„Krone“-Interview

Jazz-Legende Kenny Barron: Je älter, umso simpler

Musik
11.05.2018 07:00

Er wurde für elf Grammys nominiert, spielte in seinen mehr als 50 Karrierejahren mit den größten Legenden des Jazz und wird von der Fachpresse zurecht als „gefühlvollster Pianist unserer Zeit“ bezeichnet - nun feiert der legendäre Kenny Barron seinen 75. Geburtstag und bringt sein brandneues Album „Concentric Circles“ heraus. Erstmals seit 2004 übrigens als Quintett. Am Rande seines Auftritts im Wiener Konzerthaus, sprach der Kultmusiker über seine beeindruckende Karriere, wie man am besten aus Fehlern lernt und warum 75 noch längst kein Alter ist.

(Bild: kmm)

„Krone“: Kenny, neben einem neuen Album feierst du am 9. Juni auch deinen 75. Geburtstag. Welche Gefühle kommen in dir hoch, wenn du daran denkst, dass du seit knapp 60 Jahren ein integraler Bestandteil der Jazz-Welt bist?
Kenny Barron:
Ich kann kaum glauben, dass ich schon so alt bin. (lacht) Ich bin aber glücklich, dass ich diese Marke erreicht habe, gesund und auch noch geistig bei Trost bin und noch immer auf der Bühne stehen kann. Für mich ist all das das Wichtigste.

Warum gehen Musiker eigentlich wirklich nie in Pension?
Was soll ich denn dann tun? (lacht) Bevor ich verrückt werde, sterbe ich lieber in meiner Passion. Es gibt Musiker, die tatsächlich auf der Bühne umgefallen sind. Es klingt wahrscheinlich morbide, aber so sollte mein Ende aussehen - ich will keinesfalls bettlägrig zuhause von der Welt abtreten.

Ist so ein runder Geburtstag ein Meilenstein, oder einfach nur eine Zahl, die dir zufällig über den Weg läuft?
Es ist durchaus ein Meilenstein, denn ich habe so viele Sachen erreicht, von denen ich niemals geträumt hatte. Ich bin in einer Phase meines Lebens angekommen, in der ich sehr entspannt arbeiten und das Erreichte genießen kann. Ich will noch viel probieren und habe noch so einiges vor - aber ich mache mir keinen Druck. Zeit habe ich noch genug.

Ist die Passion für die Musik, das Komponieren und das Livespielen immer noch gleich intensiv wie in deinen jungen Jahren?
Absolut. Speziell wenn ich mit großartigen jungen Künstlern arbeite, weil die mir ordentlich in den Hintern treten. Normalerweise wählt man den sicheren Weg und spielt Songs, die man gut kann und bei denen man sich wohlfühlt. Mit den jungen Künstlern, mit denen ich zuletzt arbeiten durfte, habe ich diese Pfade verlassen. Sie sind sehr inspirierend für mich und haben mich selbst zu Höchstleistungen getrieben.

Wie wichtig ist das stete Zusammenspiel mit anderen Künstlern für die eigene Kreativität?
Unheimlich wichtig, weil jeder Mensch andere Ansichten oder Techniken hat. So verhinderst du, dich zu wiederholen und lernst immer wieder dazu. Du denkst auch darüber nach, welche Fehler du gemacht hast und wie du sie verhindern kannst. Vor ein paar Jahren habe ich mit dem Jazz-Bassisten Dave Holland gespielt und hatte einen Schweizer Drummer dabei. Ich habe den Kerl bis zum Studio nie getroffen, aber sein Rhythmus hat mich dazu gezwungen, ganz anders zu spielen als mit Charlie Haden oder Roy Haynes. Es ist immer aufregend, mit neuen Leuten zu arbeiten.

Es ist aber wohl nicht immer magisch, wenn Musiker aufeinandertreffen.
Es ist keinesfalls immer Magie. Oft macht es auch nicht wirklich Spaß, aber wer das Süße genießt, muss auch das Bittere nehmen. Am Ende lernst du aber von einem Worst-Case-Szenario das Meiste für deinen weiteren Karriereverlauf.

Was sind die wichtigsten Punkte, damit eine Arbeitsbeziehung fruchtbar ist und für alle Parteien zielführend endet?
Es reicht nicht aus, wenn man ein guter Musiker ist. Es geht auch darum, dass man eine gesunde Portion Konkurrenzdenken mitbringt, um sich gegenseitig zu pushen. Man muss sich auf und außerhalb der Bühne gut verstehen, aber trotzdem auch etwas gegeneinander arbeiten. Es darf kein Platz für Drama sein, das ist meist das Ende für eine fruchtbare Beziehung.

