"A patscherter Bua"

Bub misshandelt: Das Drama in der Zelle E 2/14

Österreich
29.06.2013 16:57
K., 14 Jahre alt. In U-Haft nach versuchtem Handyraub. Die schwere Misshandlung eines Buben in der Justizanstalt Wien-Josefstadt hat die Öffentlichkeit schockiert - und die Politik zum Handeln gezwungen.

Es war der Abend des 1. Mai. Da bekamen die 30 Jugendlichen, die derzeit im Wiener "Landl" einsitzen, Zuwachs. Aus einem 14-jährigen Handyräuber namens K. wurde am Staatsfeiertag 2013 U-Häftling Nummer 126176. "Er war groß gewachsen, schlaksig, a patscherter Bua. Mit all seinen Gesten hat er ausgedrückt: Bitte, habt mich lieb!", erinnert sich Gefängnislehrer Wolfgang Riebniger (kleines Bild).

Der Sonderpädagoge mit den langen weißen Haaren ist für viele junge Straftäter eine Art Vaterfigur. Wie schlecht muss es diesen Jugendlichen gehen, wenn sie erst im Gefängnis eine männliche Bezugsperson finden? Schwierig sei K. schon gewesen, aber nicht bösartig, eine Mischung aus depressiv, aggressiv und zurückgezogen. Emotional vielleicht unreif, aber nicht geistig zurückgeblieben. Ein Bursch in der Pubertät, allerdings mit dem schweren Rucksack voller frühkindlicher Traumata. "Einer, auf den man besonders aufpassen muss", so Riebniger.

Auf die schiefe Bahn geraten
K. war schon lange vor dem versuchten Raub - er wollte einem alten Mann gemeinsam mit zwei Komplizen unter vorgehaltenem Taschenmesser das Handy abknöpfen - auf die schiefe Bahn geraten. Über K.s Eltern weiß man nichts, der 14-jährige Österreicher lebte seit früher Kindheit in einer WG, täglich konfrontiert mit der Hoffnungslosigkeit. Der Jugendgerichtshilfe fiel das bei ihrer Untersuchung auf; der zuständige Richter wollte aber zur Sicherheit ein psychiatrisches Gutachten abwarten, bevor K. laut Paragraf 4, Absatz 2, Ziffer 1 hätte enthaftet werden können. Und das dauerte mehr als drei Wochen. Der erste Fehler, der zu einer großen Tragödie führen sollte...

In Zelle E 2/14 stehen zwei Stockbetten, vier Sessel, ein Tisch. Das Fenster geht zum Hof. Gemeinsam mit drei anderen jugendlichen Straftätern verbrachte K. in diesem Raum 41 Tage. Oft war er bis zu 65 Stunden eingesperrt. Denn von Freitag 15 Uhr bis Montag früh gibt es zu wenig Personal, da fällt die Zellentür ins Schloss und Schluss. "Ich bleibe dabei", bekräftigt Jugendrichterin Beate Matschnig - sie machte den "Falter" auf den Skandal aufmerksam -, "dass das wie Folter ist, wenn Jugendliche tagelang völlig sich selbst überlassen sind." Die Justiz habe für deren Sicherheit zu sorgen.

"Wenn ein Softie zu drei harten Burschen in eine Zelle gesteckt wird, kann man sich ausmalen, was passiert", empört sich Udo Jesionek, der 21 Jahre lang Präsident des ehemaligen Jugendgerichtshofs war (er wurde unter dem damaligen Justizminister Dieter Böhmdorfer abgeschafft). "In meiner ganzen Zeit am Jugendgerichtshof ist so ein Fall nicht vorgekommen. Wir haben die Burschen den ganzen Tag beschäftigt, am Abend blieben die Türen möglichst lange offen, und mehr als zwei Jugendliche sind nicht in eine Zelle gekommen."

"Er war halt das typische Opfer"
Baulich und auch personell ist das in der Justizanstalt Wien-Josefstadt schlicht nicht möglich. K. sei in jenes Klima geraten, das Riebniger mit einem "Dampfkessel" vergleicht. "Da ist viel kriminelle Energie, und er war halt das typische Opfer." Dem Justizwachebeamten, den die schweren Burschen "Papa Paul" nennen, waren K.s blaue Flecken aufgefallen. Es gelang ihm, das Vertrauen des 14-Jährigen zu gewinnen. Er erfuhr, dass K. bereits am 6. Mai, fünf Tage nach seiner Einlieferung, vergewaltigt, misshandelt und gedemütigt worden war.

"Wir waren alle von den Socken", erzählt der Gefängnislehrer, der sich als emotionaler und pädagogischer Serviceleister begreift, "die Unterbringung in einer Viererzelle war unter den gegebenen Umständen das optimale Setting."

Als U-Häftling Nummer 126176 am 10. Juni "wegen mangelnder Reife" auf freien Fuß gesetzt wurde, sah es so aus, als sei hier nur ein weiteres grausames Kapitel im österreichischen Jugendstrafvollzug zu Ende gegangen. Als sei der Fall K. einer von vielen Misshandlungsfällen, deren Dunkelziffer niemand kennt. Aber dieser Fall wurde öffentlich.

"Sag, ist das unser K., der da durch die Medien geistert?" Das habe die Direktorin von K.s Wiener Schule von ihm wissen wollen, erzählt Lehrer Riebniger. "Ja, leider", habe er geantwortet. Die Direktorin behielt daraufhin den Buben, statt ihn mit der Klasse auf Schulausflug zu schicken, bei sich und verbrachte Zeit mit ihm. K. werde jetzt von der Männerberatung psychologisch betreut. "Leider sind seit Freitag Ferien, da verliert er auch noch seinen Anker Schule. Seine WG hat ihn aber liebevoll aufgenommen", so Riebniger.

Brief von Justizministerin bekommen
K. kann jetzt die Republik auf Entschädigung klagen. Er hat jetzt einen Brief von Justizministerin Beatrix Karl bekommen, in dem steht, dass es ihr Leid tue. K. hat erreicht, dass eilig eine "Taskforce" ins Leben gerufen wurde. Eine Expertenkommission wird ab Montag Alternativen zur U-Haft von Jugendlichen entwickeln. Dem 14-Jährigen hilft das nicht mehr. Er wird ein Leben lang an seinem Leid zu tragen haben. Sein Rucksack ist noch ein paar Kilo schwerer geworden.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele