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2raumwohnung: “Verändern wir die Welt im Kleinen”

Musik
26.08.2017 17:00

Mit "Nacht und Tag" hat das deutsche Electropop-Duo 2raumwohnung sein erstes Doppelalbum veröffentlicht und dabei feinsinnigen Gitarrenpop (Tag) mit paralysierenden Beatstaffeten (Nacht) verbunden. Inga Humpe und Tommi Eckart erklärten uns im ausführlichen Interview, welcher Gedanke dieser Idee zugrunde lag, warum auch harte politische Zeiten zu etwas Schönem führen können und was sich die Fans von ihrem Auftritt am 13. September im Wiener WUK erwarten dürfen. Zusätzlich verlosen wir 2x2 Tickets für das Konzertereignis.

(Bild: kmm)

So mancher behauptet ja, dass die Neue Deutsche Welle ohne die Humpe-Schwestern gar nicht möglich gewesen wäre. Und fürwahr - Annette und Inga Humpe prägten die deutsche Popmusik der 80er-Jahre mit ihren Kooperationen, unterschiedlichen Projekten und der schieren Ausstrahlung nachhaltig. Inga ist seit dem Millennium konstant mit 2raumwohnung aktiv, um dort mit ihrem Lebensgefährten Tommi Eckart gediegenen Electropop zu kreieren. Vor exakt zehn Jahren feierten sie mit "36 Grad" ihren größten Hits - und auch wenn es mittlerweile etwas ruhiger um das Duo wurde, mit dem Doppelalbum "Nacht und Tag" beschritt man wieder neue Territorien.

"Krone": Inga, Tommi - ihr habt im Frühling euer Doppelalbum "Nacht und Tag" herausgebracht, auf dem ihr zehn verschiedene Songs jeweils in einer Nacht- und einer Tagversion aufgenommen habt. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?
Tommi Eckart: Das hatte sich über ein Stück so ergeben und wir merkten, dass wir viel Freude daran hatten, die beiden Aspekte aus einem Lied heraus zu entwickeln. Einerseits der elektronische Nachtaspekt, der aus unserer Historie in der Club-Musik entstand und andererseits der Tagaspekt, aus dem für uns eine weichere und hellere Stimmung hervorging. Wir hören tagsüber selbst Musik, wo man eher zuhört und alles etwas wärmer vor sich geht.

Habt ihr zuerst die Nacht-Songs aufgenommen oder seid ihr da gemischt vorgegangen?
Inga Humpe: Wir kommen aus dem Clubbereich und daher kamen zuerst die Nachttracks. Die Songs wurden ursprünglich für einen Film geschrieben, wo man von der Nacht ins Tageslicht kommt und beim Song "Energie Multimillionär" gab es ein Schlüsselerlebnis, das für das restliche Album prägend war. Danach haben wir drei oder vier Tagversionen hintereinander gemacht. Aus dem Film wurde zwar was, aber die Musik von uns landete schlussendlich nicht darin. (lacht)

Wart ihr bei manchen Nachtsongs überrascht, wie sie sich verändern, wenn man sie in ein gitarrenpoporientierteres Tagkorsett steckt?
Humpe: Das war genau die Sache, die uns selbst am meisten Spaß machte. Wir konnten die Harmonien verändern, aber trotzdem mit Ähnlichkeit einen Unterschied herstellen.
Eckart: Es war für uns eine musikalische Abenteuerreise, bei der wir von einem zum anderen Punkt gehen konnten.

War es schwierig, einen bereits bestehenden Song neu aufzunehmen, ohne zu stark an die Urversion heranzureichen?
Humpe: "Bonjour Cherie" und "Ich hör Musik wenn ich dich seh" sind nicht so weit voneinander entfernt, die sind sozusagen ein bisschen in der Dämmerung geblieben. Diese Songs kamen nicht in die extrem unterschiedlichen Stimmungen rein. Wir wollten aber auch keinen Terror aus den Regeln machen - die zwei Songs fügten sich trotzdem gut an.
Eckart: Es hat die Idee von einem Konzeptalbum, aber wir haben am Ende nicht das Konzept über alles gestellt, sondern auch manche Tagsongs in eine Beatwelt hineinentwickelt, weil es sich richtig anfühlte. Das Schwierige war nicht so sehr den anderen Aspekt zu entwickeln, sondern es so hinzukriegen, dass wir auf der Tag-, als auch auf der Nachtversion die gleiche Reihenfolge der Songs haben, ohne dass es wirr klingt. Wir dachten anfangs, dass das niemals gehen würde, aber wir haben es so hingekriegt, dass der Spannungsbogen gelang. "Energie Multimillionär" haben wir in der letzten Minute umgekrempelt.
Humpe: Wenn man Vinyl hört, kann man nur Tag oder Nacht hören, aber wenn man streamt, kann man auch alles queren. Für uns war es zeitgemäß, diesen Ansatz zu verfolgen.

