Beim Blick auf diese Bilder stockt einem der Atem. Das Ausmaß der Zerstörung ist unvorstellbar. Ein enormer Gletschersturz hat am Mittwoch das bereits evakuierte Bergdorf Blatten in der Schweiz unter sich begraben. Der an der Universität Innsbruck tätige Hochgebirgsforscher Jan Beutel sieht den Gletscherabbruch im Kontext mit dem Klimawandel.
„Die starken Veränderungen, die wir heute im Hochgebirge erleben, sind zum großen Teil die Folge des Klimawandels der vergangenen Jahrzehnte. Zu einem gewissen Teil ist die Reise für die nächsten Jahre gebucht. Eingeheizt ist schon, und das Tauen und Schmelzen wird unweigerlich weitergehen“, warnt der Universitätsprofessor.
„Berge werden instabil“
Es gelte zu differenzieren, „wenn man Klimaprojektionen mit aktuellen Ereignissen in Beziehung setzen will.“ Diese Ereignisse fänden zwar im Kontext des Klimawandels statt, seien aber nicht immer ursächlich direkt damit verbunden. „Berge werden instabil und stürzen letztendlich ab, weil sich die Materialkonfiguration und die Geometrie ändern. Das heißt: Die Wirkung der Schwerkraft ist die eigentlich treibende Kraft“, meinte der auf Hochalpine Kryosphäre spezialisierte Forscher und ausgebildete Bergführer.
Permafrost taut zunehmend auf
Der Bergsturz im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis spielte sich im hochalpinen Gelände ab, wo der Rückgang des Eises die Oberfläche gegenüber Wind und Wetter öffnet. Wasser und Wind können direkt ins Gestein eindringen und erodieren, gleichzeitig werden die Berge auch steiler.
„Überall werden seit langem zunehmende Bewegungsraten hangabwärts festgestellt. Zudem taut der Permafrost mit ca. 0,1 Grad Celsius pro Dekade auf. In den Alpen liegt die Temperatur des Permafrosts vielerorts schon im Bereich von minus drei bis minus einem Grad Celsius, das heißt, er ist sehr warm. Dadurch wird die aktive Schicht, also der Teil an der Oberfläche, der jedes Jahr auftaut, immer tiefer“, erläuterte der Experte.
Aus Laborversuchen wisse man, dass dies mit Stabilitätsverlusten in Felsproben von bis zu 80 Prozent einhergeht: „Auftauen bedeutet aber auch, dass mehr flüssiges Wasser zur Verfügung steht – auch im Inneren des Berges – und das schmiert und fördert die Beweglichkeit, getrieben von der Gravitation.“
„Wenn Felsmaterial abstürzt, fragmentiert es“
Zur Veranschaulichung der Abläufe, die das Dorf Blatten verschüttet haben, hielt Beutel fest: „Wenn Felsmaterial abstürzt, fragmentiert es. Beim Aufschlagen auf einen Gletscher wird durch die kinetische Energie Eis zu flüssigem Wasser. Zusammen mit dem entstehenden Staub und der Bewegung ist das wie in einer Betonmischmaschine. Diese verflüssigte Masse gleitet dann wesentlich schneller und weiter talwärts als nur Felsen, Sand oder Eis alleine. Weiterhin entfalten diese Gemische, in tieferen Lagen zum Teil auch noch mit Bäumen durchsetzt, eine sehr destruktive Kraft, wenn sie ins Tal donnern. Wenn ein Bergsturz bis in den Talboden vordringt, blockiert er oft auch talnahe Gewässer und erzeugt so weitere Gefahren wie Hochwasser und unkontrollierte Ausbrüche.“
Der Wissenschafter, der seit fast 20 Jahren mit verschiedenen Forschungsprojekten im Wallis tätig ist, verfolgte den Gletscherabbruch in der Schweiz aus der Ferne in seinem Büro live mit. „Am Kleinen Nesthorn wurden GPS-Messgeräte für die Vorhersage und Maßnahmenplanung eingesetzt, die wir vor zwölf Jahren als Forschungsprototyp eben dort in der Region in Zusammenarbeit mit den Behörden entwickelt haben.“
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