"Krone"-Gespräch

In Flames: “Stillstand ist Rückschritt”

Musik
11.11.2014 15:45
Vor ihrem fast ausverkauften Auftritt im Wiener Gasometer haben wir Sänger Anders Fridén von den schwedischen Metal-Chartsstürmern In Flames zum Gespräch gebeten. Obwohl diverse Verzögerungen im Vorfeld für viel Stress und Zeitdruck sorgten, quatschte der 41-Jährige mit uns über Uneinigkeit bei den Fans, notwendig gewordene Änderungen und die Krux mit dem kommerziellen Erfolg.
(Bild: kmm)

"Krone": Anders, mit eurem neuen Album "Siren Charms" seid ihr erwartungsgemäß erfolgreich unterwegs. Die Reaktionen darauf fielen aber einmal mehr sehr unterschiedlich aus. Was denkst du darüber?
Anders Fridén: Es ist doch immer dasselbe bei uns. Jedes Mal, wenn wir ein neues Album herausbringen, entsteht eine große Diskussion darüber, wie scheiße wir sind. Das ist mir aber wirklich egal, denn ich höre mir die Meinungen der Leute an, die zu unseren Liveshows kommen. Darauf liegt unser Fokus.

"Krone": Okay – aber wenn so manche Magazine behaupten, das Album wäre das erste, das überhaupt keine Weiterentwicklung zeigt – stört dich das dann?
Fridén: Das sagt jemand? Wirklich? (lacht) Das stimmt doch einfach nicht. Wenn du "Siren Charms" direkt nach "Sounds Of A Playground Fading" hörst, wirst du den Unterschied mit Sicherheit wahrnehmen können. Es gibt kein In-Flames-Album, das sich so anhört wie ein anderes. Sich selbst zu wiederholen ist langweilig und das will ich verhindern. Wie kannst du dich verbessern, wenn du immer wieder auf die gleichen Zutaten zurückgreifst?

"Krone": Da ihr euch über die Jahre hinweg stilistisch so stark verändert habt – magst du eigentlich noch die alten In-Flames-Songs, die Mitte/Ende der 90er-Jahre der Grundbaustein für euren Erfolg waren?
Fridén: Auf jeden Fall. Natürlich lieben wir diesen Sound, denn ohne ihn würden wir heute nicht da stehen, wo wir sind. Wir sind heute aber wesentlich bessere Musiker als damals und deshalb könnten wir nicht noch einmal ein Album wie "The Jester Race" oder "Whoracle" schreiben. Ich bin sehr stolz auf unsere Vergangenheit, aber wir haben mit den Typen von damals nichts mehr gemein. Da wir niemals auf Tour schreiben, sondern immer fokussiert zu Hause daran arbeiten müssen, ist jedes Album wie ein Foto der jeweiligen Gegenwart.

"Krone": Viele Bands schreiben gerne auf Tour – warum geht das bei euch nicht?
Fridén: Weil unsere Gedanken nicht in den richtigen Bahnen sind. Es passiert andauernd irgendwas und du bist immer abgelenkt. Ich muss wirklich von allen Einflüssen um mich herum befreit sein, damit ich kreativ bin. Wir haben natürlich schön des Öfteren versucht, auf Tour Songs zu schreiben, aber die daraus entstandenen Riffs waren leider nie gut.

"Krone": Gitarrist Björn Gelotte und du diskutieren ja oft um die musikalische Ausrichtung der Band.
Fridén: Nein, das stimmt so nicht. Natürlich haben wir verschiedene Vorlieben, aber es ist ein völlig natürlicher Prozess und am Ende wissen wir schon, wo wir hin wollen und müssen. Es gibt keinen typischen Weg, einen In-Flames-Song zu schreiben.

"Krone": Und hat das Wort all der anderen Bandmitglieder dasselbe Gewicht wie eures?
Fridén: Natürlich kann jeder seine Ideen vorbringen, aber ich denke nach so vielen Jahren weiß jeder von uns, wo sein Platz in der Band ist. Ich schere mich nicht darum, wo eine Bassdrum oder eine Gitarren-Hook hingehört. Ich weiß, wann der Gesangseinsatz wie aussehen muss und welches Arrangement zum jeweiligen Song passt. Es braucht da keiner dem anderen reinpfuschen, weil jeder sein Gebiet beherrscht. Die Songwriter sind aber schon Björn und ich und wir haben das Vertrauen der anderen Jungs, weil sie genau wissen, was wir tun.

"Krone": Ihr hattet ein Studio in Göteborg und habt es verkauft – warum denn?
Fridén: Wir waren einfach niemals da. Wir waren alle paar Jahre einmal da, um ein Album aufzunehmen, und ansonsten war es völlig umsonst. Der Produzent wollte auch umziehen und so war es die einzig logische Entscheidung.