Du bist ein gutes Beispiel für einen großen Musiker, der niemals an egozentrischen Allmachtsfantasien litt. Macht das die Zusammenarbeit mit anderen großen Egos einfacher?
Jeder hat ein Ego. Das ist auch wichtig, um sich als Musiker durchzusetzen, es ist nicht immer negativ. Aber ich habe gelernt, dass es irgendwo immer jemanden gibt, der besser ist als ich. Es gibt also keinen Grund, durch die Decke zu gehen. Ein großer Hit kann der größte Fluch sein. Entweder kriegst du die angesprochenen Allmachtsfantasien, oder du hast kein so großes Selbstvertrauen und zerschellst an diesem Erfolg, weil du den Erwartungen von außen nicht mehr gerecht wirst. Am besten wäre es, einfach keinen großen Hit zu schreiben. (lacht)

Dein neues Album nennt sich „Concentric Circles“ - ist das eine Metapher für dich und deine Musiker, die sich als Personen um den Mittelpunkt Musik befinden? Die Kunst quasi hervorheben?
Ach, das ist einfach nur ein Albumtitel, da steckt keine esoterische Tiefe dahinter. (lacht) Aber deine Interpretation ist interessant, ich nehme sie gerne an.

Erstmals seit dem Album „Images“ aus dem Jahr 2004 wurde dieses Album mit illustren Top-Musikern wieder als Quintett eingespielt. War das für dich eine Art Schritt zurück in die nostalgische Vergangenheit?
Ich liebe es, in einem Quintett zu spielen. Vor allem mit einem Talent wie dem Saxofonisten Dayna Stephens. Ein fantastischer Musiker, den ich zufällig bei einem Workshop getroffen habe und der auf der Musikuni in Kalifornien studierte. Den Trompeter Mike Rodriguez habe ich in New York gehört und er hat eine tolle Band mit seinem Bruder. Ich bin sehr glücklich, dass ich einen Musiker wie ihn bekommen habe, denn er ist sehr gut gebucht in der Szene. Diese Virtuosen musst du dir schnappen, sobald du eine Lücke in ihrem Terminkalender entdeckst. (lacht)

Mein Favorit auf dem Album ist das balladeske, verletzliche „A Short Journey“, das mit seiner Melancholie klar aus dem Rest des Materials heraussticht. Ist es dir wichtig, vielseitige Emotionen anzubieten?
Ich denke schon. Verschiedene Stimmungen halten einen lebendig, denn du willst dich als Hörer weder auf einer Rennstrecke befinden, noch das Gefühl einer Beerdigung erfahren. Die Farbpalette muss bunt sein, das Tempo muss variieren.

Der Song „Reflections“ ist ein Tribut an deinen großen Helden Thelonious Monk. Welchen Einfluss hatte er auf deine Musik?
Er war ein großer Einfluss für mich und ich habe eine Zeit lang ähnlich gespielt wie er. Wenn du seine Musik spielst, ist es verdammt schwierig, sie wieder aus dem Kopf zu kriegen. (lacht) Er ist einfach omnipräsent, wenn du seine Songs wiedergibst. Außerdem liebe ich diese Ballade und wollte sie hier unbedingt umgesetzt wissen.

Welche Eigenschaften machen dich aus deiner Sicht heraus einzigartig in der Musikwelt?
Mir ist die Schönheit eines Songs am Wichtigsten. Deshalb versuche ich so gut wie möglich Melodien und Harmonien in meine Songs zu flechten. Ich mag Refrains und Simplizität, auch wenn das nicht immer jeder glauben mag. Es ist oft sehr schwierig, langsam und genau zu spielen, denn der Song soll auch eine geistige Größe haben und nicht nur gut klingen. Meine eigenen Vorbilder waren sehr gedankenvolle Musiker.

Ist Perfektion etwas, das für dich erstrebenswert ist?
Absolut gar nicht. Wenn alles perfekt wäre, was sollte ich dann noch tun? (lacht) Du würdest nicht mehr dazulernen und das Leben wäre langweilig. In der Musik geht es um das Versuchen, das Üben, das Verbessern - auch darum, Chancen und Risiken einzugehen. Du kannst ruhig Fehler machen, denn nur so reifst du. Wenn mal etwas danebengeht, kommt irgendwann auch der nächste Teil, das ist absolut okay. Dizzy Gillespie hat mir immer gesagt: „Wenn du schon einen Fehler machst, dann mach einen lauten, markanten“. (lacht) Man sollte ihn auch wiederholen, um sich sicher zu sein, was danebenging. Ein goldener Ratschlag.

Passiert es dir, dass du gewisse Fehler erst viele Jahre später aus deinen Songs heraus erkennst?
Das kommt vor. Manchmal höre ich mir alte Songs an und es zieht mich zusammen. Man denkt im Rückblick immer daran, was man hätte besser machen können, auch wenn es nichts mehr hilft. Der Song ist aber nun einmal irgendwo da draußen im Universum, hat sich weltweit verbreitet und du musst mit ihm leben. Das ist nicht immer leicht, aber ein Teil des Lebens. Jeder Fehler ist für immer veröffentlicht.

