"Barbarisch"

Todesstrafen-Sager: Welle der Empörung gegen Orban

Ausland
29.04.2015 14:15
Nach dem brutalen Mord an einer 21-jährigen Trafikantin in der südwestungarischen Stadt Kaposvar hat Ungarns Premier Viktor Orban die Wiedereinführung der Todesstrafe angeregt und sowohl im In- als auch im Ausland für heftige Empörung gesorgt. Orban betonte in einer Pressekonferenz, die Todesstrafe solle "auf der Tagesordnung bleiben", denn es habe sich gezeigt, dass die bisherigen Verschärfungen des Strafrechts ungenügend seien. Die ungarischen Oppositionsparteien übten scharfe Kritik. Die EU-Kommission stellte am Mittwoch klar: "Für die EU ist die Todesstrafe niemals die Antwort."

Die jüngsten Äußerungen des ungarischen Premiers zur möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe haben in Ungarn eine heftige Debatte ausgelöst. Während sich die Vertreter von Orbans Partei Fidesz und der rechtsradikalen Jobbik offen für die Idee aussprachen, kritisierte die linke Opposition die Aussagen des Regierungschefs.

Opposition schimpft: "Orban mehr Jobbik als die Jobbik"
Statt die Todesstrafe wiedereinzuführen, solle man sich lieber um die Verbrechensprävention kümmern, sagte Laszlo Szakacs, ein Abgeordneter der Sozialisten (MSZP). Die Demokratische Koalition von Ex-Premier Ferenc Gyurcsany und die linke Kleinpartei Együtt warfen Orban vor, er sei mit den Aussagen "mehr Jobbik als die Jobbik" geworden und habe der rechtsradikalen Partei eine "Geste" erweisen wollen.

Vorsichtige Zustimmung in Orbans Partei
Fidesz-Vertreter äußerten sich vorsichtig zustimmend zu den Aussagen ihres Vorsitzenden. Fraktionschef Antal Rogan sagte, die Todesstrafe könne sogar auf EU-Ebene thematisiert werden, "wenn die öffentliche Meinung eines EU-Mitgliedsstaates das so will". Auch Fidesz-Vizechef Lajos Kosa meinte, es lohne sich, eine Debatte über die Todesstrafe zu führen, selbst wenn Ungarn heute bei der EU sei. Er selbst sei allerdings "auf der Seite des Lebens".

Jobbik-Chef: "Bei Abstimmung würde ich Ja ankreuzen"
Jobbik-Chef Gabor Vona äußerte sich durchwegs positiv. Er würde bei einer Volksabstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe mit Ja stimmen, bekannte der rechtsradikale Parteichef. Allerdings meine Orban die Idee nicht wirklich ernst, sondern versuche, "auf der Popularitätswelle zu schwimmen", vermutete er.

Karas: "Grundkonsens in der EU infrage gestellt"
EU-Parlamentarier zeigten sich entsetzt: ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas meinte, die Todesstrafe "darf in einem EU-Land nicht auf der Tagesordnung sein". Orbans Worte erweckten den Eindruck, dass er diese "nicht grundsätzlich" ablehne. "Dies steht in krassem Widerspruch zu europäischen Werten, zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zum EU-Recht", teilte Karas mit. "Wer die Todesstrafe nicht ablehnt, stellt eine historische Errungenschaft und einen zivilisatorischen Grundkonsens Europas infrage. Die Ablehnung der Todesstrafe muss eine zwingende Grundhaltung für jeden Regierungschef eines EU-Mitgliedstaates sein", sagte Karas.

EU-Parlamentspräsident will mit Orban reden
Der sozialdemokratische Fraktionsvize Jörg Leichtfried sprach Orbans Äußerungen am Mittwoch im EU-Parlament an. Wenn Orban überlege, die Todesstrafe einzuführen, wäre dies nicht nur "komplett europarechtswidrig, es wäre barbarisch", sagte Leichtfried. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz verlangte nach eigenen Worten eine Klärung der Äußerungen des ungarischen Ministerpräsidenten. Er habe im Büro von Orban um ein Telefongespräch in der Sache gebeten, sagte Schulz am Mittwoch in Straßburg. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos forderte gar den Ausschluss von Fidesz aus der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament.

Ähnlicher Sager schon im Jahr 2002
Schon im Jahr 2002 hatte der konservative Orban, der damals in der Opposition saß, das Thema Todesstrafe aufgegriffen und nach einem Banküberfall mit acht Toten die Wiedereinführung in Ungarn verlangt. Damals meinte der Politiker, obwohl internationale Abkommen eine Wiedereinführung der Todesstrafe gegenwärtig ausschließen, würde "jene Zeit heranreifen, in der sich in Europa - vor allem wegen des Kampfes gegen den Terrorismus - diese Einstellung ändern könnte".

Kritiker orten Ablenkungsmanöver von Orban
Doch sind es wirklich die brutalen Verbrechen, die Orban veranlassen, die Todesstrafen-Diskussion vom Zaun zu brechen, oder steckt doch vielmehr Kalkül dahinter? Tatsächlich könnte der rechtskonservative Regierungschef lediglich auf die Wähler der rechtsradikalen Jobbik schielen, wie es die sozialistische Opposition vermutet. Es gibt auch kritische Beobachter, die eher ein Ablenkungsmanöver hinter dem Ganzen vermuten. Im Rahmen eines AKW-Abkommens mit Russland soll demnächst in der Nähe von Pecs, wo Orban am Dienstag die vielbeachtete Pressekonferenz hielt, ein Zwischen- bzw. Endlager für atomare Abfälle errichtet werden. Die Proteste von Bürgern und Umweltgruppen seien nun von der allgemeinen Empörung über die Todesstrafe überlagert worden, berichtete die liberale Tageszeitung "Pester Lloyd" am Mittwoch.

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