"Krone": "Siren Charms" habt ihr in den legendären Berliner Hansa Studios aufgenommen. Warum fiel die Wahl genau darauf?
Fridén: Das Studio ist einfach fantastisch. Ich war schon ein Jahr zuvor dort und gleich begeistert. Ich verliebte mich in dieses Studio und habe den Jungs gesagt, dass sie nicht mehr weitersuchen müssten. Wenn du zudem nicht die Möglichkeit hast, jeden Abend nach Hause zu gehen, bleibt dein Geist in der richtigen Verfassung, um kreativ zu sein. Ich liebe meine Kids und meine Frau, aber es ist wesentlich einfacher zu arbeiten, wenn man von daheim weg ist.

"Krone": In Berlin gibt es aber auch die eine oder andere Möglichkeit, seine Freizeit zu verbringen. Hat euch das nicht an der Arbeit gehindert?
Fridén: Natürlich gab es Möglichkeiten, aber wir waren hier, um ein Album zu machen. Ich hatte vor dem Aufnahmeprozess tatsächlich diese romantische Idee, dass ich in Bars und Cafés abhänge, mir dort Melodien und Texte überlegen würde. In der Realität waren wir aber ausgenommen der ersten beiden Wochen 24 Stunden pro Tag im Studio.

"Krone": Wie kommst du damit klar, durch die ganzen Social-Media-Kanäle eine Person der breiten Öffentlichkeit zu sein? Ihr gebt auch viel von euch als Privatpersonen preis.
Fridén: Darum sorge ich mich nicht. Ich poste zumindest keine verrückten Sachen. Es geht eher um Essen und Trinken. (lacht) Ich glaube, für einen Fan ist es interessant, etwas über die private Persönlichkeit seines Lieblingskünstlers mitzubekommen. Ich bin jetzt aber niemand, der stark in der Öffentlichkeit steht. Vielleicht erkennt man Johan Hegg von Amon Amarth eher, weil er groß und prägnant ist, aber wir reden hier von Schweden – da haben die Menschen an sich schon keinen so starken Star-Kult wie woanders. Wenn ich in eine Metal-Bar gehe, dann kennt man mich wahrscheinlich schon, aber ich postiere mich dort nicht hin und warte, bis mich jemand erkennt.

"Krone": Schweden haftet immer noch der Mythos einer einzigartigen Metal-Szene an.
Fridén: Natürlich gibt es die, es geht musikalisch bei uns auch einiges ab. Aber wir sind alle älter geworden und diese Art von Szene hat natürlich nicht mehr den exakt gleichen Stellenwert wie damals. Wenn wir in Göteborg eine Show spielen, kennen wir aber natürlich immer noch fast jeden, treffen unsere Freunde von Dark Tranquillity und haben viel Spaß. Aber es ist natürlich anders als früher.

"Krone": Magst du es als Familienvater noch immer, so oft auf Tour zu sein?
Fridén: Ich mag meine Kids und das Touren. (lacht) Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und diese direkte Interaktion mit den Leuten zu fühlen. Bei Shows sind nicht die Leute, die sich hinter ihren Computern und Facebook-Accounts verstecken und dauernd nur tippen und kritisieren. Eine Show passiert, sie ist gegenwärtig und man ist voller Adrenalin. Im Studio ist das natürlich anders. Zudem kennen wir uns alle sehr gut und haben auch abseits der Bühne viel Spaß miteinander.

"Krone": War es für In Flames das Beste, dass Ex-Gitarrist Jesper Strömblad…
Fridén: Ja!

"Krone": …nicht mehr bei euch mitspielt?
Fridén: Auf jeden Fall. Er wäre auf keinen Fall mehr in der Band. Wir lieben ihn noch immer und sind gute Freunde. Die Probleme basierten nur auf unserem Job.

"Krone": Die Türen für ihn sind in der Band geschlossen?
Fridén: Ja.

"Krone": Wie wichtig war der zurückgekehrte Gitarrist Niclas Engelin für das Album?
Fridén: Für das Album gar nicht. Er hat nichts mitgeschrieben, aber er war natürlich schon auch eine Inspiration. Er hat wirklich viel Energie in die Band gebracht und unser Gefüge komplettiert. Er war mit seinem Einstieg so etwas wie ein Retter für die ganze Band und ist insgesamt natürlich superwichtig für In Flames.

"Krone": "Siren Charms" landete in Finnland auf Platz eins, in Deutschland und Österreich auf dem starken siebenten Platz. Sind solche Erfolgserlebn großartige Alben da draußen, die sich überhaupt nicht verkaufen und in den Regalen verstauben. Wir sind erkennbar und natürlich goutiere ich es, dass die Leute gut finden, was wir machen, aber Chart-Platzierungen sind nicht relevant für uns. Fast niemand kann die Menge an Alben verkaufen, die er verkaufen müsste, um ein sorgenfreies Leben führen zu können. Wenn in Deutschland oder hier bei euch in Österreich noch 80 Prozent physische Alben verkauft werden, dann sind es in Schweden 85 Prozent digitale. Du kannst auch nirgends einen vernünftigen Vergleich machen, weil die Verkaufsgewohnheiten so stark differieren. Die Qualität eines Songs siehst du, wenn die Leute gut spielen und das Arrangement passt – nicht an den verkauften Alben.

