Unrasiertes Epos

“Who Killed Amanda Palmer”

Musik
10.10.2008 10:49
Zusammen mit Drummer Brian Viglione kennt man die US-amerikanische Musikerin Amanda Palmer als Quasi-Chefin der Punk-Kabarett-Band "The Dresden Dolls". Da ist sie laut, schrill, unverhohlen - eine fast schon schockierend geniale Bühnenperformerin. Mit "Who Killed Amanda Palmer" geht die 32-jährige Pianistin und Songwriterin einen Schritt weiter und inszeniert um die 12 Songs der Platte ein morbides, multimediales Epos, inspiriert von Meistern der Verwirrung wie David Lynch und dem US-Autor Neil Gaiman. Voilà, die bizarre Welt der "Amanda Fucking Palmer"!
(Bild: kmm)

"Twin Peaks"-Fans können dem Titel des ersten Soloprojekt Palmers mit einem Augenzwinkern folgen. "Who killed Laura Palmer?", fragte sich in den Neunzigern der schrullige FBI-Agent Dale Cooper. Und dann war die gute Laura mal doch wieder nicht tot, tauchte rückwärts sprechend, vorwärts abgespielt in Parallelwelten auf - und wie war das nochmal mit der Alten und ihrem Holzscheit? Aber so nah an der Lynch-Serie bewegt sich die "Storyline" von "Who killed Amanda Palmer" eh wieder nicht, dass es am Ende des Albums eine Erklärung in Spielfilmlänge bräuchte.

Eigentlich klingt "Who Killed Amanda Palmer" ziemlich nach Dresden Dolls. Vom Hämmern des alten Steinway-Flügels aus dem Studio von Produzent Ben Folds und Palmers in allen Schieflagen unverkennbarer Stimme getrieben, unterscheidet sich das 12 Songs starke Album nur durch die musikalischen Finessen, die das Duo hervorgebracht hat: Scheppernder Wurlitzer ("Guitar Hero"), eine kleine BigBand ("Leeds United"), zarte Streicher ("Have To Drive") reichern den DD-Sound mit neuen Zutaten an. Die Lyrics schwanken zwischen übertriebener Selbstdarstellung, psychedelischer Faselei ("We all go to Alaska when we die" auf "Blake Says"), Chanson-artigen Interludes ("What's The Use Of Wond'rin") wie aus einem Kitsch-Musical; und da sind dann noch Palmers provokante Anti-Forderungen, wie man sie bererits von den drei Alben der Dresden Dolls kennt. "Who needs love when there's law and order? Who needs love when there's Southern Comfort?" Wilder Ausreißer ist "Oasis", vollgepackt mit Zynismus: Palmer wird darin vergewaltigt, macht eine Abtreibung, "Now I'm a crack whore..." - in ihrem Vortrag klingt das alles wie Standardprocedere. Schwanger? Na dann machen wir's halt wieder weg: "So I had an abortion..." Erzählt wird das ganze Drama zu einer picksüßen Piano-Pop-Melodie mit reichlich Ah-Chören im Refrain.

Amanda Palmer spielt in den kommenden Tagen zwei Mal live in Österreich: 18.10. in Wörgl (Koma), 20.10. Wien (Szene)

Das Spannende an "Who Killed Amanda Palmer" sind jedoch nicht die Fragen, in wie vielen Bereichen sich die Platte vom Piano-Punk der Dresden Dolls unterscheidet. Oder wie wirr die Songs sind und wie lange man ihnen folgen kann. Das erklärt sie abseits der Musik: Palmer hat in Kooperation mit dem US-Autor Neil Gaiman ein mit kunstvollen Fotografien und Parabeln vollgepacktes "Big Book Of Who Killed Amanda Palmer" (Infobox) parallel zum Album herausgebracht. Außerdem drehte sie acht Videos, die das Epos audiovisuell verkomplettieren. Einen der Clips gibt's oben auf krone.tv, der Rest findet sich auf Amandas YouTube-Channel (ebenfalls in der Infobox).

Aber noch nicht genug: Auf der Website zum Album (Infobox) findet sich eine elends lange Page mit Dutzenden Backstage-Fotos der Studio-Aufnahmen, ungekürzter E-Mail-Korrespondenz zwischen Folds und Palmer während der Produktion und einer Schilderung der drei Jahre, in denen aus der Idee eines "kleinen, feinen Piano-only-Soloalbums" das größte Projekt wurde, das Palmer je in Angriff nahm. Hier erfährt man, dass die 32-jährige gebürtige New Yorkerin keine Kohle für ein Hotelzimmer hatte und auf zwei übereinander gelegten Matratzen im Folds-Studio hauste. Oder dass sie jemand aus der Crew einmal liebevoll "Amanda Fucking Palmer" nannte, woraufhin sie E-Mails an Folds künftig mit "AFP" zeichnete. Die verschwommene Grenze zwischen dem Mensch Amanda Palmer und der Figur aus dem Album wird hier etwas klarer gezogen.

"Ich dachte lange Zeit, ich müsste immerzu brüllen, damit ich einen Punkt machen kann - bis ich drauf kam, dass das eben nicht der richtige Weg ist", schreibt sie. Dass sie mit "Who Killed Amanda Palmer" eben nicht, wie so viele andere, scheinbar lustlos eine Platte "hinbrüllt", sondern mit dem komplexen Drumherum ein Epos schafft, dessen Entstehen man mit der Bezeichnung "CD-Veröffentlichung" ärgstens schimpfen würde, betont sie zu keiner Zeit. Wie bescheiden! Um es mit einer Palmer'schen Anti-Forderung zu sagen: Hört es euch nicht an, es hat hier ja nur jemand ein paar Takte mehr über die Wirkung von Musik nachgedacht.

10 von 10 Solo-Debüts "wrapped in plastic"

Von Christoph Andert

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