Kritik an Asylwesen

VfGH stoppt Abschiebung nach Griechenland

Österreich
27.10.2010 11:42
Der Verfassungsgerichtshof hat am Mittwoch erstmals die Überstellung einer Asylwerberin nach Griechenland als verfassungswidrig aufgehoben. Zudem wurde eine neue Hürde für Abschiebungen in das wegen seines miserablen Asylwesens in der Kritik stehende EU-Land eingezogen: Vor der Überstellung besonders schutzwürdiger Personen müssen die österreichischen Behörden bei den griechischen Kollegen künftig eine individuelle Betreuungs-Zusage für die betroffenen Asylwerber einholen - andernfalls muss die Abschiebung unterbleiben.

Laut Europarecht ist für ein Asylverfahren jenes EU-Land zuständig, in dem der Flüchtling die EU-Außengrenze überschritten hat (Dublin-Abkommen, siehe Infobox). Griechenland steht allerdings seit Jahren in der Kritik durch internationale Organisationen und Flüchtlingshelfer. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR bezeichnet die Zustände in griechischen Flüchtlingslagern als unmenschlich und lebensgefährlich.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der EGMR, hat angekündigt, sämtliche an ihn herangetragenen Überstellungen in das EU-Land stoppen zu wollen. Mehrere EU-Länder (u.a. Großbritannien, die Niederlande, Norwegen und Dänemark) haben Dublin-Abschiebungen nach Griechenland bereits eingestellt.

Heuer bisher 161 Menschen betroffen
Österreich überstellte bisher aber trotz der bekannten Kritik weiterhin Flüchtlinge nach Griechenland. So wurden etwa in den ersten acht Monaten 2010 161 Menschen in das südliche EU-Land zurückgewiesen, nachdem Griechenland bei 369 (von insgesamt 386) Personen seine Zuständigkeit anerkannt hatte. In 208 individuellen Fällen machte Österreich vom "Selbsteintrittsrecht" Gebrauch und übernahm das entsprechende Asylverfahren. Zum Vergleich: Die meisten sogenannten Überstellungen aus Österreich fielen in den ersten neun Monaten auf Polen (343 Menschen). Eine Afghanin legte nun erfolgreich Beschwerde gegen eine bevorstehende Abschiebung nach Griechenland ein.

Die Frau wurde mit 15 Jahren verheiratet und übersiedelte dann mit ihrem Mann in den Iran. Ihren Asylantrag begründete die Frau damit, dass ihr Gatte im Iran eine weitere Frau geheiratet habe, die ihr "das Leben schwer gemacht" habe. Deshalb habe sie sich mit ihren Kindern sowie weiteren Verwandten über die Türkei und Griechenland nach Österreich abgesetzt. Letzteres mit gefälschten Dokumenten. In Österreich stellte die damals schwangere Frau im November 2009 einen Asylantrag und brachte ihr fünftes Kind zur Welt.

Asylanträge mehrfach abgewiesen
Das Bundesasylamt wies die Asylanträge der Familie jedoch am 19. Jänner zurück und verwies auf die Zuständigkeit Griechenlands. Auch der Asylgerichtshof kam zur Auffassung, dass eine Überstellung in das für das Asylverfahren zuständige EU-Land zulässig wäre. Der Verfassungsgerichtshof erklärte die Abschiebung nun allerdings für verfassungswidrig. Grund: Der Asylgerichtshof hatte in dem Verfahren zwar selbst die Frage aufgeworfen, ob die Familie - immerhin war die Frau mit einem sechs- und einem dreijährigen Kind sowie einem Neugeborenen unterwegs - in Griechenland überhaupt versorgt würde, hatte diese Frage aber nicht verlässlich beantwortet.

Stattdessen gab sich der Asylgerichtshof mit einem allgemeinen Hinweis des Bundesasylamts zufrieden, wonach bei besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen zumindest die vorläufige Unterbringung in Griechenland gewährleistet sei, wenn die Abschiebung rechtzeitig angekündigt wird. Aus Sicht der Verfassungsrichter wäre jedoch eine individuelle Zusicherung der Versorgung durch Griechenland nötig gewesen. Die Überstellung wurde daher mit Verweis auf das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung (Artikel 3 Menschenrechtskonvention) aufgehoben.

Hürde gegen Abschiebungen eingebaut
Außerdem ziehen die Verfassungsrichter eine zusätzliche Hürde für die Abschiebung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen nach Griechenland ein: Wollen die österreichischen Behörden künftig Mütter mit Kleinkindern oder unbegleitete Minderjährige nach Griechenland überstellen, dann müssen sie in jedem Einzelfall von den griechischen Behörden eine individuelle Zusicherung einholen, mit der die Versorgung in Griechenland konkret zugesagt wird.

Die heimischen Asylbehörden haben laut VfGH-Sprecher Christian Neuwirth nun zwei Möglichkeiten: Entweder sie holen eine "Versorgungszusage" der griechischen Behörden für die Familie ein und kommen danach zum Schluss, dass die Überstellung zulässig ist. Oder die Überstellung ist nicht zulässig und Österreich tritt anstelle Griechenlands in das Asylverfahren ein. In jedem Fall brauche es bei besonders "vulnerablen", also schutzbedürftigen, Flüchtlingen künftig bereits vor der Entscheidung über die Überstellung nach Griechenland eine entsprechende Versorgungszusage - andernfalls wäre die Überstellung verfassungswidrig, betont Neuwirth.

In einer ersten Reaktion versicherte Innenministeriums-Sprecher Oberst Rudolf Gollia gegenüber krone.at, dass das Urteil des VfGH sehr ernst genommen werde und künftig bei besonders schutzwürdigen Personen eine Betreuungs-Zusage eingeholt werde.

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