Kritik an den USA

Debatte um die Rechtmäßigkeit der Tötung Bin Ladens

Ausland
04.05.2011 18:34
Die Tötung von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden wird von der US-Regierung als bisher größter Erfolg im Kampf gegen den Terror gefeiert. Als Präsident Barack Obama den Tod des "Massenmörders" verkündete, brach in den USA Jubel aus. Auch ausländische Staats- und Regierungschefs gratulierten. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel meinte gar: "Ich freue mich, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten." Dass dieser für Tausende Todesopfer verantwortlich zeichnet, ist in den westlichen Demokratien unbestritten. Eine ganz andere Frage ist jedoch, ob es rechtens war, ihn zu töten.

Nach Bekanntwerden immer weiterer Details über die Tötung des Terrorpaten werden weltweit Zweifel am Vorgehen der USA laut (im Bild Proteste in Pakistan). Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, forderte am Mittwoch weitere Aufklärung zu den Todesumständen Bin Ladens. Ein Sprecher Pillays bestätigte, dass die UNO-Hochkommissarin sich mit dieser Bitte an die Regierung in Washington gewandt habe. "Es handelte sich um eine sehr schwierige Operation, und es wäre hilfreich, wenn wir die genauen Fakten der Umstände seiner Tötung kennen würden", betonte Pillay.

Nach Ansicht von Beobachtern reagiert die UNO-Kommissarin damit auf den Druck von Menschenrechtsgruppen, die in der Tötung des unbewaffneten Top-Terroristen eine Verletzung von Menschenrechten sehen. Pillay hatte in der Vergangenheit immer wieder betont, dass auch im Kampf gegen den Terrorismus Menschenrechte streng eingehalten werden müssten. Die nunmehrige Anfrage an die US-Regierung sei übermittelt worden, bevor das Weiße Haus am Dienstagabend eine neue Version der Umstände vorgelegt habe.

US-Regierung revidiert Erklärung
Washington hat dabei seine Darstellung von der Tötung des Al-Kaida-Chefs teilweise revidiert. Bin Laden sei - im Gegensatz zu vorherigen Behauptungen - nicht bewaffnet gewesen, sagte der Sprecher von Präsident Obama, Jay Carney. Allerdings seien andere Männer in dem Anwesen bewaffnet gewesen und hätten Widerstand geleistet. Bin Laden sei bei einem "unberechenbaren Schusswechsel" ums Leben gekommen.

CIA-Chef Leon Panetta erklärte, das US-Team sei angehalten gewesen, Bin Laden gefangen zu nehmen, wenn er "seine Hände hoch genommen, sich ergeben und keine Art von Bedrohung dargestellt" hätte. Aber es habe einige "bedrohliche Bewegungen" gegeben, "und das ist der Grund, warum sie feuerten", so Panetta weiter. "Ich glaube nicht, dass er eine Menge Zeit hatte, etwas zu sagen", fügte der CIA-Direktor hinzu.

Auch Carney bekräftigte, das Ziel des Einsatzes sei die Festnahme und nicht die Tötung Bin Ladens gewesen. Wegen des "großen Widerstandes" sei der Al-Kaida-Chef aber erschossen worden. Und: "Widerstand zu leisten, erfordert keine Feuerwaffe." Damit könnten die USA argumentieren, dass ihre Elitesoldaten in Notwehr handelten, als sie den Al-Kaida-Chef töteten.

Doch der Nachrichtensender CNN hatte zuvor berichtet, es habe sich um eine gezielte Liquidierung gehandelt - eine Festnahme sei nicht das Ziel gewesen. Sollte dies zutreffen, wäre das wesentlich heikler, denn der Grundsatz, dass niemand ohne Prozess bestraft werden kann, macht den Kern eines Rechtsstaates aus.

Fall von "nationaler Selbstverteidigung"?
Für US-Justizminister Eric Holder war die Aktion gegen Bin Laden ein "Akt der nationalen Selbstverteidigung" und damit gerechtfertigt. Als Drahtzieher der Anschläge vom 11. September sei der Terrorchef ein legitimes militärisches Ziel gewesen, sagte Holder am Mittwoch vor dem Rechtsausschuss des Senats.

