„Heuchelei an Grenzen“

Juncker: „So kann Europa nicht funktionieren“

Ausland
30.12.2018 14:01

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat den EU-Staaten eine „himmelschreiende Heuchelei“ in der Diskussion um eine größere europäische Grenzschutztruppe vorgeworfen. „Alle EU-Staats- und Regierungschefs haben über zwei Jahre lang den besseren Schutz der europäischen Außengrenze gefordert“, sagte Juncker in einem Interview. Nun gebe es plötzlich pötzlich wieder Widerstand.

„Und jetzt kommen plötzlich von vielen Seiten Bedenken: Das sei ein Eingriff in die nationale Souveränität, alles ginge viel zu schnell und die Zahlen seien zu hoch gegriffen. Das ist doch eine himmelschreiende Heuchelei“, kritisiert Juncker in der „Welt am Sonntag“ deutlich.

EU-Kommission schlug Frontex-Aufstockung vor
Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, der EU-Grenzschutzagentur Frontex bis 2020 eine ständige Reserve von 10.000 Einsatzkräften zur Verfügung zu stellen - das wären rund 8.500 mehr als heute. Die Behörde hat derzeit knapp 700 eigene Mitarbeiter, zudem sind 1300 von den Mitgliedstaaten entsandte Grenzschützer im Einsatz. Die Staats- und Regierungschefs hatten den Schutz der Außengrenze gegen illegale Migration beim EU-Gipfel Ende Juni zur Priorität erklärt.

Die Kommissionspläne stießen bei den Mitgliedstaaten jedoch aus verschiedenen Gründen auf Vorbehalte. Unter anderem ging es um die kurzfristig zu stemmenden Kosten. Zudem sahen sich einige Regierungen nicht in der Lage, in nur zwei Jahren viele zusätzliche Grenzschützer einzustellen und auszubilden. Länder an den EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland, aber auch Ungarn, lehnten die Pläne auch ab, weil sie eine Einschränkung ihrer nationalen Hoheitsrechte befürchten. Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft schlug deshalb vor, die ständige Reserve erst bis 2027 auf 10.000 Beamte aufzustocken. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Anfang des Monats 2025 als „machbaren Zeitplan“ bezeichnet.

„So kann Europa nicht funktionieren“
Juncker sagt nun, gerade diejenigen, die bisher den unterentwickelten Außengrenzschutz lautstark kritisiert hätten, wollten sich nicht engagieren. „So kann Europa nicht funktionieren. Wir müssen schnell handeln, damit wir vorbereitet und die EU-Außengrenzen auch wirklich unter Kontrolle sind.“

Juncker forderte auch mit Blick auf die Europawahl im Mai mehr Zusammenarbeit der EU-Staaten in der Migrationspolitik. „Wenn wir in Europa zu mehr geordneter Zusammenarbeit kämen, wären die Herausforderungen noch kleiner, als sie es aktuell sind“, betonte der Luxemburger. Das zeige sich etwa am umstrittenen Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, das wesentlich zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen beigetragen hat. „Die Vereinbarung kostet Geld, aber es ist gut investiertes Geld“, sagte Juncker.

„Das Migrationsthema mag wichtig sein, aber es ist beileibe nicht unser größtes Problem“, sagte Juncker mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf. Verantwortungsbewusste Politiker müssten daher den Mut haben, „dieses polarisierende Thema anzusprechen“ und die Geduld aufbringen, „den Leuten zu erklären, dass es sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht um ein unlösbares Problem handelt“.

„Rauft euch zusammen“
Juncker sprach in dem Interview auch über den anstehenden Brexit - die Briten wollen die EU am 29. März verlassen. Über den von Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag soll das britische Parlament Mitte Jänner abstimmen. Doch ist keine Mehrheit in Sicht. „Mein Appell ist: Rauft euch zusammen und sagt uns dann Bescheid, was ihr denn nun wollt“, sagte EU-Kommissionschef in Richtung Großbritannien. 

Juncker wiederholte sein Angebot, bei Zustimmung des Parlaments „schon einen Tag später mit den Vorbereitungen der künftigen Beziehungen“ zu beginnen. Und: „Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der britischen Abgeordneten der EU und Frau May zutiefst misstraut. Man unterstellt uns, unser Ziel sei es, Großbritannien mit allen Mitteln in der EU zu halten. Das ist aber nicht unsere Absicht.“

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