Merkst du deine musikalische Entwicklung selbst sehr gut oder vertraust du auf Menschen in deinem Umkreis, vertrauenswürdige Korrektive?
Wenn ich meine eigenen Songs höre, dann höre ich sehr gut die Entwicklung, die mir widerfahren ist. Die Technik und das Harmoniekonzept sind anders und über die Jahre wurde ich immer simpler. Ich fühle nicht mehr den Drang, die Welt aus den Angeln zu heben. Man muss die Noten nicht immer aufeinandertürmen. Ich verwende heute lieber weniger Noten und setze auf melodischere Inhalte. Ich habe das alles schon probiert und fühle mich heute angekommen. Der Song an sich ist einfach wichtiger als das Drumherum. Ich habe das Ego da ganz sicher zurückgestellt.

Du hast einmal betont, dass du mit steigendem Alter den zunehmenden Drang verspürst, mehr zu experimentieren.
Das ist korrekt. Mir ist egal, was die Leute heute denken. Wenn du jünger bist, dann achtest du immer darauf, was die „Jazz-Polizei“ sagt. Bist du technisch genug? Komplex genug? Solltest du hier nicht lieber noch nachbessern? Je älter du wirst, umso wichtiger wird dir die Musik selbst - fernab aller Erwartungen von außen. Ebenso wichtig ist es, dass du auf einer emotionalen Ebene zu den Menschen sprichst, wenn du auf der Bühne stehst. Auch hier geht es weniger um die Technik an sich. Man entwickelt sich da immer weiter.

Jazz-Fans und vor allem -Kritiker können teilweise sehr streng und engstirnig sein. Hat dir das in deiner Karriere Sorgen bereitet oder dich verunsichert?
Das Problem sehe ich eher exklusiv bei den Kritikern und Schreibern verortet - Fans selbst denken da ganz anders. Früher las ich mir oft Kritiken durch und ich verstand nicht, was sie meinten oder wie sie meine Musik verorteten. Es ging wohl oft einfach darum, das Haar in der Suppe zu finden. Musiker und Fans sind da ganz anders gepolt. Was Fans mehr als alles andere wollen, ist einen emotionalen Zugang. Auch einen intellektuellen. Ich versuche heute mehr auf einer emotionalen Ebene zu verbinden, ohne den intellektuellen Aspekt zu vergessen.

Hat sich deine Verbindung zum Publikum über die Jahre verändert?
Nicht entscheidend. Ich bin einfach viel entspannter als früher und lasse mich kaum noch aus der Ruhe bringen. Früher, als ich jung war, machte mir alles Sorgen, aber heute bin ich absolut relaxed. Das trägt dazu bei, die Verbindung zu den Fans zu finden. Man trifft sich dadurch auf einer anderen Ebene.

Deine Tracks wurden teilweise von Hip-Hop-Künstlern wie De La Soul oder Notorious B.I.G. gesampelt. Was denkst du darüber, dass du deinen Fußabdruck auch in anderen Welt der Popkultur hinterlassen hast?
Tatsächlich? Habe ich das? Das wusste ich gar nicht, ehrt mich aber. Ich habe selbst keine Verbindung in diese Welt, finde das aber hervorragend. Für meinen Song „Hellbound“ hat mich einmal eine Frau angerufen, die Soundtracks in Filmen platziert. Sie wollten den Song für einen Film mit Snoop Dogg verwenden. Ich fand die Idee eigentlich großartig und so verwendeten sie das Intro und Snoop hat darüber gerappt. Auch das fand ich total okay. Ich sah mir dann den Film an, aber sie haben den Teil leider nicht verwendet. Das war dann etwas enttäuschend, weil ich mir so darauf freute. Ein kleiner Trost war nur, dass der Film wirklich furchtbar war. (lacht) Da ging es irgendwie um Geister. Das war jedenfalls meine vertane Chance auf die berühmten 15 Minuten Ruhm. (lacht)

Wäre es für dich interessant, künftig vielleicht mit Musikern aus anderen Genres aktiv zusammenzuarbeiten?
Durchaus, ich kenne da keine Berührungsängste. Ich habe das teilweise schon gemacht mit Percussionisten oder Musikern, die sich nicht im Jazz bewegen. Ich konnte bislang immer etwas dabei für mich herausziehen.

Gibt es bestimmte Träume oder Ziele, die du dir unbedingt noch erfüllen möchtest?
Sehr viele sogar. Ich würde gerne ein Album mit einem Streichorchester aufnehmen und mit anderen Künstlern kooperieren. Ich versuche mir meine musikalischen Träume möglichst komplett zu erfüllen. Ich bin jedenfalls noch voller Ziele.

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