„I have a dream“

Memphis: Auf den Spuren von Martin Luther King

Reisen & Urlaub
03.04.2018 08:00

Vor 50 Jahren wurde Martin Luther King Jr. in Memphis erschossen. Wir sind seinem Traum und dem der Bürgerrechts- bewegung auf dem Freedom Trail gefolgt.

Eigentlich will er keine Rede halten an diesem Abend. Die Tage davor waren anstrengend gewesen, müde und ausgelaugt möchte sich Martin Luther King, der nach Memphis gekommen war, um die streikenden Müllmänner zu unterstützen, in sein Motel zurückziehen. Doch dann lässt er sich doch überreden - und hält im Mason Temple vor Hunderten Menschen seinen letzten flammenden Appell gegen die Ungerechtigkeit. Und endet mit den berühmten Worten, in denen die Vorahnung mitzuschwingen scheint: „Schwierige Tage liegen vor uns. Aber das macht mir nichts aus. Denn ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen. Ich mache mir keine Sorgen. Wie jeder andere würde ich gern lange leben. Langlebigkeit hat ihren Wert. Aber darum bin ich jetzt wirklich nicht besorgt. Ich möchte nur Gottes Willen tun. Er hat mir erlaubt, auf den Berg zu steigen. (. . .) Ich habe das Gelobte Land gesehen. Vielleicht gelange ich nicht dorthin mit euch.“ Tags darauf, am 4. 4. 1968, wird Martin Luther King Jr. auf dem Balkon vor seinem Zimmer im Lorraine Motel erschossen.  

Jack hat immer noch Tränen in den Augen, wenn er von diesem Tag erzählt. Er war 17, als es passierte. Heute führt er als Guide durch das Civil Rights Museum, das rund um das ehemalige Lorraine Motel entstanden ist. „Als die Nachricht kam, stand die Stadt für einen Moment still.“ Tief bewegt führt er zum Zimmer 306, das immer noch so aussieht, als ob es King gerade erst verlassen hätte - zerdrückte Zigaretten im Aschenbecher, der Koffer nur halb ausgepackt. Auch das Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite gehört zum Museum - aus einem der Fenster soll James Earl Ray den tödlichen Schuss abgegeben haben. Eine Ausstellung widmet sich der bis heute unbeantworteten Frage, ob er wirklich ein Einzeltäter war.  

„Meine Enkelin geht aufs College - und ist sehr stolz, dass sie das u. a. ihrer Großmutter zu verdanken hat“, erzählt Bertha Rogers Looney. Die 76-Jährige war eine der „Memphis State 8“, der acht Studenten, die 1959 als erste Afroamerikaner die Universität von Memphis besuchten. „Die Polizei musste uns am ersten Tag begleiten, uns schlug so viel Hass entgegen. Wir acht gegen 8000 Weiße. Ich dachte nicht, dass ich den Tag überstehen werde.“ Die rüstige Dame erzählt ihre Geschichte an diesem Abend den Schülern in der Stax Academy, die unterprivilegierten Jugendlichen mit Musik eine bessere Zukunft eröffnet. Gleich nebenan lag einst das legendäre Stax-Records-Studio, heute ein klingendes Museum, das an die goldenen Tage des Plattenlabels erinnert. An die 60er-Jahre, als Isaac Hayes, Wilson Pickett, Otis Redding u. v. m. den souligen Sound des Civil Rights Movement lieferten. „Wir sind so weit gekommen. Aber ich hoffe, ich erlebe noch, dass die meisten jungen Afroamerikaner studieren können. Bildung ist der Schlüssel für alles“, meint Looney abschließend - und gratuliert einem Schüler: Er wurde an der renommierten „Ole Miss“ aufgenommen. Der University of Mississippi, die 1962 traurige Schlagzeilen machte, als die Einschreibung des ersten schwarzen Studenten James Meredith zu schweren Gewaltausbrüchen und einem Militäreinsatz führte.  

Meredith ließ sich nicht abschrecken, er kämpfte weiter. 1966 führte er den „March Against Fear“ an, einen Marsch gegen die Angst von Memphis, Tennessee, nach Jackson, Mississippi. 220 Meilen, um schwarze Amerikaner zu ermutigen, ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Bereits am zweiten Tag wurde er von einem Weißen niedergeschossen. King und andere Bürgerrechtsaktivisten eilten nach Mississippi, um für ihn weiterzumarschieren.  