Experten: In diesem Fall kein "Tyrannenmord"
Das Völkerrecht sieht nur wenige Ausnahmen dafür vor. Adolf Hitler hätte man demnach töten dürfen - dies wäre ein Tyrannenmord gewesen. Doch wie der Name schon sagt, versteht man darunter die Tötung eines Diktators, der ein Volk drangsaliert. "Bei Tyrannenmord würde man eher an Muammar al-Gadafi denken", meint der Kölner Völkerrechtsprofessor Claus Kreß. "Bei Bin Laden passt das nicht so sehr." Genauso sieht es der Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat: "Bin Laden war ja nicht jemand, der über einen Unterdrückungsapparat verfügt hat."

Al-Kaida als "Partei eines bewaffneten Konflikts"?
Den USA bliebe in diesem Fall eventuell noch ein anderer Weg, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen: Sie könnten die Tötung des Al-Kaida-Chefs als eine kriegerische Operation darstellen. Das entspräche dem, was die US-Regierung seit den Anschlägen vom 11. September 2001 immer wieder gesagt hat: "Wir befinden uns in einem Krieg gegen den Terrorismus." Im Völkerrecht wird anerkannt, dass nicht nur Staaten als Konfliktparteien gegeneinander Krieg führen können, sondern auch nichtstaatliche Organisationen. Vor dem Aufkommen des internationalen Terrorismus traf dies vor allem in einer Bürgerkriegssituation zu.

Ob die Terrororganisation Al-Kaida als Konfliktpartei gelten kann, ist aber äußerst fraglich. Dafür müssten bestimmte Kriterien erfüllt sein. "Die Kernfrage ist: War Al-Kaida zum Zeitpunkt der Tötungsaktion noch Partei eines bewaffneten Konflikts?", erläutert Kreß. "Vereinfacht gesagt: War sie eine quasimilitärische Organisation, von der eine kriegsähnliche Gefahr für die USA ausging? Und wurde sie von Bin Laden kommandiert?"

Für das Jahr 2001, als Al-Kaida in Afghanistan über große Ausbildungslager und starken Rückhalt durch die Taliban verfügte, könnte dies eventuell zutreffen. Aber nach allem, was heute bekannt ist, hat sich Al-Kaida seitdem zu einem losen Terrornetzwerk entwickelt. Viele sind davon überzeugt, dass Bin Laden zuletzt eher ein "spiritueller Führer" war.

Der österreichische Völkerrechts- und Menschenrechtsexperte Manfred Nowak erklärte am Mittwoch, die USA hätten das Recht gehabt, Bin Laden festzunehmen, um ihn vor ein Gericht zu stellen. Erschießen dürften die Sicherheitsorgane Personen jedoch nur aus Notwehr. Auch eine Begründung, dass eine Tötung im Kriegszustand gerechtfertigt sei, hält Nowak nicht für zulässig.

Kommandoaktion vielleicht "kaltblütiger Mord"
Der über die Grenzen seines Landes bekannte australische Menschenrechtsanwalt Geoffrey Robertson sagte, die Erschießung Bin Ladens habe mit Gerechtigkeit nichts zu tun: "Gerechtigkeit heißt, jemanden vor Gericht zu stellen, ihn auf Grundlage von Beweisen für schuldig zu befinden und ihn dann zu verurteilen." Nach dem, was man jetzt wisse, könne der Einsatz des US-Kommandos auch ein "kaltblütiger Mord" gewesen sein.

Der niederländische Spezialist für internationales Recht, Gert-Jan Koops, meinte, Bin Laden hätte verhaftet und in die USA überführt werden müssen. In Indien sagte der einflussreiche muslimische Geistliche Syed Ahmed Bukhari, die USA würden nach dem Gesetz des Dschungels handeln. "Die Menschen haben lange stillgehalten, aber nun ist eine Grenze überschritten."

Der deutsche Völkerrechtler Tomuschat glaubt, dass die USA die Akzeptanz für "targeted killings" - gezielte Tötungen - erhöhen wollen. "Die Amerikaner versuchen, eine neue Völkerrechtsregelung zu schaffen", so der Experte. "Irgendwann kann man eben sagen: 'Das hat sich mittlerweile konsolidiert, niemand hat widersprochen.' Das kann sehr schnell gehen."

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