Album „Atonement“

Killswitch Engage: Verzeihen und vergessen

Musik
14.08.2019 07:00

Zum 20-Jahre-Jubiläum beschenken die US-Metalcore-Giganten Killswitch Engage sich und ihre Fans mit dem achten Studioalbum. „Atonement“ ist nicht nur musikalisch vielseitig, sondern zeigt die Band inhaltlich auch stark gereift und mit interessanten Zugängen ausgestattet. Sänger Jesse Leach und Gitarrist Adam Dutkiewicz verrieten mehr zum Album und zur Band.

(Bild: kmm)

20 Jahre sind eine lange Zeit. Als sich Killswitch Engage 1999 in Westfield, Massachusetts aus der Asche zweier Bands zusammensetzte, war noch nicht absehbar, welch prägende Rolle die Band in der Metalszene einmal einnehmen würde. Vor allem mit den ersten drei Werken wuchs die Band rund um Gitarrist Adam Dutkiewicz zur Speerspitze im Metalcore-Genre heran, das in den ersten Jahren dieses Jahrtausends die harte Musikszene prägte und dominierte. Heute halten Killswitch Engage bei acht Studioalben, zwei Grammy-Nominierungen, mehr als vier Millionen verkaufter Alben allein in den USA und respektablen Chartplatzierungen quer über den Globus (das letzte Werk „Incarnate“ belegte etwa Platz 10 in Österreich). All das fernab jedweder Radiopräsenz, Mainstreamzugänglichkeit und Stiladaptierung, wie es etwa andere Genre-Bands praktizierten. „Gott bewahre“, stößt Dutkiewicz im Interview mit der „Krone“ energisch ins Gespräch, „elektronische Musik oder dergleichen in unseren Sound zu mischen wäre niemals eine Variante für uns. Ich bin mit Rock’n’Roll aufgewachsen und definiere unseren Sound auch so.“

Lyrische Verarbeitung
Killswitch Engage mit dem viel zu inflationär gebrauchten Begriff Metalcore zu konnotieren, würde die Sache im Kern nicht exakt treffen. Seit jeher versucht die Band ihren großen Idolen zu huldigen, kreuzt dabei den Thrash Metal oder lässt Iron-Maiden-artige Twingitarren aus den Boxen wabern. „Am Ende des Tages machen wir Heavy Metal, nicht mehr und nicht weniger“, erklärt Sänger Jesse Leach, „den Leuten gefällt unsere Musik mitunter auch deshalb, weil wir in unserem Bereich Pioniere waren und zu den ersten gehörten.“ Leach nimmt auf dem brandneuen Album „Atonement“ nicht nur aufgrund seiner Gesangskünste eine entscheidende Rolle ein. Im Laufe der letzten Jahre musste sich der 41-Jährige einer riskanten Stimmbandoperation unterziehen und außerdem mit Depressionen klarkommen. Im Song „I Am Broken“ verarbeitet er diese schwierige Zeit in besonderer Form. „Den Song habe ich aus der Perspektive jemandes anderen geschrieben und mich dann selbst in die Erzählung eingebaut. Das war ein total neuer Weg für mich. Es ist so, als würde ich zu jemand anderen sprechen, eine richtige Unterhaltung führen.“

Doch mit der musikalischen Eigentherapie reicht es bei Leach noch lange nicht aus, die Band hat sich dazu entschlossen, den Song als Engagement für die Themenbereiche Suizidprävention und mentale Gesundheit im Allgemeinen zu nutzen. Ein Teil der Einnahmen soll der Non-Profit-Organisation „Hope For The Day“ in Chicago zugutekommen. Schon etwas früher hat die Band den Song „Unleashed“ auf die Menschheit losgelassen, der nicht nur musikalisch ganz gut die bisherige Karriere der Amerikaner einfängt. „In dem Song geht es um die innere Passion und die Wut, die sich an die Oberfläche kämpft. Wir alle tragen das in uns, bis etwas Tragisches passiert und du dann von innen heraus explodierst“, erklärt Leach, „das gesamte Album ,Atonement‘ ist eine Reflektion des Durchhaltevermögens und der Leidenschaft, die uns bei den vielen Prüfungen und Leiden während unserer Existenz gestellt werden.“ Killswitch Engage konzentrieren sich inhaltlich seit jeher darauf, die großen und kleinen Fragen des menschlichen Daseins zu diskutieren.

Verbrüderung
Mehr als zwei lange Jahre hat die Band an „Atonement“ gefeilt, bis sie aufgrund der erwähnten Stimmband-OP von Leach alle Termine verschieben musste und lang im Ungewissen lebte. „Das Schreien, der Klargesang, alles hat sich verändert“, rekapituliert der Frontmann, „nachdem ich 20 Jahre meine Stimmbänder missbraucht habe, tut es mir jetzt irrsinnig gut, nicht nach jedem Gig Blut zu spucken und heiser zu sein. Ich muss aber zugeben, dass ich zeitweise wirklich viel Glück hatte, denn es war für mich quasi fünf nach Zwölf.“ Dass die Band letztes Jahr mit Iron Maiden auf Tour war, hat schlussendlich auch auf die einzelnen Songs abgefärbt. Mehr denn je zeigen sich traditionelle NWoBHM-Farben im Soundkontext von KSE, etwa beim Song „The Signal Fire“, für den man Howard Jones als Gastsänger verpflichtete. Das ist insofern besonders und einzigartig, als das Jones zwischen 2002 und 2012 der Nachfolger als auch Vorgänger von Jesse Leach am Mikro war.

„Wir alle haben unsere Fehler gemacht, die Jungs haben mir vergeben und ich bin seit sieben Jahren wieder da“, erklärt Leach, „es ist doch Bullshit, wenn man sich ewig wegen Kinderkram aus der Vergangenheit bekriegt. Gerade im Zeitalter von Social Media und der allgemeinen Verrohung ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen, indem man auch mal verzeihen und weiterschauen kann. Dieser Song ist ein netter Zugang des gegenseitigen Respekts. Als ich 2002 die Band verließ, war ich grantig, depressiv und fast schon selbstmordgefährdet. Inzwischen hat sich viel getan und uns beiden geht es mittlerweile sehr gut. Man kann die Vergangenheit auch mal Vergangenheit sein lassen.“ Die ungewöhnliche Freundschaft entstand übrigens vor fast genau zwei Jahren in Kanada, als Howard eine KSE-Show besuchte, danach backstage kam und mit Leach sehr lange über Gott, Musik und die Welt sprach.

Die richtige Balance
Ernsthaftigkeit und Humor halten sich bei der Band die Waage. Legendär wurde etwa ein YouTube-Video von einem Club-Gig, bei dem Dutkiewicz mitten im Song zur Bar lief, ein Bier exte und sofort wieder weiterspielte. „Wer will denn Geld für eine Show ausgeben, wo die Leute ihre Instrumente perfekt beherrschen, aber sich keinen Zentimeter bewegen? Ein Konzert von uns ist eine Party, wo man Biertrinken und ein bisschen herumschreien kann. Die Balance zwischen reinem Entertainment und handwerklicher Perfektion muss passen. Das eine schließt das andere keineswegs aus.“ Gerade diese Form von Ungezwungenheit lässt die Band auf „Atonement“ so frei wie schon lange nicht mehr klingen. „Wir machen keinen reinen Metalcore, sondern eine Mixtur aus allem. Hart und zurückgelehnt, schnell und reduziert, rockig und melodiös.“ Tatsächlich klingen KSE anno 2019 so frisch wie schon lange nicht mehr. Ein Österreich-Livetermin ist leider noch nicht in Sicht.

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