"Krone": Was ist deiner Meinung nach dann das Geheimnis eures Erfolgs? Dass ihr beispielsweise weit mehr Alben verkauft als eure ehemaligen Genre-Mitstreiter Dark Tranquillity?
Fridén: Wir haben verschiedene Wege eingeschlagen. Wir haben immer unheimlich hart gearbeitet und sind die ganze Zeit auf Tour gewesen. Wir hatten auch Glück, dass wir gute Tourpakete hatten und auch die Plattenfirmen immer großartig mit uns zusammengearbeitet haben. Es ist einfach eine Mischung aus harter Arbeit und etwas Glück. Es hat aber nichts mit Qualität zu tun.

"Krone": Warum fürchten sich in der Metal-Szene deiner Ansicht nach so viele Fans vor Veränderungen?
Fridén: Ich denke, die Menschen brauchen einfach den Stil, den sie kennen- und lieben gelernt haben. Sie fühlen sich dann in gewisser Weise als ein Teil der von ihnen bewunderten Band. Ich weiß es nicht. (lacht) Ich bin ein Mensch, der nicht immer stehenbleiben möchte. Ich muss nur Territorien erkunden und aus meiner Komfortzone raus. Ich will einfach immer besser werden und mehr Erfahrungen sammeln.

"Krone": Wie ist das bei dir persönlich? Magst du es eigentlich, wenn die von dir favorisierten Bands ihren Sound entwickeln, erweitern oder verändern?
Fridén: Kann man Alben in alt und neu kategorisieren? Ich finde das zu einfach. Wenn ich etwas nicht mag, was eine Band macht, ja, dann höre ich mir die Sachen an, die ich liebgewann. Aber ich setze mich nicht vor den Computer, mache das Internet an und erzähle ihnen, dass sie deshalb scheiße sind. Es ist mir einfach egal – ich höre mir dann einfach was anderes an. Es gibt auch den umgekehrten Fall von Bands, die anfangs furchtbar waren und dann wirklich gut geworden sind. Als Hörer will ich ja herausgefordert werden. Wenn ich allzu schnell in einen Sound reinrutsche, ermüdet mich das ziemlich schnell. Es gibt aber viele Alben, die mich anfangs verstören, dann aber fesseln und ihren Bann ziehen.

"Krone": Was war denn das letzte Album, das dich richtig mitgerissen hat?
Fridén: Interessante Frage. Ich mag die neue Sleepwave, wo der ehemalige Underoath-Sänger beteiligt ist. Das Ding hat kaum was mit Metal zu tun, sondern erinnert mich eher an Filter. Ein großartiges Album.

"Krone": Die deutsche Metal-Sängerin Doro Pesch hat unlängst behauptet, der skandinavische Metal könnte kommerziell in noch höhere Regionen vorstoßen. Siehst du das ähnlich?
Fridén: (lacht) Das ist mir eigentlich egal, ich denke nicht an solche Sachen. Ich wusste viele Jahre nicht einmal, dass wir einen "Göteborg-Sound" spielen würden, bis mir Leute in Interviews einmal gesagt haben, dass es einen solchen gäbe. Ich sorge mich nicht um diese kommerziellen Gedanken, sondern bin auf meine Band fokussiert.

"Krone": Was ist dir denn dann wichtig, wenn dir der kommerzielle Erfolg egal ist?
Fridén: Na ja, es kommt immer darauf an, wie du kommerziellen Erfolg definierst. Völlig egal ist er mir natürlich nicht, aber ich würde meine Musik niemals beiseitelegen, nur um erfolgreicher zu sein. Für mich ist das Handwerk das Wichtigste. Wenn das in Ordnung ist und sich dadurch Erfolg einstellt, dann ist das mehr als okay. Würde sich niemand für uns interessieren, dann wäre ich wahrscheinlich zu Hause und würde nicht einmal in einer Band spielen. Aber ich liebe es, auf der Bühne zu stehen. Um deine Frage zu beantworten – ich würde niemals die Musik opfern, um mehr Geld verdienen zu können. Das Handwerk steht immer an erster Stelle.

"Krone": Euer Gitarrist Björn ist ja auch ein hervorragender Maler – bist du auch in anderen Kunstformen firm oder interessiert?
Fridén: Kunst nicht, aber ich habe meine eigene Bierfirma und braue das Bier "FrEQuency". Im Prinzip gilt meine ganze Passion aber der Musik. Es gibt zumindest keinen Plan B, sondern nur In Flames.

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