise dauert die Entwicklung eines Impfstoffs zwischen fünf und zehn Jahren. Dieses Mal haben wir es mit vereinten Kräften in nur zehn Monaten geschafft.

Wir sind stolz, dass bei uns der erste in Europa zugelassene Covid-19-Impfstoff entwickelt wurde und auch bei uns, in der EU, in großem Umfang produziert wird. Dieser Erfolg, das ist mir wichtig, kommt nicht durch Zufall. Die EU hat den Impfstoffentwicklern einen Teil ihrer Vorlaufkosten auch für den Aufbau von Kapazitäten für die Massenproduktion vorfinanziert. Insgesamt stellte die EU vorab 2,9 Milliarden Euro bereit – ganz abgesehen von den vielen Milliarden, die Europa jedes Jahr für eine florierende Forschungslandschaft ausgibt.

Dass die EU bislang 2,3 Milliarden Dosen Impfstoffe für ihre Bürgerinnen und Bürger und ihre Nachbarländer sichern konnte, ist auch der durchweg guten und engen Zusammenarbeit mit allen 27 nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten im vergangenen Jahr zu verdanken. Es herrschte ein ständiger Informationsaustausch, und alle Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen. Im Sommer wusste noch niemand, wer am Ende erfolgreich sein würde. Jetzt haben wir drei zugelassene Impfstoffe, und die Unternehmen Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca haben mit der Auslieferung begonnen. Weitere werden folgen.

„Kampf ist kein Sprint, sondern Marathon“
Wir wissen, für einige steht jetzt der Vergleich mit anderen Ländern im Vordergrund, die früher aus dem Startblock kamen. Doch der Kampf gegen die Pandemie ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Während wir gegen das Virus kämpfen, verändert es sich ständig. Auch wenn glücklicherweise alles darauf hindeutet, dass unsere heutigen Impfstoffe auch gegen die Varianten wirksam sind, machen wir uns Sorgen. Wir müssen uns schon heute auf ein Szenario vorbereiten, in dem das Virus sich nicht mehr von den derzeitigen Impfstoffen beeindrucken lässt. Das tun wir.

Wir werden diesen Kampf gegen unseren gemeinsamen Gegner, das Virus, mit vereinten Kräften gewinnen.

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin,
und Johannes Hahn, EU-Haushaltskommissar

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