Neues Skandal-Buch

2.500 Tote pro Jahr durch Behandlungsfehler?

Österreich
09.03.2009 19:11
Wer in Österreich in ein Krankenhaus eingeliefert wird, begibt sich dadurch in Lebensgefahr. Dies behauptet zumindest Medizinjournalist Kurt Langbein in seinem neuen Buch "Verschlusssache Medizin", das am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien präsentiert wurde. Demnach sterben in heimischen Krankenhäusern jedes Jahr 2.500 Menschen an den Folgen von Behandlungsfehlern. Hier übt der Autor heftige Kritik an Österreichs Spitalwesen: Es strotze - in der öffentlichen Gesundheitsdebatte seit Jahren beklagt - vor Kleinkrankenhäusern. Oft würden dort auch komplizierte chirurgische Eingriffe vorgenommen, die dann eben leichter schiefgehen, weil es den Betreuungsteams schlicht und einfach an Erfahrung mangelt.

"In den kleineren Spitälern sind die Komplikationsraten um bis zu vier Mal höher als im internationalen Vergleich. Das liegt daran, dass sie bei schwierigen chirurgischen Eingriffen nicht auf die nötige Mindestfallzahl kommen", konstatiert der Autor in seinem 240 Seiten umfassenden Buch über die heimische Medizin - mit dem Untertitel: "Wie sie uns krank macht, wer davon profitiert und wie Sie das System überleben". Unter den darin behandelten Themen sticht vor allem die Detailkritik am spitallastigen österreichischen Gesundheitssystem hervor, das der als Mitautor des Bestsellers "Bittere Pillen" bekannt gewordene Langbein unter die Lupe nimmt.

Langbein zitiert etwa den Chirurgen Franz Stöger, der sich im Auftrag des Landes Niederösterreich auf Qualitätserhebung begab. Mit niederschmetterndem Ergebnis: Nach einer Schilddrüsenoperation mussten in Österreich im Bundesdurchschnitt sechs Prozent der Patienten auf die Intensivstation. In Niederösterreich waren es im Jahr 2005 17 Prozent!

Mangelnde Erfahrung in kleineren Spitälern
Der Chirurg schrieb laut Langbein: "Somit liegen in Niederösterreich bei einer Schilddrüsenoperation die Patienten drei Mal so häufig im Intensivbereich als im Bundesdurchschnitt. (...) Da dies vor allem an Abteilungen mit geringer Fallzahl pro Jahr an Schilddrüsenoperationen festzustellen ist, ist zu vermuten, dass dem jeweiligen Betreuungsteam die Erfahrung hinsichtlich des Komplikationsmanagements fehlt."

"Dort sterben die Leute unnötige Tode"
Zu den Zuständen in Kleinkrankenhäusern erklärte Langbein im Ö1-Morgenjournal am Montag: "Die Lage ist schon ganz schlimm. Dort sterben die Leute unnötige Tode. Es geht darum, dass die Bevölkerung verstehen lernt, dass Wohnortnähe nur im Bereich einer hochspezialisierten Versorgung sinnvoll ist, und dass Wohnortnähe bei allen hochspezialisierten Eingriffen lebensgefährlich ist."

Offenbar würden Qualitätsmängel und der Drang, nur ja die eigenen Krankenhausbetten (6,1 Betten in Österreich pro 1.000 Einwohner; Niederlande: 3,1 pro 1.000) voll zu bekommen ("auslasten"), einander ergänzen. "Wo immer das Schließen eines Spitals oder einer Abteilung diskutiert wird, steigt die Zahl der Operationen sprunghaft an", so Langbein. 

"Doppelt so viele Spitalsbetten wie nötig"
Laut Langbein werde in den Krankenhäusern Punktemaximierung bei den Leistungen betrieben. Das bringt Geld und "rettet" Spitalsbetten: "Die Hauptsache ist, dass die Finanzierung vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Es geht zum einen darum, bei den Spitälern ganz drastisch zurückzufahren. Wir haben doppelt so viele Spitalsbetten und Spitalseinweisungen wie tatsächlich nötig ist. Das ist belegt, jeder weiß es, nur es geschieht nichts."