Ich war selbst sehr überrascht davon, dass die Tagsongs im Endeffekt doch weniger nach Lagerfeuer klingen, als ich vorher angenommen hätte.
Humpe: In unserer Vorstellung heißt nachts zu tanzen, aber man kann das durchaus auch tagsüber machen. Die Tagversion ist für uns draußen, irgendwo am Wasser verortet. Es könnte auch am Strand von Ibiza passieren, da hätten wir nichts dagegen. (lacht) Dass wir die Nacht vor den Tag stellen, kommt natürlich von unserem Hintergrund, da wir aus der Clubwelt stammen.

Inga, du hast in einem Interview betont, dass der Hedonismus für 2raumwohnung vorbei wäre. Ist es in Zeiten wie diesen für euch notwendig geworden, politisch zu werden?
Humpe: Das kann jeder frei entscheiden, ob es notwendig ist. Wir hatten immer schon Texte, in denen wir uns durchwegs politisch äußern. Dieses unverschämte hedonistische Prinzip, das wir in den 90ern und Anfang der 00er-Jahre in Berlin hatten, das geht zurzeit einfach nicht mehr. Wir alle wissen, dass es derzeit so viele Flüchtlinge wie noch nie gibt und es ist nicht die Zeit zu sagen, dass einem alles scheißegal ist und man machen kann was man will. Es ist auch nicht der richtige Moment, mit Klamotten und Luxusdingen zu prahlen. Ich kann das derzeit nicht genießen.

Viele Künstler würden gerade jetzt sagen, dass sie eine Möglichkeit zum Eskapismus anbieten.
Humpe: Das haben wir auf dem Album trotzdem. Wir sagen nicht, dass die Welt schlecht ist und wir alle kollektiv Selbstmord begehen sollten. (lacht) Es ist schwierig, aber es gibt auch gute Seiten im Leben. Ich bin selbst erschrocken, dass es derzeit so viele Machismo-Despoten an der Macht sind. Offenbar ist das eine Wellenbewegung, aber daraus entstehen auch Gegenbewegungen und eine Transparenz.
Eckart: Die Leute gehen - Ausnahme Macron unlängst - endlich wieder wählen, weil sie wissen, dass sie sehr wohl mitentscheidend sind. Vielleicht hat diese Welt von despotischen Staatsführern die Reflektion, dass man wieder wählt und demonstriert. Zumindest da, wo man es kann. In Russland und der Türkei gefährdet man seine Freiheit, aber hier geht es.
Humpe: Wenn man bedenkt, dass Musik in vielen Ländern verboten ist, ist die Musik ohnehin politisch - gerade auch die Popmusik.

Habt ihr den Anspruch, mit euer politinhaltlichen Musik etwas verändern zu wollen?
Humpe: Das können wir nicht. Wir können Anregungen geben und die Leute bestärken. Es gibt auch ein Lied, wo ich singe, dass man die Welt nicht verändern kann, aber man kann etwas im Kleinen tun.
Eckart: Man muss nicht in die große Depression verfallen, aber man kann Probleme benennen. Man kann nicht überall mit dem Nebelwerfer drüberfahren und dann davonlaufen. Entfliehen hilft niemals.
Humpe: Ich glaube das Wichtigste auf dieser Welt ist die Aufklärung. In Zeiten von Fake News muss einfach die Wahrheit ans Licht kommen. Auch wenn es stressig und unangenehm ist. Aufklärung ist das einzige, das eine kontinuierliche Veränderung bringt.

Ärgert euch die Lethargie junger Menschen wie letztes Jahr in England, als sie durch das Nichterscheinen bei Wahlen den Brexit mitverursacht haben?
Humpe: Das liegt sicher auch daran, dass sie zu schlecht geschult werden. Das Vertrauen der jungen Wähler ist schon lange weg. Sie sehen sich überhaupt nicht in einer Regierung. Es ist so, als würden sie gar nicht in einer Demokratie leben. Die Demokratie wird offensichtlich nicht geschätzt und das finde ich echt traurig.