Heute findet man auf diesem Weg zahlreiche Gedenktafeln des „Mississippi Freedom Trail“, der sich kreuz und quer durch den Bundesstaat zieht. Er erinnert an den schweren Kampf, an zahlreiche Wegbegleiter Kings, an Ereignisse und Menschen, die dabei halfen, den „Jim-Crow-Laws“, diesen menschenunwürdigen Gesetzen der Rassentrennung, ein Ende zu bereiten. An Fannie Lou Hamer z. B., diese einfache Baumwollpflückerin, die ihren Job verlor, als sie sich für die Wahl registrieren lassen wollte - und dadurch zur Bürgerrechtskämpferin aufstieg. „Ich bin es leid, es leid zu sein“, steht auf ihrem Grabstein in Ruleville. Oder Amzie Moore, dessen Haus in Cleveland ein „sicherer Hafen“ für die Aktivisten war. Heute ist es ein Museum und erzählt von dem Soldaten, der im 2. Weltkrieg Seite an Seite mit weißen Kameraden sein Leben riskierte - und zu Hause doch nur auf denselben Rassenhass wie eh und je stieß. Auf dem Highway 61 eröffnete er eine Tankstelle mit Laden und Schönheitssalon, einen der wenigen Orte für Schwarze, an dem sie ohne Angst zusammenkommen konnten. „Amzies Haus war einer der Ausgangspunkte für die Civil-Rights-Bewegung in Mississippi“, ist der Museums-Guide überzeugt. King war natürlich hier zu Gast. Und Moores engster Mitstreiter Medgar Evers.  

Wie King ist er eines der Opfer, das die Freiheit forderte. Er und seine Familie wussten, dass ihn sein Kampf um Wahlrecht und Bildungsmöglichkeiten zur Zielscheibe des Rassenhasses machte. So gut es ging, sicherten sie ihr Haus in Jackson ab. Doch im Juni 1963 wurde Evers in der Einfahrt erschossen. Die Kugel drang durch seinen Körper, durch ein Fenster und bis in die Küche. Die Einschusslöcher, ja sogar sein Blut auf dem Asphalt sind noch heute zu sehen - auch Evers Zuhause ist mittlerweile eine Gedenkstätte des Freedom Trail.  

„Es gibt etwas, das ich für meine Kinder tun muss. Und ich werde nicht aufhören, bis ich es getan habe.“ Dieses Zitat von Evers steht zu Beginn des neuen Civil Rights Museums in Jackson. Es wurde direkt neben dem „Museum of Mississippi History“ errichtet - als weiterer Meilenstein für die schwarze Bevölkerung: Die Anerkennung des Staates, dass seine Geschichte nicht ohne das dunkle Kapitel der Rassentrennung komplett ist. Im Herzen der sieben Galerien, die von den Jahrzehnten erzählen, „als Mississippi das Epizentrum der Bürgerrechtsbewegung“ war, schraubt sich eine Lichtinstallation elf Meter in die Höhe - sie beleuchtet die vielen Menschen, die ihr Leben für die Freiheit ließen. Dazu erklingt „This Little Light Of Mine“, dieser mitreißende Gospel, der der Bewegung so viel Hoffnung schenkte - eine emotionale Huldigung, die einem die Tränen in die Augen treibt.  

Donald Trump reiste zur Eröffnung im Dezember an, doch die Proteste waren so groß, dass er sich ungewohnt im Hintergrund hielt. Die Bühne überließ er u. a. Medgar Evers Witwe Myrlie: „Ich habe geweint, als ich durch das Museum gegangen bin. Ich habe die Schüsse und die Schreie wieder gehört, die Tränen gespürt - aber auch die Hoffnung. Ich hoffe, dass Leute aus aller Welt hierherkommen, um etwas über die Menschheit zu lernen und zu sehen, was wir überwunden haben.“  

Fast 50 Jahre nach Martin Luther Kings letzter Rede stand seine 9-jährige Enkelin Yolanda Renee vor ca. einer Woche in Washington auf einer Bühne vor Hunderttausenden Menschen. „Mein Großvater hatte einen Traum“, meinte sie beim Studenten- und Schülerprotest „March for our lives“, einer der größten Bewegungen in den USA seit dem Civil Rights Movement. „Auch ich habe einen Traum - eine Welt ohne Waffen.“  

Der Traum von Martin Luther King und seinen Mitstreitern, ihr Mut, ihr Kampfgeist und ihre Hoffnungen, sie sind heute noch zu spüren. Nicht nur entlang des Freedom Trail, nicht nur in jedem Takt von „This Little Light Of Mine“, nicht nur in diesen unglaublichen Geschichten voller Mut und Opferbereitschaft, sondern auch in diesen jungen Menschen, die an eine gerechtere, an eine bessere Welt glauben und dafür kämpfen. 

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