Ein Jahr nach Seuche

“Krone” in Sierra Leone: Im Schatten von Ebola

Ausland
09.01.2017 08:53

Lokalaugenschein in Sierra Leone ein Jahr nach der Horrorseuche: Der "Westafrika-Virus" hat hier Tausende Opfer gefordert. Die Toten sind längst bestattet. Zurück bleiben verzweifelte Angehörige, die mit Wahnvorstellungen kämpfen, und Kinder ohne Eltern. Doch es gibt auch Hoffnung.

Nachts kommen die Albträume zurück. Und es ist immer die gleiche Abfolge von Bildern, die wie in einer Dauerschleife des Schreckens wiederholt werden: Zuerst taucht der jüngere Bruder vor Aiahs geistigen Augen auf. Er hat sein verschmitztes Lächeln auf den Lippen, die Umhängetasche gepackt fürs College. Doch dann sind da plötzlich diese Männer in weißen Schutzanzügen, die er nicht kennt. Masken verdecken ihr Gesicht. Sie holen den Bruder ab, bringen ihn zur Quarantäne-Station. Dabei hatte er doch nur Fieber - oder?

Killer-Virus tötete Bruder und Eltern
Dann leuchten die Fackeln wieder auf, mit denen das Haus der Familie im Dorf Manama im Bezirk Kono nach der tödlichen Ebola-Diagnose in Schutt und Asche gelegt wurde, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Das war Anfang 2015. Heute ist Aiah 27 Jahre und froh, dass zumindest er mit dem Leben davongekommen ist. Aber ist das noch ein Leben, wenn man alles verloren hat? "Meine Eltern sind an der Krankheit gestorben - und mein Bruder", sagt Aiah und ergänzt kurzatmig: "Er war mein bester Freund." Dann versagt die Stimme. Er schließt die Augen und führt die rechte Hand zur Stirn, um die Tränen zu verstecken.

Aiah Dubandehs einziger Wunsch heute: Er will Journalist werden. Doch das Studium musste er vorerst aufgeben. Die Bilder haben sich so in sein Gedächtnis eingebrannt, dass er mittlerweile Angst hat, den Verstand zu verlieren.

Szenenwechsel in eine Ortschaft nahe der Grenze zu Guinea. In diesem Landstrich soll der bis 2002 andauernde Bürgerkrieg in Sierra Leone besonders blutrünstig verlaufen sein. Auch hier hausen die Bewohner in Lehmhütten. Auf dem Dorfplatz dient ein löchriger Fahrradreifen einem Buben als Spielzeug. Auch in dieser Gemeinde hat die Todesseuche ihre Spuren hinterlassen.

Das Gespräch mit einem Ebola-Überlebenden fällt schwer. 45 Jahre sei er alt, meint ein Mann, der aussieht wie Mitte 70. Immer wieder beklagt Moses Yah den Verlust seines Sohnes und wechselt sprunghaft zwischen Vergangenheit, Gegenwart und einer Fantasiewelt dazwischen.

"Patienten leiden an Wahnvorstellungen"
"Wahnvorstellungen sind nur eine der Folgen, an denen frühere Virus-Patienten laborieren", erklärt Dr. Songor Koedoyoma. Und der junge Arzt weiß, wovon er spricht. Nach Abschluss seiner Ausbildung in der Hauptstadt Freetown wurde der Mediziner ins Bezirksspital versetzt. Er sorgte dafür, dass die hoch ansteckenden Opfer nicht im Ort begraben, sondern von Spezialisten dekontaminiert und auf speziellen Friedhöfen bestattet wurden - eine Herkulesaufgabe in einem Land, in dem der rituelle Abschied von Verstorbenen Bestandteil der Kultur ist. Doch das scheinbar Unmögliche gelang. Durch Radio-Aktionen und internationale Hilfe.

Besonders der Einsatz von World Vision gilt als vorbildlich. "Unsere Mitarbeiter blieben auch am Höhepunkt der Katastrophe vor Ort", blickt der Geschäftsführer von World Vision Österreich, Sebastian Corti, zurück. "Wir konnten beim Krisenmanagement auf unsere guten Strukturen in der Entwicklungszusammenarbeit bauen." Der Erfolg gibt der christlich geprägten Organisation recht. Am 14. Jänner 2016 wurde die Epidemie weltweit als beendet erklärt. Alleine in Sierra Leone waren 3956 Tote zu beklagen, 8617 Kinder wurden zu Waisen.

Doch trotz all des Leids und der Spätfolgen gibt es auch Zeichen der Hoffnung. Mit einem speziellen Patenschaftsprogramm von World Vision können betroffene Mädchen und Buben auch von Österreich aus unbürokratisch unterstützt werden.

Hochzeitsglocken nach der Hilfsaktion
Auch Aiah versucht mittlerweile, dem Teufelskreis aus Schande, Selbstzweifel und Stigmatisierung zu entkommen. Er will zurück auf die Uni. Sein Reporter-Traum, er lebt.
Einer kann der Seuche im Nachhinein sogar Positives abgewinnen: Dr. Koedoyoma hat knapp vor seinem 29. Geburtstag die Frau seines Lebens kennengelernt. Eine Krankenschwester aus Amerika, die als Freiwillige nach Afrika gereist ist, um Ebola-Patienten zu versorgen. Die Hochzeit soll für die ungewöhnliche Schicksalsgemeinschaft schon bald zum Happy End werden.

Daten und Fakten

  • Sierra Leone liegt in Westafrika und hat sieben Millionen Einwohner. Bis 2002 tobte ein Bürgerkrieg, der unter anderem durch den Handel mit Blutdiamanten finanziert wurde.
  • Der Ebolavirus stammt aus den Regenwäldern Zentralafrikas. Es gibt keine Therapie gegen die Erkrankung. Erst jetzt waren erste Impfstoff-Tests erfolgreich.
  • World Vision ist eine der weltweit größten Hilfsorganisationen. Infos zu Kinderpatenschaften: www.worldvision.at. Spenden: Erste Bank AT22 2011 1800 8008 1800 BIC: GIBAATWWXXX, Kennwort: Sierra Leone.

Gregor Brandl, Kronen Zeitung

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