Ärztekammer:"Uralte Zahlen aus den USA"
Die von Langbein genannten 2.500 jährlichen Todesfälle aufgrund von Behandlungsfehlern in Österreichs Krankenhäusern provozierte am Montag eine wütende Reaktion der Ärztekammer: Präsident Walter Dorner kritisierte das Buch als "billige, sensationslüsterne Panikmache". Es gebe in diesem Zusammenhang keine wie immer gearteten validen Zahlen in Österreich. Langbein habe "uralte Zahlen aus den USA" (aus den 90er Jahren) mittels einer "unseriösen Methode" auf Österreich hochgerechnet, so Martin Stickler, Sprecher der Ärztekammer.

Dorner kritisierte Langbein dafür, "Menschen durch Aufzählung von Ärztefehlern in Angst und Schrecken zu versetzen". Um die Behebung der Ursachen - etwa überlange Arbeitszeiten in den Spitälern und dahinter stehende kontinuierliche Gesetzesbrüche von Spitalsbetreibern - gehe es dem Autor offenbar nur in zweiter Linie. Wer einen sensiblen Bereich wie die Medizin derart destruktiv skandalisiere, stelle sich als Mensch ins Abseits.

"Mit Todesfällen soll man nicht hochrechnen"
Auch Patientenanwalt Konrad Brustbauer kritisierte: "Mit Todesfällen soll man nicht hochrechnen - vor allem nicht mit alten Zahlen aus dem Ausland." Man müsste das hierzulande erheben. Die von Langbein getroffene Feststellung, in den vielen österreichischen Kleinkrankenhäusern könnten komplizierte chirurgische Eingriffe leichter schiefgehen, trifft laut Brustbauer nicht auf die Bundeshauptstadt zu. Die Spitäler seien zumeist groß und die kleineren würden sich spezialisieren und über Zertifizierungen auch nach außen Qualität demonstrieren.

Es gebe eben Unterschiede zwischen großen, zentralen Krankenhäusern und einem kleinen Bezirksspital, die sicherlich auch ihre Berechtigung hätten. Und rasche Hilfe sei die beste Hilfe, etwa bei einem Schlaganfall. Wenn der Patient dann in ein kleines Spital gebracht wird, dann eben dorthin, so Brustbauer.

Sponsoring und Gratis-Arzneimittel für Spitäler
In seinem Buch kritisiert Langbein Langbein auch von ihm festgestellte Verquickungen zwischen Pharmaindustrie und Medizin bzw. den Meinungsmachern in der Reihe der Ärzteschaft. Er greift massiv Gratislieferungen von Original-Arzneimitteln an die Spitäler an. Das rechnet sich für die Krankenhäuser, belastet aber dann die Krankenkassen, weil die Patienten mit teureren Medikamenten entlassen werden als dies notwendig wäre.

Langbein greift auch das Thema "Anwendungsbeobachtungen" mit bekannten Arzneimitteln auf. Ärzte sollen dabei animiert werden, Patienten auf bestimmte Medikamente einzustellen und die Resultate mitzuteilen. Langbein führt hier Aktivitäten mit einem Blutdruckmedikament (Losartan) an: "Dafür wurden sie (die Ärzte, Anm.) (...) nicht nur honoriert, sondern gleich mit einem Laptop ausgestattet." Bei dem verantwortlichen Unternehmen hätte man erklärt, der Computer hätte bloß der "sicheren Datenerfassung" gedient. Die Ärzte hatten offenbar die Möglichkeit, den Computer nach den drei Jahren zum Zeitwert zu erwerben.

Fazit: "Reparaturmedizin" statt Prävention
Das Fazit des Buches: Spitallastigkeit des Systems samt Kantönligeist der Bundesländer mit ihren Kliniken (zu viele CT- und MR-Geräte) und die Eigeninteressen vieler Marktteilnehmer verteuern das System, ohne zu einem vergleichsweise steigendem Qualitäts-Output des Gesundheitswesens zu führen. "Reparaturmedizin" wird der Prävention vorgezogen. Da liegt Langbein auf der Linie vieler Betrachter des komplexen österreichischen Gesundheitswesens.

Kurt Langbein: "Verschlusssache Medizin". Ecowin. 240 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-902404-73-2 (siehe Infobox)

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