Seid ihr durch die aktuellen Vorkommnisse von Romantikern zu Realisten geworden?
Humpe: Ich war immer beides und bin immer noch hoffnungslos romantisch. (lacht) Mit diesem Widerspruch muss man aber leben, es schließt das eine nicht das andere aus. Da passt auch das Album dazu, denn es hat unterschiedliche Stimmungen und die transportieren etwas Wirkliches.

Fällt es euch heute schwerer, an das Gute auf der Welt zu glauben?
Humpe: Ich bin eigentlich kein Glaubensfan, forsche und experimentiere lieber. Das wird auch ein Leben lang so bleiben,edonistische oder optimistische Stimmung in Berlin nach dem Mauerfall in den 90er-Jahren war ja real. Die Leute wussten, dass eine Revolution ohne Blutvergießen geschafft wurde und jeder war glücklich, dass diese Mauer und die geteilte Stadt weg war.
Humpe: Ihr habt hier in Österreich mittlerweile einen grünen Bundespräsidenten - es gibt also auch Fortschritte und gute Entwicklungen.
Eckart: Vielleicht war so eine Katastrophe wie der Brexit gar nicht so schlimm, denn es muss auch weitergehen.
Humpe: Es ist so passiert und nicht so dramatisch. Vielleicht bringt diese Entscheidung den anderen Teil von Europa näher zusammen? Dann hat selbst diese Entscheidung etwas Gutes.

"Nacht und Tag" ist sehr stark an frühere Electro-Helden wie Kraftwerk angelehnt, die euch in euer musikalischen Jugend nachhaltig prägten. Ist dieses Doppelalbum somit ein bewusster musikalischer Nostalgie-Exkurs?
Eckart: Der Song "1993" ist eine schöne Hommage an diese ungezwungene Zeit und das Stück "Schöneberg" von Marmion. Wir hatten auch Kontakt von Mike und Markus von Marmion und haben ihnen den Song im Vorfeld vorgespielt. Wir haben das Stück in den DJ-Sets gespielt und fanden den Song gut verbunden mit der Aufbruchsstimmung, die damals in Berlin herrschte. Man dachte, alles könnte sich zum Guten wenden. Das Lebensgefühl, das Berlin befreite, war so stark, dass man dachte, aus dieser Stadt heraus wäre eine Idee des Weltfriedens umgesetzt worden, der sich ausbreitet. In Stücken wie "Schöneberg" war diese Stimmung einfach eingefroren und wir wollten das in unserer Art und Weise wieder aufrufen. Musikalisch ist es anders, aber es steckt der alte Geist der Elektronik drin.

"1993" hat also nichts mit eurem privaten Glück zu tun, das genau in diesem Jahr begann?
Eckart: Nein, da geht es rein um das Berlin-Gefühl. "Energie Multimillionär" ist kein echter Krautrock, aber auch eine Hommage an Bands wie Can, die witzigerweise in Amerika hochgeschätzt sind, aber bei uns hier gar nicht. (lacht)
Humpe: Unter Musikern will jeder Can-Coverversionen machen, aber das Genre ist irgendwie vergessen. Auch eine geniale Band wie Kraftwerk war natürlich prägend und gut, aber wir beziehen uns sehr vorsichtig darauf. Es gibt einige interessante elektronische Popmusik-Väter. Das Deutsch/Englisch-Gemisch in den Texten ist sicher von Falco inspiriert, der da führend war. Ihr habt jetzt zum Beispiel die tollen Bilderbuch, aber insgesamt gibt es nicht so viele, die wirklich in ihrer Zunft herausstechen können. Klassischen Pop oder Rock wollten wir auch nie machen, sondern etwas Elektronischeres oder sowieso was in die Richtung von J. J. Cale, also ganz anders gepolt.

Eigenständigkeit geht oft Hand in Hand mit dem Zeitgeist. Bilderbuch machen in dem Bereich derzeit wohl alles richtig.
Humpe: Die sind einfach großartig. Ich war total begeistert, weil sie etwas wagen und nicht nur über die österreichischen, sondern auch über die eigenen Grenzen gehen. Grandios.

