Flamen vs. Wallonen
Chaos in Belgien: “Hat dieses Land noch einen Sinn?”
Die Rechte französischsprachiger Belgier in den flämischen Umlandgemeinden Brüssels - etwa auf Wahl frankophoner Listen und Gebrauch des Französischen bei Gerichten - ist seit Jahren ein Dauerstreitpunkt zwischen den niederländischsprachigen Flamen und den frankophonen Wallonen. Selbst dem vom König als Vermittler eingesetzten früheren Regierungschef Jean-Luc Dehaene, der im Land gerne "Bulldozer" oder "Minenräumer" genannt wird, gelang es in fünfmonatigen Sondierungen nicht, für beide Seiten akzeptable Kompromisse zu finden.
Premier Leterme bot erneut Rücktritt an
Bereits zum fünften Mal innerhalb von drei Jahren bot nun Ministerpräsident Yves Leterme (Bild) König Albert II. den Rücktritt seines Regierungsteams an. Diesmal droht dem Land wegen der in gut zwei Monaten bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft noch dazu ein gewaltiger Imageschaden unter den EU-Partnern.
Das Staatsoberhaupt hat bis Montag Zeit, um über Letermes Rücktrittsangebot zu entscheiden. Und wie bereits in früheren Krisen spielt der König auf Zeit. Bereits 2008 hat er ein Rücktrittsangebot Letermes abgelehnt und die Regierung zum Weitermachen gedrängt. Akzeptiert der König den Rücktritt, könnte die Regierung noch einige Monate die Geschäfte weiterführen, so den EU-Vorsitz in der zweiten Jahreshälfte über die Bühne bringen und eine Lösung des Sprachenstreits suchen, wird in Medien spekuliert.
Nach Einschätzung der meisten Beobachter will der König vorgezogenen Neuwahlen vermeiden und stattdessen die flämischen Liberalen davon überzeugen, doch in der Regierung weiterzumachen. Sie hatten wegen eines Streits um die Teilung des Wahlkreises von Brüssel und seinen flämischen Umlandgemeinden ihren Austritt aus der Koalition mit Christdemokraten, Sozialisten und frankophonen Liberalen erklärt, zeigten sich nun aber doch noch gesprächsbereit. "Wenn diejenigen, die unser Vertrauen verspielt haben, es wiedergewinnen werden, können wir die Lage neu bewerten. Aber in der heutigen Situation ist das nicht der Fall", sagte Parteichef Alexander De Croo.
Neuwahlen eigentlich verfassungswidrig
Neuwahlen sind rein rechtlich eigentlich ausgeschlossen, weil der Verfassungsgerichtshof vor einem solchen Schritt eine Neuordnung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV) verlangt hat. "Ohne BHV-Regelung wären die Wahlen tatsächlich verfassungswidrig - aber keine Wahlen abzuhalten. wäre noch verfassungswidriger", meint der Verfassungsexperte Paul Van Orshoven. "Verfassungswidrig und möglich sind hier kein Widerspruch", schrieb die Zeitung "De Standaard".
Ein stiller und erfolgreicher Krisenmanager ist dem Land mittlerweile abhanden gekommen: Herman Van Rompuy, der die Regierung zwischen Letermes ersten und zweiten Kabinett für fast ein Jahr lang führte, wechselte Ende letzten Jahres auf den Posten des ersten ständigen EU-Ratsvorsitzenden. Das mit dem Lissabon-Vertrag geschaffene Amt stellt nunmehr eine gewisse Rückversicherung dar, sollte Belgien bis zum 1. Juli - den Start seines EU-Ratsvorsitzes - weiter in der Regierungskrise stecken. Denn nicht mehr Leterme, sondern Van Rompuy wird für die Leitung der Gipfeltreffen zuständig sein. Bei den Außenministern hat als "Hohe Repräsentantin" mittlerweile die Britin Catherine Ashton die Führung anstelle der wechselnden EU-Ratsvorsitzenden übernommen.
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