Staatsbesuch in Wien

Wiedersehen mit Putin: Sechstes Mal in Österreich

Ausland
02.06.2018 07:12

Auch wenn es den Freunden im Westen nicht gefallen mag: Wladimir Putin kommt am Dienstag - ungeachtet der EU-Sanktionen gegen Russland - zum sechsten Mal als Kremlchef nach Österreich. Gefeiert wird das 50-Jahre-Jubiläum des Erdgasvertrags, der damals im Kalten Krieg ein Pionierunterfangen war und der seither trotz weltpolitischer Auf und Abs klaglos funktioniert hat.

Putins Besuch markiert aber auch 20 Jahre seiner Kremlherrschaft. In dieser Amtszeit hat sich sein politisches Profil allerdings grundlegend verändert.

Man kann „zwei Putins“ erkennen: Putin vor 2007 und Putin nach 2007. Außerdem kann man bei so gut wie allen Politikern grundsätzlich feststellen, dass zwei Jahrzehnte an den Hebeln der Macht eine gewisse Starrsinnigkeit verursachen. Es fällt ihnen schwer, eingefahrene Gleise zu verlassen. Angela Merkel 2017: „Putin lebt in einer anderen Welt.“

Erbe der Demokratie in chaotischen Zeiten
Putins Karriere begann als Erbe der Gorbatschow-Jelzin-Liberalisierung, die von einem beispiellosen, chaotischen Absturz Russlands begleitet war. Präsident Boris Jelzin war alles über den Kopf gewachsen, und er holte den Ex-KGB-Offizier aus St. Petersburg, damals Mitarbeiter des dortigen liberalen Reformers Anatoli Sobtschak.

Putin wollte in den ersten Jahren durchaus in dem westlich-demokratischen Gefüge Europas mitspielen und an ihm teilhaben. Es begannen die Wochenbesuche von Bundespräsident Thomas Klestil und Gattin auf dem Präsidentenamtssitz Nowo-Ogarjowo nahe Moskau (der Autor begleitete Klestil).

Klestil wie einen Schwamm ausgepresst
Putin wollte von Klestil lernen, wie das westliche System grundsätzlich und auf der hohen internationalen Ebene, die er noch nicht kannte, funktioniert. Er presste Klestil wie einen Schwamm aus.

Diese Partnerschaft, die zur Freundschaft wurde, erklärt, weshalb der Kremlchef die Mühe auf sich nahm, zum Klestil-Begräbnis für drei Stunden nach Wien zu fliegen. Russen vergessen Freundschaft nicht.

Putin wollte im Westen mitspielen, aber er wurde dort nicht ernst genommen. Die NATO rückte bis an die Grenzen Russlands vor. Auch wenn es nicht mehr die alte NATO aus dem Kalten Krieg war, so weckte es alte Ängste der Russen. Hitler hatte entlang der deutsch-sowjetischen Demarkationslinie im besetzten Polen seinen Truppenüberfall gestartet. Stalin zog daraus die Lehre und etablierte ein Vorfeld von Satellitenstaaten.

Putins Beschwerden und Warnungen wurden überhört. Später, als es tatsächlich schon zu spät war, hatte US-Präsident Barack Obama noch den verhängnisvollen Schlüsselsatz geprägt: Russland sei heute nur noch eine „Regionalmacht“.

Wutrede von 2007 leitete die Wende ein
In dem von Phantomschmerzen aus der amputierten Ex-Sowjetunion geplagten jahrhundertealten Imperium Russland braute sich ein vom Westen nicht beachtetes Unwetter zusammen. Es entlud sich in Putins überraschender Wutrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 vor der westlichen Polit- und Militär-Prominenz.

Der Kremlchef schockte USA und Europäer mit einem Schwall schwerer Vorwürfe gegen die NATO-Erweiterung („Provokation“). Den USA warf er unter anderem vor:

  • monopolistisches Machtstreben, als seien sie die „Hausherren in der Welt“,
  • „fast unbegrenzte, hypertrophe Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen“.

Geburtsstunde des „zweiten Putin“
Das war die „Geburtsstunde“ des „zweiten Putin“, des neuen Zaren: „Russia first“, Wiederaufbau der Weltmachtrolle Russlands mit fast allen Mitteln, Konfrontation mit den USA.

Es begannen die Jahre, die mit Putin-Sprüchen in deutlicher Erinnerung bleiben, wie: Der Zusammenbruch der Sowjetunion sei die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen, Russland müsse man mit Sie anreden, in der Weltpolitik dürfe keine Entscheidung ohne Russland getroffen werden.

Die ersten Auswirkungen des neuen russischen Verhaltens erlebten die Ex-Sowjetrepubliken, die in Russland „nahes Ausland“ heißen. Der Kreml griff massiv in dortige Demokratie-„Umstürze“ ein, hinter denen er NATO und EU ausmachte: Georgien, Moldawien, Ukraine. Dort wurden Russland-hörige Pseudo-Republiken abgespalten.

Zuletzt wurde ein Internet-Krieg mit Falschmeldungen eröffnet, um unter anderem Wahlen im Westen zu manipulieren und Demokratien zu destabilisieren (diese Einmischung in die US-Wahlen 2016 richtete sich mehr gegen die verhasste Hillary Clinton als sie pro Donald Trump wirken sollte).

Der neue Zar könnte in Russland mit dem Macho-Image jede freie Wahl gewinnen (vielleicht erst in der Stichwahl), aber der Anspruch absoluter Autorität lässt das Risiko nicht zu.

Anfangs begründete der Kreml das Putin-Regime der starken Hand mit der Notwendigkeit, die Ordnung in Russland neu aufzubauen. Heute wird dieses Regime aber mehr zum Problem als zur Lösung.

Es hat sich eine Oligarchen-Garde um Putin etabliert. Korruption greift um sich und beginnt, die Wirtschaft zu lähmen. Es verstärkt sich der Hang zur allgemeinen Stagnation - ein uraltes Leiden Russlands.

Unmengen an Geld werden ins Ausland geschafft (dem England-Liebhaber Roman Abramowitsch genügt nicht der Besitz der größten Jacht der Welt, es muss auch noch eine zweitgrößte her).

Noch gelang Putin bei der letzten Pseudo-Wahl der patriotische Trick „Ich oder das Chaos“, aber das Regime zeigt Alterungserscheinungen. Es wird mehr und mehr selbstsüchtig und zeigt keine Absicht, Russland in einen demokratischen Rechtsstaat zu führen. Auch ist es noch immer nicht gelungen, aus der eindimensionalen Rohstoffexportwirtschaft eine Marktwirtschaft mit moderner Industrie zu machen.

Ob das „Putinismus“ genannte Regime bis zum (einstweiligen?) Ende der Amtszeit 2024 hält? Das Ende könnte schrecklich werden.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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