Überraschung: Vier Jahre nach seinem letzten Album „Justice“ ist Justin Bieber zurück. „Swag“ heißt sein neues Werk und ist inspiriert von seiner Rolle als Ehemann und Vater. So persönlich und verletzlich wie nie gewährt er intime Einblicke in sein Innenleben. Ein Klangmeer aus Soul, R&B, Gospel und einem Hauch Hip-Hop – wir haben reingehört …
„Oh mein Gott, Justin bringt ein Rap-Album raus“ – das habe ich einen Tag vor dem Release gelesen und musste selbst nachsehen. Und tatsächlich: Der Sänger postete plötzlich neue Fotos auf Instagram - oberkörperfrei, in Jeans, tätowiert, Baby Jack Blues auf dem Arm, Hailey im Hintergrund. Wow. Das sah aus wie die Promoshots zu Kendrick Lamars „Mr. Morale & The Big Steppers“. Also doch ein Rap-Album? Dazu ein schwarzes Cover mit weißer „Swag“-Schrift – schlicht, fast mysteriös. Nach vier Jahren Funkstille kündigte der „Yummy“-Star sein neues Album einfach so an. Ohne große Vorwarnung, nur mit ein paar emotionalen Familienfotos – die dann plötzlich auf Werbetafeln in mehreren Städten auftauchten.
Sein letztes Album „Justice“ hätte ihn eigentlich auf große Welttournee bringen sollen – doch nach einigen Europa-Konzerten musste Justin Bieber abbrechen. Die Diagnose: das seltene Ramsay-Hunt-Syndrom, eine Virus-Erkrankung, die zu einer Gesichtsnerv-Lähmung führt. Wie schnell man sich davon erholt, ist individuell sehr unterschiedlich. Kein Wunder also, dass sich viele Fans erleichtert zeigen, dass es dem 31-Jährigen gesundheitlich besser geht. Nicht auftreten zu können, obwohl man es liebt – das muss schwer gewesen sein. Umso beeindruckender ist es, dass Bieber seine jahrelange Arbeit an sich selbst und seiner Musik nun vollenden konnte. Schon Wochen vor dem Release postete er Studiobilder und einige Aufnahmen, die ihn wieder verliebt mit Hailey zeigen– jetzt ist das Ergebnis da. Und es kann sich hören lassen.
Ein verletzlicher und liebender Superstar
Schon der Einstieg mit „All I Can Take“, „Go Baby“ und „Things You Do“ macht sofort klar: Seine Frau Hailey steht hier im Zentrum vieler Gedanken. Es ist eine Liebeserklärung und ein Bitten um Verständnis. „Thats My Baby, She´s Iconic, Iphone Case, Lipgloss On It ...“ Vor allem „Go Baby“ war bei den Fans sofort beliebt und wird seit Veröffentlichung ununterbrochen gestreamt.
21 Songs auf der Platte bringen nicht nur Biebers Stimme zum Strahlen, sondern auch spannende Featuregäste wie Gunna, Dijon, Sexyy Red und Cash Cobain. Die erste Kollaboration mit Rapper Gunna, „Way It Is“, zeigt gleich beim ersten Takt, dass sich Bieber nach einem Rückzugsort sehnt – gemeinsam mit Frau und Kind, weit weg vom Lärm der Welt. Ein geheimer Ort, frei von Druck und Erwartungen.
Nach dem Track „First Place“ folgt das erste Highlight abseits der Musik: der Skit „Soulful“ mit Comedian Druski. In einem fast spirituellen Moment bescheinigt er dem Sänger, dass dessen Musik nun endlich „Seele“ habe. „Your Skin‘s White, But Your Soul‘s Black“ – eine überraschende, aber respektvolle Analogie, die Bieber in eine Reihe mit Größen wie dem amerikanischen Gospel-Sänger Marvin Winans stellt. Und tatsächlich: Die soulige und gospelartige Tiefe zieht sich wirklich durchs ganze Album.
Mit „Walking Away“ versucht er zu erklären, dass er nicht weggeht. Dass er bleibt, egal was passiert. Auch hier steht seine Frau im Mittelpunkt. „Baby, I Ain´t Walking Away, Your Were My Diamond, Gave You A Ring, I Made You A Promise, I Told You I´d Change. Der Beat ist sanft, getragen von leichtem Bass und dezenten Synthesizern. Biebers Stimme klingt dabei so nah und direkt, als würde er die Worte nur für sie singen. Kurz darauf zeigt er mit „Glory Voice Memo“, dass weniger manchmal mehr ist. Nur Stimme und Gitarre – fast wie aus einem Gospel-Film. Justin klingt hier wie Ryan Toby in „Sister Act 2“, als würde er sich die Seele aus dem Leib singen. Man spürt seine Zerrissenheit und den tiefen Wunsch nach Vergebung.
