Krimi um Heizlüfter

Neuer Prozess um Kaprun-Katastrophe möglich

Österreich
31.10.2008 16:32
Die Seilbahnkatastrophe von Kaprun wird jetzt, mehr als vier Monate nach der finalen Einigung der Opfer-Angehörigen mit der Republik über die Entschädigungszahlungen, wieder zum Thema: In einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft Salzburg vom 16. April dieses Jahres hatte der deutsche Gutachter Hans-Joachim Keim, der für den Heizlüfter-Hersteller „Fakir“ tätig war, schwere Vorwürfe gegen die Sachverständigen im Strafprozess um die Brandkatastrophe in Kaprun vom 11. November 2000 mit 155 Toten erhoben. Das Justizministerium hat nun einem möglichen Verfahren gegen die Sachverständigen von damals grünes Licht gegeben.

Es muss noch entschieden werden, welche Staatsanwaltschaft dafür infrage kommt, erläuterte am Freitag der Sprecher der Oberstaatsanwaltschaft in Linz, Friedrich Hintersteininger. Geklärt werden muss, ob die in Salzburg dafür zuständige Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat oder allenfalls auch die gesamte Salzburger Anklagebehörde befangen ist oder nicht.

Dazu hat die zuständige Oberstaatsanwaltschaft Linz ihre Ansicht erläutert und am Donnerstag, eine Stellungnahme an das Justizministerium übermittelt. Möglicherweise könnte also eine andere Staatsanwaltschaft als die in Salzburg den Fall übernehmen. Eine Entscheidung über die Zuständigkeit werde demnächst getroffen, sagte Hintersteininger. Zunächst war von einer Wiederaufnahme des Kaprun-Prozesses die Rede - dabei handelte es sich jedoch um ein Missverständnis. Es geht nicht um das Hauptverfahren, sondern um ein eigenes Verfahren gegen die angezeigten Gutachter, die in dem Strafprozess tätig waren.

Gegen die sogenannte Fortführungsentscheidung können die angezeigten Sachverständigen innerhalb von 14 Tagen einen Einspruch wegen Rechtsverletzung nach Paragraf 106 der Strafprozessordnung erheben, so der Sprecher der Oberstaatsanwaltschaft. Wird dem Einspruch nicht stattgegeben, dann werden die Stellungnahmen der österreichischen Gutachter zu den Vorwürfen eingeholt. Danach werde entschieden, ob ein Verdacht ausreiht, weitere Erhebungen durchzuführen, erläuterte Hintersteininger. Paragraf 193 sieht die Fortführung eines Verfahrens vor, wenn neue Beweismittel entstehen, und als solches wurde das Gutachten des deutschen Sachverständigen gewertet.

„Zielgerichtet versucht, Tatsachen zu vertuschen“
Gutachter Keim hatte drei Jahre nach den Freisprüchen im Kaprun-Strafverfahren heuer in seiner Anzeige den Sachverständigen vorgeworfen, dass „im Prozess in Österreich zielgerichtet versucht wurde, Tatsachen zu vertuschen und zu unterdrücken“. Gegen die österreichischen Gutachter war schon einmal eine Anzeige eingebracht worden. Das Justizministerium hat im November 2007 aber entschieden, das Verfahren nicht wieder aufzunehmen.

Das grüne Licht gab es jetzt offenbar wegen der Einstellung des deutschen Strafverfahrens gegen Verantwortliche der Heizlüfterfirma „Fakir“. Die Staatsanwaltschaft Heilbronn vertrat die Auffassung, dass das „Haushaltsgerät“ für den Einbau in die Standseilbahn nicht geeignet gewesen sei. Produktionsfehler haben die deutschen Behörden keine erkennen können. Laut Urteil des Strafprozesses am Landesgericht Salzburg vom Februar 2004 soll aber ein Konstruktions-, Material- und Produktionsmangel des Heizlüfters Fakir das Flammeninferno ausgelöst haben. Keims Gutachten waren nur in den Ermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaft berücksichtigt worden, nicht aber in Österreich. Alle 16 Beschuldigten wurden damals freigesprochen.

Keim bemängelt „verschwundene“ Beweismittel
Keim wirft den Sachverständigen vor, die wichtige Tatsachen nicht berücksichtigt oder falsch dargestellt zu haben. Der deutsche Gutachter war für den Hersteller des Heizlüfters „Fakir“ tätig und erstellte für ihn bzw. für eine Versicherung zwei Gutachten und einen Begehungsbericht von den Überresten der Seilbahn. Ausführlich setzt sich Keim in seiner Anzeige an die Staatsanwaltschaft Salzburg mit dem Heizstrahler auseinander, der als Verursacher der Brandkatastrophe vom 11. November 2000 gilt. Der Heizlüfter habe laut Gebrauchsanweisung überhaupt nicht in Fahrzeuge eingebaut werden dürfen.

Andere Beweismittel und Ölspuren seien während des Ermittlungsverfahrens verschwunden; auch hätten die Sachverständigen den Gerichten in zwei Instanzen „aus technischer Sicht vollkommen falsche Darstellungen über Konstruktion, Produktion und Material der Heizlüftergehäuse vorgelegt“. Außerdem hätten die Sachverständigen völlig realitätsfremd behauptet, dass das Hydrauliksystem immer dicht sei, so Keim.

Er stellt die Frage, ob „die Gerichte durch die realitätsfremden technischen Darstellungen hinters Licht geführt“ worden seien. Ferner hätten die Gutachter fälschlicherweise behauptet, die Gletscherbahn von Kaprun sei keinen Schwingungen ausgesetzt - das gehe vollkommen an der Realität vorbei. Auskunft möchte er auch darüber, wo wichtige Beweismittel - zum Beispiel der Holzverbau - geblieben seien.

Keim sei entsetzt über die technischen Ausführungen der Gutachter, stellte Keim in seiner siebenseitigen Anzeige fest. „In einer der größten europäischen Katastrophen der Nachkriegszeit haben die Sachverständigen den Gerichten Gutachten vorgelegt, die wichtige Tatsachen nicht berücksichtigen und vorhandene Tatsachen falsch darstellen. Ich werde alles tun, dass die fachlich und sachlich falschen Darstellungen in den Gutachten international, öffentlich in deutscher und englischer Sprache richtiggestellt werden.“ Außerdem wolle er „alle Möglichkeiten ausschöpfen, dass diese falschen Beweisführungen nicht mehr veröffentlicht werden“, so Keim.

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