Ihr macht im Prinzip auch Musik, die so gar nicht zum deutschen Popmusiktrend passt. Würdet ihr in anderen Teilen der Welt besser aufgenommen werden und mehr Erfolg haben, als in der Heimat?
Humpe: Ich glaube, diese Gedankenspiele nutzen nichts. (lacht) Ich würde unheimlich gerne mal in einer Netflix-Serie Musik machen und dadurch eine andere Dimension erfahren. Einen Berlin-Sound erwartet man im Ausland und ich glaube, wir könnten das sehr gut erfüllen. Vielleicht müsste die Serie dann auch "Berlin" heißen. Ich habe schon ein paar Mal nach L.A. geflüstert, vielleicht hört mich mal jemand. (lacht)

Jan Böhmermann hat vor einigen Monaten recht rustikal auf den Punkt gebracht, dass es der deutschen Popmusik derzeit an Inhalten und Seele fehlt. Seht ihr das ähnlich?
Humpe: Ich finde die Musik hier derzeit furchtbar langweilig. Musikalisch interessiert es mich schon lange gar nicht mehr und in den letzten zehn Jahren entstand nichts, an dem man sich orientieren kann. Ein Lied wie "Kaltes klares Wasser" von Chicks On Speed war vor vielen Jahren in Deutschland mal auf der Eins - das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen.
Eckart: Es läuft aber auch ein bisschen anders ab als früher. Es gibt schon gute Bands wie Seeed oder die Kalkbrenners, aber die leben abseits des Formatradiosounds.
Humpe: Dort finden solche Sachen gar nicht statt. So wie ihr mit FM4 haben wir mit Radio eins in Berlin einen Sender, der gute Musik spielt. Aber wenn du in Deutschland durch die Pampa fährst, kannst du nur mehr Klassikradio hören, weil sonst alles so furchtbar schlecht ist. (lacht)

Ist das gängige Formatradio eurer Ansicht nach über die Jahre noch engstirniger und intoleranter unterschiedlichen Musikstilen gegenüber geworden?
Humpe: Man merkt ja schon am Sound, was in den Formatradios gespielt wird. Die Moderatoren, das Werbegeballer und das ganze Gekreische - ich kann das nur abdrehen.
Eckart: Ich habe die Hoffnung das jetzt, wo auch die ganzen Streamingportale maßgeschneiderte und algorithmusgesteuerte Angebote machen, das Radio gefordert ist, mehr zu überraschen. Die Leute wollen ja auch überrascht werden.
Humpe: Aber Algorithmen werden uns zum Beispiel niemals mit einer englischsprachigen Band zusammenbringen, weil wir eben deutschsprachig sind. Das beschränkt die Sache wieder. Wir beziehen uns ja eher auf Bands wie Robyn oder Goldfrapp, die sehe ich eher als musikalische Familie, aber dafür ist der Algorithmus auch zu blöd.

Ist der Pioniergeist der Berliner Künstler aus den 90er-Jahren eurer Meinung nach verlorengegangen?
Humpe: Nein, in Berlin gibt es so viele tolle, neue Bands, die sich nicht um Charts und Radio kümmern, sondern einfach spielen und ihre Innovation vorantreiben. Ich sehe das mit wenig Sorge.

Am 13. September kommt ihr für euer einziges Österreich-Konzert ins Wiener WUK. Was wird da geboten und was serviert ihr euren Fans?
Eckart: Das ist jetzt unsere "Nacht-Tour" und da wird es hämmern.
Humpe: Es gibt auf jeden Fall etwas zu tanzen. Wir sind keine DJs, aber wir wollen die Schwelle zwischen uns auf der Bühne und dem Publikum so klein wie möglich zu halten. Alle sollen tanzen, Spaß haben und den Sound mit uns teilen.
Eckart: Und in der Mitte werden wir voraussichtlich ein paar Tag-Songs spielen, die klingen dann so wie ein kleiner Tagesausflug. (lacht) Vielleicht ist das auch ein Ausblick auf eine Tag-Tour, die uns dann eventuell noch einmal in anderem Rahmen nach Österreich bringt.
Humpe: Vielleicht können wir auch einmal beim Donauinselfest spielen. Nächstes Jahr im Sommer zum Beispiel. (lacht)

2x2 Tickets gewinnen!
Mit ihrem neuen Album und allen Hits kommen 2raumwohnung am 13. September ins Wiener WUK. Für dieses Konzert verlosen wir 2x2 Konzerttickets. Schicken Sie uns einfach eine E-Mail mit Ihren Daten und dem Kennwort "Nachtmusik" an pop@kronenzeitung.at, schon sind Sie im Rennen um die begehrten Karten. Einsendeschluss ist Donnerstag, 31. August, 12 Uhr. Die Gewinner werden von uns verständigt. Karten für das Konzert erhalten Sie noch unter www.arcadia-live.com.

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