Therapie und Vaterliebe
Die nächste Kollaboration heißt „Devotion“ – gemeinsam mit dem US-Musiker Dijon. Beide Stimmen brechen fast vor Gefühl, der Sound ist roh, fast wie eine musikalische Therapiesitzung. Man glaubt ihnen jedes Wort. Dann folgt der Kontrast: „Dadz Love“ mit Lil B. Ein simpler, fast mantraartiger Track für seinen Sohn Jack Blues. „It’s Dad Love“ wiederholt sich minutenlang – eine Hymne auf die Vaterrolle, emotional, das so oft wiederholt wird, bis es alle gehört haben. Kaum aber ein Moment auf dem Album wirkt so nahbar wie der nächste Skit „Therapy Session“. Der kanadische Superstar spricht hier offen über seine psychische Gesundheit, über Selbstzweifel und das Gefühl, ständig funktionieren zu müssen. Druski fungiert als Kumpel und Spiegel. Sie sprechen über, Unsicherheit und das Gefühl, nicht okay sein zu dürfen. Es ist so ehrlich wie nie und dann diese Zeile von Bieber: „Ich dachte wirklich, ich sei der Einzige mit Problemen.“ Sätze, die tief sitzen.
Bei „Sweet Spot“ mit der Rapperin Sexyy Redd werden die Fans erst einmal schlucken müssen, denn es ist die vielleicht kontroverseste Nummer. Eine sinnliche R&B-Ballade mit explizitem Touch. Klanglich Smooth, aber textlich Geschmackssache. Auch Bruno Mars wagte sich an einer Zusammenarbeit mit Sexyy Red. Der Song „Fat, Juicy And Wet“ polarisierte und viele waren verblüfft über die Konstellation, genau so ist es auch bei der jetzigen Nummer. Provokant und überraschend. Danach noch ein letzter Skit mit dem amerikanischen Comedian. In „Standing On Business“, wirkt Bieber fast wie ein Schüler im Gespräch mit seinem Therapeuten – am Ende wird er nur gefragt: „You good?“ Seine leise Antwort: „Yeah.“
Er hat seinen „Swag“ wiedergefunden
Zum Ende hin wirds wieder musikalischer und es folgt dann endlich der Titeltrack „Swag“. Unterstützt von Rapper Cash Cobain und dem australischen Sänger Eddie Benjamin mischt Bieber R&B mit einem Hauch von Hip-Hop und einfach gehaltenen Textzeilen. „Just Call Me The Swag Prince“, sagt Cobain in seiner Verse – eine Andeutung darauf, dass Bieber endlich seinen Swag gefunden hat? Bevor das Album aber endgültig ausklingt, überrascht der Popstar mit einem einminütigen Gitarren-Track „Zuma House“. Danach folgt noch „Too Long“, wo er über verlorene Zeit reflektiert und neue Einsichten hat. Vielleicht auch ein musikalisches Friedensangebot an Hailey. Zeilen wie „Yeah, Sometimes I Get Insecure“ wirken fast wie ein offenes Tagebuch.
Unerwartet endet das Album nicht mit dem „Baby“-Interpreten selbst, sondern mit Gospel-Ikone Marvin Winans: „Forgiveness“ klingt wie eine spirituelle Schlussfolgerung – ruhig, tief, bewegend. Als würde Bieber hier einfach nur lauschen wollen, alles in sich aufnehmen und loslassen. Ein innerer Frieden mit sich selbst und ein Ankommen.
Fazit: „Swag“ ist keine bloße Sammlung von Songs. Es ist ein mutiges, rohes und überraschend reifes Album. Es zeigt einen Justin, der sich traut, zerbrechlich zu sein. Und genau darin liegt seine neue Stärke. Zwischen Soul, Gospel, Vaterliebe und Selbstzweifel hat er hier sein vielleicht persönlichstes Werk geschaffen. Es ist kein Werk für Charts oder schnelle Klicks - sondern eines für Herz, Seele und Langzeitwirkung.
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