Bizarres Ekel-Kino

“Taxidermia, der Ausstopfer”

Kino
08.02.2007 00:40
Der Großvater, ein sexbesessener Soldaten-Laufbursche im zweiten Weltkrieg, der in einem Schweinestall leben muss. Der Vater, ein nach Erfolg und Anerkennung gierender Schnellfresser im Kommunisten-Ungarn, der mit dem Ende der Sowjetunion dem Wahnsinn verfällt. Der Sohn, ein kleiner, scheuer Tierpräparator, gepeinigt von seinem gescheiterten Vater, der sich selbst zu seinem größten Kunstwerk machen will. Die österreichisch-ungarische Koproduktion „Taxidermia“ erzählt auf bizarre, surreale und höchst ekelige Weise, die Geschichte dreier Generationen - mit einer Portion ungarischem Humor, der eindeutig auf den Magen geht, und Bildern, die nicht jeder als eine Form von Kunst akzeptiert. Ab 9. Februar im Kino!

- „Haben Sie heute schon etwas gegessen?“, fragt mich die hochgewachsene Blondine, als ich im Wiener Votivkino Platz nehmen will. 
- „Ja, is aber schon länger her“, antworte ich, mehr scherzhaft als ernst gemeint.
- „Na, dann können S’ sitzen bleiben.“
- „Wie bitte? Keine Sorge, mein bester Freund ist Horrorfilm-Fanatiker. Ich halt was aus.“ 
- „Ja, und ich bin professionelle Domina. 
Ich hab auch schon Einiges erlebt.“ 

„Der Film ging mir weniger unter die Haut. Er schlug mir auf den Magen“, erzählte jene Dame dann bei der Podiumsdiskussion nach der „Taxidermia“-Premiere. Madame Queen - so lautet, wie sich später herausstellte, das Berufspseudonym meiner Sitznachbarin - hatte man als Expertin bzw. als „Frau vom Fach“ eingeladen. Im Film geht es zwar nicht um SM, was Ekel und die Sache mit den Körperflüssigkeiten betrifft, konnte Madame aber einiges beisteuern.

„Unter 16 verboten!“  
„Taxidermia, der Ausstopfer“ ist kein Film, dem man täglich in österreichischen Kinos begegnet. Zumindest nicht in solchen, in denen auch „Kiriku und die wilden Tiere“ läuft. Bereits das Filmplakat zur österreichisch-ungarischen Koproduktion verrät dies, auch, dass der Film trotz österreichischer Beteiligung (ein Drittel der Szenen wurde sogar in Wien gedreht) in den heimischen Kinos nur in ungarischer Originalversion mit deutschen Untertiteln gezeigt wird, ist nicht gerade Tagesordnung. Davon abgesehen: Für Kinder bzw. Jugendliche unter 16 (das sagt bereits der Aufkleber am Plakat), wenn nicht unter 18, ist „Taxidermia, der Ausstopfer“ auf keinen Fall geeignet. 

Sezier-Choreographie kontra Speib-Orgie
Die Drei-Generationen-Geschichte, die Regisseur und Drehbuch-Co-Autor György Pálfy frei nach zwei Novellen des ungarischen Schriftstellers Lajos Parti Nagy entwickelte, hat zwei Seiten. Eine offensichtlich künstlerische mit Nahaufnahmen, die vieles vermitteln, aber nicht alles zeigen und fast schon malerischen Sezier- und Ausweid-Szenen, die auf den Einsatz von Blut und Schleim (das ist es nämlich, was es eigentlich grauslich macht) verzichten und mit perfekten Schnitt-Choreografien eine gespannte Atmo der Faszination erzeugen. Da wären aber noch jene Teile, wie die Fresswettkämpfe, die aus minutenlangen Würg- und Speib-Orgien bestehen und die zahlreichen Masturbations-Sequenzen gleich am Anfang, bei denen es manchmal so scheint, als würde man sie - nach dem Prinzip eines billigen Splatter-Movies - just nur um des Zeigens Willen zeigen. 

György Pálfy: „Es ist nicht so ekelhaft“
Regisseur György Pálfy findet seinen Film nicht ekelhaft, zumindest nicht so ekelhaft, wie ihn Madame Queen beschrieb. Dennoch ist er sich bewusst, dass manche daran Anstoß nehmen werden - obwohl der Film kein Gleichnis, keine Parabel sein soll, kein Stempel für jede der drei „Epochen“ Nationalsozialismus, Kommunismus und Kapitalismus, sondern lediglich das Porträt dreier Einzelschicksale. Mögliche Inspiration, potenzieller Nachdenk-Stoff, eine alternative Form von Unterhaltung - oder auch nicht. „Ich sehe ihn als Kunstwerk, wie eine Skulptur“, sagte Pálfy nach der Vorführung, bei der zwei, drei Personen den Saal unterm Film verließen und zirka zehn Zuseher die Frage „Wem ist übel geworden?“ mit Handzeichen beantworteten. 

Filmfans mit dem entsprechenden Sinn fürs Ungewöhnliche, die sich an SAW & Co. bereits satt gesehen haben und von den immergleichen, blutigen Folter-Fehden zwischen Gut und Böse nichts mehr hören bzw. sehen wollen, werden sich über „Taxidermia, der Ausstopfer“ freuen. Aus Versehen sollte man in diesen Film aber nicht hineingeraten.

Christoph Andert

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