Wunder von Chile

Kumpel: ‘Warteten auf Tod’ – Geologe: ‘Absehbares Drama’

Ausland
15.10.2010 11:43
Der 27-jährige Richard Villarroel Godoy war der 28. von 33 Kumpeln, die aus der Mine in Chile gerettet wurden. Nach 69 Tagen in mehr als 600 Metern Tiefe beschrieb er am Freitag in einem Interview mit der "Washington Post" die Verzweiflung der Verschütteten in den ersten 17 Tagen: "Wir warteten auf den Tod." Während mittlerweile die ersten Bergleute das Krankenhaus bereits wieder verlassen haben, erklärte ein renommierter, in Chile arbeitender deutscher Geologe: "Das Minenunglück war eine absehbare Katastrophe."

"Wir schwanden dahin, wir waren so dünn", erzählte der Bergarbeiter, der im November Vater wird. Bis zu ihrer Entdeckung ernährten sich die Kumpel von zwei Teelöffeln Thunfisch pro Tag. Er habe mehr als zwölf Kilogramm abgenommen, sagte Villarroel (im Bild seine Mutter mit dem Konterfei ihres Sohnes vor dessen Rettung). "Ich hatte Angst, dass ich mein ungeborenes Baby niemals sehen würde." Manche Kumpel hätten - rund zwei Wochen nachdem sie verschüttet worden waren - fast aufgegeben.

Erst nach 17 Tagen konnte die Gruppe ein Lebenszeichen absetzen und wurde danach durch enge Röhren mit Lebensmitteln, Trinkwasser, Kleidung, elektronischen Geräten, Klappbetten versorgt.

"Es war eine absehbare Katastrophe"
Indes erklärte der deutsche Geologe Wolfgang Griem, dass zwei vermeidbare Fehler das Minenunglück ausgelöst hätten. Aus der Kupfer- und Goldgrube San Jose sei einfach zu viel herausgeholt worden, außerdem seien die Stollen nicht genügend abgestützt worden. "Es war eine absehbare Katastrophe", sagte der aus Hamburg stammende Direktor des geologischen Instituts an der chilenischen Universität von Atacama in Copiapo.

Im chilenischen Bergbau gibt es laut Griem drei Klassen: die großen Minenunternehmen, bei denen erstklassige Sicherheitsstandards wie in Kanada oder Australien gelten würden, dann die mittleren Bergbaubetriebe, wo die Technik nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand sei, und schließlich ganz kleine Minen, wo es um die Sicherheit ganz schlecht bestellt sei.

In San Jose sei - vereinfacht ausgedrückt - auch der Fehler begangen worden, das metallhaltige Gestein direkt aus dem immer weiter in die Tiefe vorgetriebenen Schächten abzubauen. Bei modernen Minen befänden sich die Zufahrtsstollen hingegen außerhalb des Bereichs, in dem Erze abgebaut werden. Von den Hauptstollen aus werde dann in die Abbaubereiche hineingearbeitet. "Das ist natürlich teurer, aber auch sicherer", so Griem.

Bei den ganz kleinen Minen handle es sich um kleine Gänge, in denen nur vier bis sechs Arbeiter unter extremen Bedingungen schufteten. Bei nur fünf Prozent Arbeitslosigkeit könnten diese Kumpel laut Griem auch andere Arbeit finden. "Aber das ist oft Teil der Familientradition, wo schon Vater und Großvater Bergmänner waren." Die Kumpel, die auf eigene Faust und Rechnung in solchen Minen arbeiteten, kämen bei den derzeit hohen Weltmarktpreisen für Kupfer und Gold auf verhältnismäßig gute Gehälter von durchschnittlich etwa 1.000 Euro pro Monat.

Erste Kumpel haben Spital verlassen
Unterdessen haben die ersten drei aus der Mine geretteten Bergleute das Spital schon wieder verlassen. Nach chilenischen Medienangaben handelte es sich um Edison Pena, Juan Illanes und den Bolivianer Carlos Mamani. Sie seien am späten Donnerstagabend in einem Auto aus dem Krankenhaus in Copiapo weggefahren worden. Die Ärzte gehen davon aus, dass am Freitag weitere Kumpel zu ihren Familien zurückkehren können. Die 33 Männer hatten das Martyrium unter Tage körperlich fast unversehrt überstanden. Nach ersten Untersuchungen sind sie überraschend fit. Nur einer hat nach Angaben der Ärzte eine Lungenentzündung.

