Pflegeskandal in NÖ

Der Tod einer alten Dame

Österreich
03.12.2017 12:10

Fünf frühere Mitarbeiter eines Pflegeheims in Niederösterreich stehen unter dem Verdacht, Patienten zu Tode gequält zu haben. Eine davon: Aloisia M. Die "Krone" recherchierte die Lebens- und Leidensgeschichte der Frau.

Vor wenigen Tagen, im "Haus Clementinum", im niederösterreichischen Kirchstetten. Dort, wo im Herbst 2016 ein Skandal grausamsten Ausmaßes aufgeflogen ist. Fünf Pflegekräfte, ein Mann und vier Frauen, sollen über Jahre hindurch Heimbewohner aufs Abscheulichste gequält, mit Besenstielen geschlagen, Alkohol in Schleimhäute und Wunden geschüttet, Kot in den Mund gerieben, sie mit diversen Gegenständen sexuell missbraucht - und ihnen letztlich vielleicht sogar letale Medikamenten-Cocktails verabreicht haben. Die Opfer: Menschen, die keine Möglichkeit hatten, sich gegen die Angriffe zu wehren. Körperlich extrem schwach, dement; unfähig, sich zu artikulieren.

Der plötzliche Tod der Aloisia M.
Wie Aloisia M. Im Juli 2016 war sie im "Clementinum" einem "plötzlichen Herztod" erlegen. Nach einem Nachtdienst der Beschuldigten. Genauso wie 2015 eine weitere Frau. Die beiden mutmaßlichen Opfer wurden in der vorvergangenen Woche exhumiert. In der Wiener Gerichtsmedizin wird nun überprüft, ob sich in ihren sterblichen Überresten ungewöhnlich hohe Konzentrationen diverser Substanzen befinden.

Die "Krone" hat ausführlich über die neuen Entwicklungen in dem erschütternden Kriminalfall berichtet. Die betreffenden Artikel bekamen die Patienten im Heim mit Verzögerung zu lesen. Angehörige, Freunde "von draußen" haben sie ins Clementinum gebracht. Jetzt ist dort das Entsetzen groß.

"Langsam erst wird mir klar, welch schreckliche Dinge hier geschehen sein müssen", sagt eine alte Dame, die in der Cafeteria des Heims sitzt, in ihrem Rollstuhl, und eine Tasse Pfefferminztee trinkt. "Ich kannte Aloisia gut", erzählt sie, "wir haben oft hier, an diesem Tisch, miteinander geredet." Über Fernsehserien, manchmal über Politik, "über nichts Besonderes halt ..."

Aber dann, "ab etwa April 2016", habe die "Plauschpartnerin" kaum noch ihr Zimmer verlassen. Die 93-Jährige wurde vergesslicher, schweigsamer: "Trotzdem kam ihr Tod überraschend. Denn sie zeigte, selbst in ihren letzten Wochen, einen enormen Lebenswillen."

Den sie niemals verloren hatte, auch nicht nach ihren vielen schrecklichen Schicksalsschlägen. "Gott legte ihr harte Prüfungen auf", erinnert sich eine Pensionistin aus Stössing, wo Aloisia M. früher in einem bescheidenen Haus gelebt hat: "Ihr Mann, ein Postbeamter, starb früh, an einem Lungeninfarkt. Ihr geliebtes Adoptivkind war damals gerade erst sieben. Um die kleine Tochter und sich über Wasser zu halten, züchtete sie auf ihrem Grundstück Hühner."

Ihr Ehemann und die Tochter starben früh
Bald das nächste Drama: Das Mädchen bekam Krebs, mit zwölf verlor es den Kampf gegen die Krankheit. "Aloisia war unendlich traurig, aber sie konnte, wollte nicht aufgeben." Führte fortan ein einsames Dasein, nahm nie an Veranstaltungen im Dorf teil. Verließ ihr Haus bloß, wenn sie beim Greißler im Ort Einkäufe erledigte.

"Sie war bei ihren Besuchen im Geschäft immer freundlich", sagt eine ehemalige Kassierin, "aber sie sprach nie darüber, wie es in ihrem Innersten aussah." Bis ins hohe Alter sei sie auf ihr Äußeres bedacht gewesen, "sie färbte ihr Haar in ihrer Naturfarbe - Dunkelbraun - und ist stets gepflegt gekleidet gewesen."

Etwa mit 75 verschlechterte sich Aloisia M.s Zustand, "nach einem Sturz hatte sie Schwierigkeiten mit dem Bewegungsapparat, das viele Alleinsein führte dazu, dass sie ein wenig dement wurde." Irgendwann der Entschluss, sie im "Clementinum" unterzubringen, ein Patensohn fungierte fortan als ihr Sachwalter.

Mit der Überstellung in das Heim ging es der Frau besser, körperlich und geistig. "Lange Zeit hindurch", so eine ehemalige Krankenschwester, "gehörte sie zu unseren fittesten Patienten." Jenen Krankenpfleger, der ihr großes Leid zugefügt haben soll, "hat sie sehr gemocht. Weil er ihr oft Witze erzählte." War an ihm nichts auffällig? "Anfangs nicht, später schien er mir seltsam. Denn er log viel."

Es war wenige Wochen vor Aloisia M.s Tod, als ein betagter, nach einem Schlaganfall "sprachloser" Mann aus Stössing im "Clementinum" aufgenommen wurde. Er blieb dort nur 14 Tage. Bei jedem Besuch entdeckte seine Tochter blaue Flecken an ihm. "Das kam mir komisch vor", so die 58-Jährige, "darum suchte ich einen anderen Pflegeplatz für ihn. Worüber ich sehr froh bin. Denn wäre er in dem Heim geblieben, würde er wahrscheinlich nicht mehr leben."

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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