Historische Wende

Benedikt XVI. erlaubt Kondome “in Einzelfällen”

Ausland
20.11.2010 18:37
Dass dieser Satz jemals über die Lippen eines Pontifex kommt, hätten die meisten Gläubigen und Kirchenkritiker wohl nicht für möglich gehalten - vor allem nicht beim als erzkonservativ geltenden Papst Benedikt XVI. Doch dieser lässt jetzt wissen, er finde die Benützung von Kondomen in "begründeten Einzelfällen" in Ordnung. Welche das sind, ist zwar noch nicht ganz klar, in einer historischen Wende erklärt der Papst aber im Grunde, dass sich die katholische Kirche fortan mit dem weltlichen Verständnis von Sexualität arrangieren will und das AIDS-Problem ernst nimmt.

Die katholische Kirche hatte Kondome bisher bekämpft wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser - und damit z.B. Priestern formal untersagt, ihren Schützlingen Präservative als Mittel gegen die Verbreitung von AIDS zu empfehlen, was besonders in Staaten mit hoher HIV-Rate und großem Kircheneinfluss (z.B. in Afrika) als problematisch angesehen wird.

Liebe, Treue - und jetzt auch Kondom
Noch bei seiner Afrika-Reise im März des vergangenen Jahres hatte Papst Benedikt eine Zustimmung zur Nutzung von Präservativen abgelehnt. "Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Kondomen regeln. Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem", hatte er damals gesagt und dafür erneut weltweite Kritik geernet. Allerdings hatte auch sein Vorgänger Johannes Paul II. 1993 bei einer Afrika-Reise gesagt, die eheliche Treue sei das einzige Mittel, um "die tragische Wunde" Aids zu heilen.

Dementsprechend groß ist nun die Überraschung: Benedikt XVI. ist nicht mehr grundsätzlich gegen den Gebrauch von Präservativen. Es möge "begründete Einzelfälle" geben, in denen ihre Benutzung etwa die Ansteckungsgefahr bei Krankheiten verringern könne, zitiert die Vatikanzeitung "L'Osservatore Romano" den Papst im Voraus aus einem neuen Interview-Buch.

"Nicht die wirkliche Lösung", aber "ein erster Schritt"
Was genau diese "Einzelfälle" sind, ist noch nicht ganz klar, zumal das Buch noch nicht erschienen ist. Als ein Beispiel für akzeptable Ausnahmefälle führe Benedikt aber in dem Buch Prostituierte an, die die Ausbreitung von HIV verhindern wollten, heißt es.

Wenn es darum gehe, die Ansteckungsgefahr zu verringern, könne der Einsatz von Kondomen auch "ein erster Schritt sein auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität". Allgemein sehe die katholische Kirche die Verwendung von Kondomen aber "natürlich nicht als wirkliche und moralische Lösung an".

Das Kondom sei letztendlich nicht der Weg, um die tödliche HIV-Infektion wirklich zu besiegen, wird Benedikt weiter zitiert. Im Kampf gegen Aids brauche es eine "Humanisierung der Sexualität", die bloße Fixierung auf das Präservativ bedeute eine Banalisierung der Sexualität. "Und die ist ja gerade die gefährliche Quelle dafür, dass so viele Menschen in der Sexualität nicht mehr den Ausdruck ihrer Liebe finden, sondern nur noch eine Art von Droge, die sie sich selbst verabreichen", erklärt der Papst mit ungewohnt klaren Worten.

Buch: "Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit"
Die Aussagen des früheren Kardinals Joseph Ratzinger sind Bestandteil eines neuen Interview-Buchs des deutschen Journalisten Peter Seewald. Das Werk wird nächste Woche unter dem Titel "Licht der Welt: Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit" erscheinen.

Das Buch dürfte noch für weitere Schlagzeilen sorgen. Benedikt äußert sich darin zu einer Reihe weiterer aktueller Fragen, etwa zum Islam. So spricht sich der Papst gegen ein generelles Burka-Verbot aus, wie es inzwischen in Frankreich Gesetz ist und in Österreich öfter diskutiert wird. "Was die Burka angeht, sehe ich keinen Grund für ein generelles Verbot", so der Papst. Niemand könne damit einverstanden sein, wenn die Frauen zum Tragen des Körperschleiers gezwungen werden. "Wenn sie sie aber freiwillig tragen wollen, weiß ich nicht, warum man sie ihnen verbieten muss."

Der Fragesteller bzw. Autor des Buchs, Peter Seewald, ist Papst-Biograf und führte bereits mit Joseph Ratzinger Interviews, als dieser noch Kardinal war. Er durfte den Pontifex im Sommer eine Woche lang in seiner Sommerresidenz jeweils eine Stunde am Tag befragen.

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