Die chilenischen Mediziner sagten, alle Bergleute seien "einem sehr hohen Stress-Level" ausgesetzt gewesen. Aber offensichtlich hätten sie die Belastungen gut weggesteckt: "Niemand hat einen Schock. Die gute gesundheitliche Verfassung, in der sie sich befinden, ist eine Überraschung für das Ärzteteam." Einer der Männer habe "mittlere Probleme" mit den Augen. Mario Gomez - nach Medienangaben der älteste von ihnen - werde mit Antibiotika wegen einer "Lungen-Komplikation" behandelt. Er soll angeblich auch eine Staublunge haben, genauso wie Mario Sepulveda, der gerühmte "Sprecher" der Gruppe.

Psychisch gibt es viel aufzuarbeiten für die Männer: Nach Einschätzung des Marburger Psychosomatikers Wolfram Schüffel werden Spätfolgen meist unterschätzt. Demnach könnten sich nach einer derart traumatisierten Erfahrung Krankheiten wie Hochdruck, Infarkte und Infektionen entwickeln.

Österreichischer Unternehmer war vor Ort
An der Rettung der Kumpel war auch ein österreichisches Unternehmen mit von der Partie (siehe auch Infobox). "Die Chilenen sind sehr stolz auf uns", sagte Otto Krahan, der die österreichische Beteiligung an der Kumpel-Bergung organisiert hatte und während der Bergung dabei war, am Donnerstagabend im "ZiB 2"-Interview. Es sei eine hundertprozentige Bergung ohne Zwischenfälle gewesen. Als der erste Kumpel mit Hilfe der österreichischen Seilwindenfahrer und der Schachtförder-Anlage der Leobener Tunnel- und Bergbaufirma ÖSTU-Stettin wieder ans Tageslicht gebracht wurde, war das nach den Worten des österreichischen Unternehmers Krahan eine "wahnsinnig große Erleichterung, dass Pläne so gut funktioniert haben". Die Anlage sei nach den Angaben Krahans der chilenische Regierung angeboten worden, die das Angebot binnen 48 Stunden angenommen habe.

Man habe sehr gute Kontakte zur chilenischen Regierung, so der Unternehmer. Bei der ersten Fahrt seien "alle sehr nervös" gewesen. Überrascht über das gute Funktionieren seien sie aber nicht gewesen, das Team sei davon ausgegangen, dass es klappt. "Wir sind unheimlich stolz", sagte Krahan. Das Team erhalte nun "viele Gratulationen". Seit Samstag hätten sie kaum geschlafen, die vergangenen 48 Stunden seien sie am Arbeiten gewesen, so Krahan. Am Freitag würde mit dem Abbau der Anlage begonnen. An den Bergungsarbeiten waren auch die drei österreichischen Seilwindenfahrer Heinrich Tilz und Johannes Pemberger aus Hüttenberg in Kärnten sowie Peter Lanschober aus dem burgenländischen Oberwart beteiligt.

Unglücksmine soll geschlossen bleiben
Chiles Präsident Sebastian Pinera hat am Donnerstag die endgültige Schließung der Unglücksmine angekündigt: "Diese Mine wird definitiv nie mehr öffnen", sagte er und versprach, dass die Verantwortlichen nicht straffrei davonkommen würden. Der Präsident kündigte außerdem Vorschläge an, um die Sicherheit in den chilenischen Bergwerken zu verbessern. Die Familien von 27 der 33 Kumpel haben die Minenbetreiber bereits wegen Fahrlässigkeit verklagt und verlangen Entschädigung für die 69 Tage währende Tortur.  

Journalist verfasst Buch über Rettung 
Über das Minenunglück und die dramatische Rettungsaktion erscheint im kommenden Jahr ein Buch. Das Verlagshaus Transworld Publishers erklärte am Donnerstag in London, der Journalist Jonathan Franklin, der für die Zeitung "The Guardian" aus Chile berichtet, werde das Buch schreiben. Darin solle das menschliche Drama um die Rettung der 33 Arbeiter geschildert werden. Der Titel soll "The 33" lauten. Das Buch werde Anfang 2011 in Großbritannien erscheinen, auch Veröffentlichungen in Frankreich und Deutschland seien geplant, so der Verlag.

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