Jetzt "Ruhephase"?

Bundesregierung atmet auf und sieht neue Chance

Österreich
05.12.2016 06:00

Es ist fast ein Treppenwitz, dass die Regierung über einen Bundespräsidenten aufatmet, der weder von der SPÖ noch von der ÖVP kommt. Bei den "Krone"-Gesprächen mit den Spitzen der Koalition am Sonntag nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses (Videobericht oben) war deutliche Erleichterung zu hören. Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner haben jetzt eine neue Chance.

Lopatka-Empfehlung sorgte für Turbulenzen
Vor allem Vizekanzler und ÖVP-Chef Mitterlehner hatte in den vergangenen Tagen mit innerparteilichen Turbulenzen zu kämpfen. Ausgelöst wurden die Kämpfe von ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, der sich mit seiner Empfehlung für den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer als Anführer einer innerparteilichen Rebellentruppe positioniert hatte. Diese Gruppe ist nach dem Sieg von Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen geschwächt.

Jetzt "Phase der Normalisierung" in der Regierung?
Mitterlehner erwartet, dass jetzt Beruhigung in der ÖVP eintreten werde, die Teams von SPÖ und ÖVP jetzt in "eine Phase der Normalisierung und konstruktiven Zusammenarbeit" eintreten würden. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Bundeskanzler Kern. Der Regierungschef sieht deutlich bessere Perspektiven für die SPÖ-ÖVP-Koalition, um das Reformprogramm abzuarbeiten. Dem Kanzler ist die Freude über Van der Bellens Sieg anzumerken, er vermeidet aber jeglichen Eindruck des Triumphs. Offiziell sagt er: "Alexander Van der Bellen wird ein Bundespräsident sein, der Österreich würdig vertreten wird."

Im Video: Kanzler und Vizekanzler zum Wahlausgang

Jubel bei den Grünen, Trauer bei der FPÖ
Und: Jubel bei den Grünen. Im Umfeld von Parteichefin Eva Glawischnig glaubt man, durch Van der Bellens Wahlsieg wieder Aufschwung zu bekommen. Derweil Trauer im FPÖ-Lager: "Wir haben leider nur den zweiten Platz erreicht, und natürlich ist das für mich enttäuschend", sagte Parteichef Heinz-Christian Strache. Schuld an Hofers Niederlage trage eine "massive Angstkampagne".

Im Video: Die Reaktion von FPÖ-Chef Strache

Im Video: So bejubelten die Grünen Van der Bellens Wahlsieg

Kommentar "Aus dem Hintergrund" von Claus Pándi
- Wer Van der Bellen auf Hofburg-Sieg trimmte: Seit Sonntagabend reklamieren unzählige Parteifunktionäre, diverse Berater und Lobbyisten den Sieg von Alexander Van der Bellen im erbitterten Rennen um das Amt des Bundespräsidenten (auch) für sich. Das gibt es immer. Aber selten war dermaßen klar, wer für den "Herrn Professor" den Weg in die Hofburg geebnet hat: Das waren der Kampagnenspezialist Lothar Lockl und der ehemalige Ö3-Programmchef und heutige Star-Werbemanager Martin Radjaby. Mit teilweise gewagten Slogans (Stichwort "Heimat"), Plakaten, Videos und Dutzenden Aktionen in den sozialen Medien trimmten sie den bisweilen schon sehr bedächtigen Kandidaten auf volksnahe.

- Überraschende Hilfe hinter den Kulissen: Diskrete Unterstützung kam auch immer wieder von einer überraschenden Seite: Aufmerksame Beobachter konnten sich in den vergangenen Monaten des Eindrucks nicht erwehren, dass Kardinal Christoph Schönborn eindeutige Sympathien für Alexander Van der Bellen hegt. Vor allem das Video von "Frau Gertrude", in dem sich eine 89-jährige Auschwitz-Überlebende für die Wahl Van der Bellens ausgesprochen hatte, berührte den Kardinal.

- Nach Brexit und Trump genug von der Aufregung: Und wieder einmal irrte die "Blase": Der Großteil der professionellen Beobachter hatte wegen der allgemein als "negativ" bewerteten Stimmung im Land einen Sieg von Norbert Hofer erwartet. Quasi als Schlusspunkt einer Serie, die mit dem Brexit begonnen hatte, beim Trump-Triumph in den USA einen Stopp machte. Aber am Sonntagabend meinte unter anderem Vizekanzler Mitterlehner zur "Krone": "Die Österreicher hatten genug von der Aufregung und wünschen sich wieder Normalität."

- Kern-Berater sagte Wahlergebnis voraus: Schon seit Wochen war hingegen Bundeskanzler Kern auf Van der Bellen eingestimmt. Nicht nur aus Überzeugung, sondern auch, weil er seinem Berater Tal Silberstein vertraut, der regelmäßig aus Israel eingeflogen wird. Silberstein hatte Lage und Kandidaten analysiert, Van der Bellen als klaren Favoriten identifiziert. An den strategischen Erkenntnissen aus Silbersteins Motivforschung ließ Kanzler Kern auch das Wahlkampfteam von Van der Bellen teilhaben.

- In Berliner Talkshow statt im Wahlzentrum: Wirbel um Innenminister Wolfgang Sobotka, der am Sonntagabend lieber an der Talkshow mit Anne Will in Berlin teilnahm, statt die Lage im Wahlzentrum zu überwachen. Sobotkas Rechtfertigung: Für den Fall der Fälle wollte er die Deutungshoheit des Wahlergebnisses nicht den Deutschen allein überlassen.

Im Video: Alexander Van der Bellens erste Ansprache als designierter Bundespräsident

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